
- Weshalb überhaupt heiraten?
Das Gesetz der „Ehe für alle“ wurde jubelnd aufgenommen. Das Paradoxe ist, dass das Prinzip der lebenslangen Partnerschaft längst nicht mehr unserer Zeit entspricht. Das Modell der Ehe als sinnstiftender Ort muss diskutiert werden
Die kirchliche Herkunft der lebenslangen Ehe zwischen Mann und Frau ist unumstritten. Mit der neuzeitlichen Ehe hat sie eher wenig zu tun. Im Alten Testament gab es keine staatliche Stelle, die Ehen registrierte. Ehen in unserem Sinne kannten die alten Hebräer nicht. Sie pflegten vielmehr die Polygamie für Männer. Trotzdem gibt es da Adam und Eva, die Gott füreinander geschaffen hat. Aber mit der Aufwertung des staatlichen Ordnungselements „Ehe“ hat diese alte Geschichte wohl eher nichts zu tun. In Deutschland hat der Staat das kirchliche Ehemodell auch erst im 19. Jahrhundert übernommen, mitsamt der romantischen Liebesidee und der lebenslangen Verpflichtung. So wurde die mythische Sage von Adam um Eva zum staatlichen Gesetz.
Ein Auslaufmodell
Seit vielen Jahren erleben wir die allmähliche Abkehr von dem Modell der lebenslangen Gemeinschaft zwischen Mann und Frau. Die Ehe diente zur Kontrolle von Sexualität und Nachwuchs. Im Gegensatz zum neuen Modell war Gemeinschaft nicht vorrangig wichtig. Heute wird die gegenseitige Verantwortung gelebt. So ist im Wesentlichen auch die Position der evangelischen Kirche in Deutschland: „Protestantische Theologie unterstützt das Leitbild der an Gerechtigkeit orientierten Familie, die in verlässlicher und verbindlicher Partnerschaft verantwortlich gelebt wird.“ Gleich darauf heißt es: „Familien sind sinnstiftender Lebensraum und Orte verlässlicher Sorge.“ Von Sensibilität ist keine Rede.
Was an dieser Position unklar bleibt: Findet Sinnstiftung ohne Ehe und Familie nicht statt? Was ist mit Singles – müssen die ohne Sinn leben? Warum können nicht mehrere Menschen heiraten und eine Gruppenehe bilden? Da könnten sich Heteros, Schwule, Lesben und Transsexuelle zusammenfinden. Und schließlich: Was ist an einer Familie gerecht? Die einen bleiben lebenslang verbunden, andere zerstreiten sich oder gehen auseinander und gründen neue Familien. Viele bleiben alleine und das Zeugen von Kindern schaffen manche auch ohne nähere Bekanntschaft.
Ehe für Spießbürger
Eine weitere Entwicklung gibt zu denken. Seit mehr als 40 Jahren gilt die Ehe als die Inbegriff der Spießbürgerlichkeit. Warum wollen jetzt alle leben wie die Spießbürger? Hatte doch die Evangelische Kirche erst 2013 einen Rückgang der Eheschließungen festgestellt, sogar von einem Rückgang der Attraktivität der Ehe gesprochen. Dass nun geradezu euphorisch eine neue Zeitrechnung ausgerufen wird, weil Schwule und Lesben auch unter das Ehejoch gebracht werden, scheint eigentlich anachronistisch.
Der sinkenden Attraktivität der Ehe entspricht auch ein Rückgang kirchlicher Eheschließungen. Ließen sich 1990 von den circa 500.000 Ehepaaren noch 100.000 evangelisch und 110.000 Paare katholisch trauen, waren dies 2003 von den nur noch 380.000 Eheschließungen 56.000 evangelische und 50.000 katholische Trauungen. Meiner Rechnung nach bedeutet das einen Rückgang bei Eheschließungen um 28 Prozent, aber um 44 Prozent im katholischen und circa 55 Prozent im evangelischen Bereich.
Um Liebe geht es nicht
Der Bundestag hat nach einem taktischen Manöver aller Beteiligten am 30. Juni 2017 die „Ehe für alle“ beschlossen. Unter dem Motto „Liebe gewinnt“ traten besonders die Grünen dafür ein. Aus der SPD hörte man: „Sieg für die Liebe.“ Dass die Liebe nun ein staatlicher Vertrag ist, der auch Homosexuelle dazu zwingt, bei einem Ende der Partnerschaft eine teure Scheidung mit Trennungszeiten, späterem Versorgungsausgleich und möglicherweise Unterhaltszahlungen in Kauf zu nehmen, ist zumindest interessant. Ich hätte mir vorstellen können, dass die staatliche Ehe in Zukunft entbehrlich wird, weil Lohngleichheit erzielt, Erziehungszeiten anerkannt und auch weibliche Rentenansprüche dem Armutsrisiko entkommen sein werden.
Die Grünen-Aussage, hier gehe es um die Liebe, ist gewagt. Denn beim staatlichen Eheinstitut geht es häufiger um Taktik. Es wird zur Steuererleichterung, Nachwuchssicherung, aus Konvention, aus finanziellen und wirtschaftlichen Gründen, manchmal sogar zur Einbürgerung eingesetzt. Dass in der kirchlichen Trauung und beim Standesamt die Liebe als Grund für eine Eheschließung gewertet wird, könnte man als gut gemeinte Illusion oder gar als Legende bezeichnen. Liebe mag der Anlass, aber nicht der Grund sein für diese staatliche Ordnungsaufgabe, der die Kirchen ihren Segen hinterher verabreichen.
Aufhebung staatlicher Diskriminierung
Dass sich nun Homosexuelle in diese Ordnung einfügen dürfen, hat genauso wenig mit Liebe zu tun. Ihnen geht es um die Gleichberechtigung und die Aufhebung einer staatlichen Diskriminierung bei der Verpartnerung. Auf dem historischen Hintergrund der Kriminalisierung von Homosexualität kann man das nachvollziehen. Lieben aber durfte man auch bisher, wen man wollte. Es gab jedoch gesellschaftliche Konsequenzen, wenn man den oder die Falsche liebte. Die „Ehe für alle“ schützt davor rein rechtlich. Im täglichen Umgang hält die Diskriminierung dennoch an – auch aus anderen Gründen: zu alt, zu jung, falsche Religion, falsche Herkunft, falsches Geschlecht, falsche Staatsbürgerschaft, falsche Bildungsstufe, falsche politische Ausrichtung, falsches Aussehen und so weiter.
Ein weiterer Schachzug im politischen Deutschland
Sinnvollerweise hätte man die Ehe endlich entrümpeln sollen, anstatt dieses Regulierungsinstrument nun auch auf eine weitere Gruppe auszudehnen. Dass es nicht für alle Versionen der Liebe gilt, ist auch eindeutig, da es lediglich die staatliche Ehe mit ihrem romantischen Liebesideal auf homosexuelle Menschen überträgt. Nun diskriminiert der Staat eben die, die mehrere Menschen lieben oder sich schon klar darüber sind, dass lebenslänglich für sie nicht in Frage kommt. Das sind laut Scheidungsstatistik viele. Das gängige Modell verpflichtet Singles allein aufgrund dieses Merkmals zu höheren Steuern. Ist das keine Diskriminierung?
Die Kirchen werden sich wie immer anpassen. Auch sie werden keine Gruppen- oder Zeitehe segnen wollen, obwohl das als Konsequenz aus der Orientierung am Individuum folgen müsste. Also: keine Zeitenwende, nur ein Schachzug im politischen Deutschland – ohne ausführliche gesellschaftliche Diskussion über die Ehe an sich.