
- Die Kamele brauchen mehr Heu
Unsere Kolumnistin Sophie Dannenberg war im Zirkus. Beim Anblick der deprimierenden Gesamtsituation merkte sie, wie traurig wir alle sind. Sollte es auch in der Politik Platz für ehrliche Traurigkeit geben?
Erst im Zirkus merkte ich, wie müde wir alle sind – und wie traurig. Traurigkeit ist eigentlich keine politische Kategorie, was ein Mangel sein könnte. Ich jedenfalls kann all diese entschiedenen, ehrgeizigen Visagen im Bundestag einfach nicht mehr sehen. Womöglich war seit Willy Brandt kein Politiker mehr traurig. Ich meine natürlich nicht die Publicity-Trauer, sondern jene große, weite Traurigkeit, die ihre Ursachen zwar kennen mag, aber nicht mit ihnen identisch ist. Sie ringt auch nicht nach Ausdruck, sie ist einfach da, wie in den Gedichten von Erich Kästner oder im Timbre von Jeff Buckley. Oder eben im Zirkus neulich.
Schon der Hinweg war düster. Ich musste erst durchs Parkhaus und dann durchs Einkaufszentrum, wo plötzlich die Schriftstellerin Juli Zeh auf einer Bank saß. Irgendwie deprimierte mich das. Ich hatte mir Juli Zeh immer an schrägen, abgelegenen Orten vorgestellt, Brandenburg oder Bosnien, aber nie in den Spandauer Arcaden. Man sollte solche Orte meiden, sie schlürfen einem die Aura weg. Der Zirkus dann war halb leer, und sämtliche Kinder im Publikum wedelten mit schrill blinkenden Neonröhren, zehn Euro das Stück.