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Fall Thomas Middelhoff - Die Justiz hat aus der Finanzkrise gelernt

Die Strafverfahren um Thomas Middelhoff oder den ehemaligen BayernLB-Risikovorstand Gerhard Gribkowsky sind Ausläufer der Wirtschafts- und Finanzkrise. Seit dem Mannesmann-Urteil kann kein Vorstand mehr sagen, er wäre nicht gewarnt worden

Autoreninfo

Daniel Martienssen studierte Jura in Frankfurt (Oder) und Berlin. Einen Abschnitt des juristischen Vorbereitungsdiensts verbrachte er in New York. Er schreibt für Cicero Online und lebt in Berlin.

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Haft – ohne Bewährung! In Wirtschaftsstrafprozessen der Neuzeit, also nach der verheerenden Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008, werden Angeklagte, denen man Wirtschaftsdelikte wie Untreue oder Steuerhinterziehung vorwirft, nicht selten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Jüngstes Beispiel ist der ehemalige Vorstandsvorsitzende des mittlerweile insolventen Handels- und Touristikkonzerns Arcandor, Thomas Middelhoff. Zu Arcandor gehört auch die Warenhauskette Karstadt. Das Landgericht Essen hat den früheren Konzernchef in 27 Fällen der Untreue und drei Fällen der Steuerhinterziehung für schuldig befunden. In dem Strafverfahren geht es um diverse Flüge sowie eine Festschrift, die Middelhoff über sein Unternehmen abgerechnet hat.

Dabei hat es Middelhoff noch ein vergleichsweise milde getroffen. Der Ex-Risikovorstand der BayernLB, Gerhard Gribkowsky, verbüßt derzeit eine achteinhalb jährige Haftstrafe. Das Landgericht München I hat ihn wegen Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung im Sommer 2012 verurteilt. Nach der Insolvenz der Kirch-Gruppe im Jahr 2002 rückte die BayernLB als Gläubigerbank in verschiedene Gesellschafterpositionen ein, die ihr zuvor zur Sicherheit für Bankdarlehen an die Kirch-Gruppe übertragen worden waren.

Gribkowsky kam in den folgenden Jahren an Schlüsselpositionen und konnte so die lukrativen Formel-1-Anteile übertragen, die er letztlich unter Wert im Namen der BayernLB verkaufte und dafür im Gegenzug über Beraterverträge mit mehreren Millionen Euro, die er in eigene Stiftungen unterbrachte, „belohnt“ wurde. Im Fall Gribkowsky kumulieren sich fast alle Varianten von Wirtschaftsstrafdelikten. Daher auch die äußerst hohe Haftstrafe, die wegen eines Geständnisses noch milde ausgefallen ist.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise markiert eine Zäsur


Im Zuge der Causa Gribkowsky ist letztlich der Formel-1-Chef Bernie Ecclestone selbst ins Fadenkreuz der Ermittler geraten und 2014 vor dem Landgericht München I wegen Bestechung von Gerhard Gribkowsky angeklagt worden. Hier ist die Beweislage allerdings so dünn gewesen, dass sich alle Beteiligten am Prozess über eine Einstellung des Verfahrens gegen eine satte Geldauflage von 100 Millionen US-Dollar aus der Affäre gezogen haben. Viele Kritiker sehen hier den alten Vorwurf der Klassenjustiz oder ebenjener Redewendung von den kleinen und großen Dieben wiederaufleben. Denn im Vergleich zum milliardenschweren Boss der Formel 1 wirkt ein Vorstand einer Landesbank wie ein kleiner Fisch.

Die Kritiker verkennen jedoch Gesetzmäßigkeiten des Rechtsstaats, deren nach ein Straftäter in der Hauptverhandlung überführt werden muss und nur dann verurteilt werden kann, wenn das Gericht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt ist. Ecclestone hat die Einstellung seines Strafverfahrens über die Norm des Paragrafen 153a der Strafprozessordnung erreicht, die eben auch den kleinen Dieben in Alltagsstrafverfahren vor Amtsgerichten offensteht. Der Taschendieb, der einen Elektroschalter im Baumarkt mitgehen lässt, muss dann eben entsprechend seines Einkommens keine 100 Million US-Dollar zahlen, sondern kommt mit der Auflage, 150 Euro an die Caritas 150 zu spenden, davon. Alle Menschen werden nach den Kriterien des Paragrafen 153a Strafprozessordnung proportional zu ihrem Einkommen gleichbehandelt.

Hier lohnt ein Blick auf die Mutter aller modernen Wirtschaftsstrafprozesse: den Mannesmann-Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf gegen u.a. Josef Ackermann, Klaus Esser und Klaus Zwickel in den Jahren 2004 bis 2006.

Untreue ist eines der schwierigsten Vermögensdelikte


In den Jahren 1999 und 2000 tobte eine feindliche Übernahmeschlacht um das Düsseldorfer Traditionsunternehmen Mannesmann durch den britischen Konzern Vodafone. Für die noch im rheinischen Kapitalismus verankerte Bundesrepublik waren diese anglo-amerikanischen Methoden von feindlicher Übernahme wirtschaftliches Neuland und nur aus den 1980er-Jahre-TV-Serien wie „Dynastie“ oder „Dallas“ bekannt. Im Zuge dieser Übernahme gewährten die damaligen Aufsichtsratsmitglieder der Mannesmann AG – darunter der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann – den Vorständen des Unternehmens Anerkennungsprämien und eine Abgeltung von Pensionsansprüchen. Dies erfüllte den Tatbestand der Untreue zu Lasten der Mannesmann AG.

Die Untreue ist eins der schwierigsten zu handhabenden Vermögensdelikte. Der aktuelle Gesetzestext stammt aus dem Jahr 1933, nachdem die Nationalsozialisten bereits die Macht an sich gerissen haben. Bis heute wird von verschiedenen Stimmen in der Rechtswissenschaft die Verfassungsmäßigkeit der Untreue in Zweifel gezogen.

Hauptkritikpunkt ist die gesetzliche Unschärfe der Norm, die letztlich zu Rechtsunsicherheit und Unbestimmtheit führt, weil niemand so recht weiß, wann sich ein Täter im Einzelfall überhaupt der Untreue strafbar gemacht hat oder nicht. Unbestimmte Straftatbestände verstoßen gegen das Grundgesetz. Der Rechtsprechung gelingt es jedoch, die Kriterien für die Untreue im Einzelfall so genau auszugestalten, dass die Norm so verfassungskonform ausgelegt werden kann.

Ganz vereinfacht ausgedrückt macht sich derjenige strafbar, der fremdes Vermögen zu betreuen hat und zum Nachteil einer natürlichen Person oder eines Unternehmens handelt. Wenn also der Kassierer eines Kleingartenvereins Geld aus der ihm anvertrauten Kasse nimmt, um sich selbst zu bereichern, wäre dies ein klassischer und problemloser Fall der Untreue. Auch wenn ein Manager wie Thomas Middelhoff einen Hubschrauber auf Kosten des Unternehmens benutzt, um auf dem Weg zur Arbeit den Verkehrsstau im Ruhrpott zu umgehen, ist die Rechtslage vergleichsweise eindeutig.

Persönliche Bereicherung ist strafbar


Im Mannesmannprozess war es für das Landgericht Düsseldorf schon weitaus schwieriger zu beurteilen, ob die Rechtshandlungen der Aufsichtsratsmitglieder den Tatbestand der Untreue erfüllt haben oder nicht. 2004 urteilte das Gericht noch, dass die Angeklagten einem Verbotsirrtum unterlagen, also nicht gewusst hatten, dass sie mit diesen Handlungen den Tatbestand der Untreue begehen würden: Die Angeklagten wurden freigesprochen und Ackermann zeigte das Victory-Zeichen in die Kameras.

Dieses Urteil hatte der BGH im Nachgang aufgehoben. Der Prozess wurde vor einer anderen Kammer des Landgerichts Düsseldorf neu aufgerollt. Hier erlöste 2006 der Paragraf 153a der Strafprozessordnung die Angeklagten möglicherweise vor einer Haftstrafe. Gegen hohe Geldauflagen wurde das Verfahren eingestellt. Der Vorwurf der Klassenjustiz und der kleinen und großen Diebe war damals nicht  gänzlich von der Hand zu weisen.

Fast ein Jahrzehnt und eine verheerende Finanz- und Wirtschaftskrise später ist die Bundesrepublik im anglo-amerikanischen Wirtschaftssystem angekommen. Viele Prozesse wie jetzt gegen Thomas Middelhoff sind Ausläufer dieser Finanz- und Wirtschaftskrise. Es muss nunmehr streng geahndet werden, dass ein verantwortlicher Manager sich privat auf Kosten des Unternehmens bereichert hat, während selbiges schon unter seiner Ägide in den Abgrund geschlittert ist: Heute müssen tausende Mitarbeiter von Karstadt um ihre Jobs fürchten und von Retter zu Retter weitergereicht werden.

In vielen Wirtschaftsstrafprozessen ist die Beweislage hinreichend, um die Angeklagten auch zu verurteilen. Die Parameter für den Tatbestand der Untreue sind spätestens seit dem Mannesmann-Prozess abgesteckt. Es kann keiner mehr sagen, er hätte nicht gewusst, was er tat.

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