Demokratie-Monitoring - Ein kritisches Wort, schon bist du Rechtspopulist

Der Demokratie-Monitor der Uni Hohenheim bescheinigt den Deutschen ein hohes Maß an rechtspopulistischen Einstellungen. Doch was hier als „rechtspopulistisch“ gebrandmarkt wird, kann man auch als Demokratiereife verstehen.

Statistisch gesehen ist einer dieser fünf ein Rechtspopulist / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Endlich mal wieder eine Demokratie-Studie! Es ist gerade zwei Wochen her, da warnte die Körber-Stiftung, das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie nehme ab. Das war ein hübscher Clickbait. Denn bei dem Stichwort Misstrauen in die Demokratie sieht man zwischen Flensburg und Berchtesgaden traditionell gleich „Weimarer Verhältnisse“ am Horizont des politischen Alltags dämmern. 

Bei näherem Hinsehen zeigte sich jedoch, dass die Studie der Körber-Stiftung allenfalls die Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierung und der sich in den letzten Jahren herausgebildeten Parteiendemokratie dokumentierte, nicht aber mit der Demokratie an sich. Doch man kann ein guter Demokrat sein und zugleich unserer Parteiendemokratie in ihrer derzeitigen Form kritisch gegenüberstehen. 

Am vergangenen Dienstag legte nun die Universität Hohenheim nach. In ihrem diesjährigen Demokratie-Monitoring kommt eine im Auftrag von Wissenschaftlern der Hochschule durchgeführte Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa zu dem Ergebnis: Ein Fünftel der Deutschen hat ein rechtspopulistisches Weltbild. 

Spannender als die Resultate der Studie sind die Methoden

Interessant an der Studie ist weniger ihr Ergebnis. Die angebliche Verbreitung rechts- oder linkspopulistischer Ansichten in der Bevölkerung kann man mithilfe entsprechender Fragen beinah nach Belieben hoch- und runterregeln. Und in Zeiten hoher AfD-Umfragewerte macht sich akademisch beglaubigter Alarmismus in Sachen Rechtspopulismus sowieso gut. 

Sehr viel spannender als die Resultate der Studie sind daher die Methoden, mit denen sie erzielt wurden. Die Studie benennt vier rechtspopulistische „Narrative“: den Glauben an einen einheitlichen Volkswillen; die Überzeugung, dass dieser Volkswille durch innere und äußere Mächte unterdrückt werde; dass zu den inneren Mächten die Eliten und die „Lügenpresse“ gehören; und dass zu den äußeren Mächten die EU, die Globalisierung oder der Islam zählen. 

 

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Etwas vereinfacht kann man zusammenfassen, dass in der Forsa-Studie je nach Frage und Thema etwa ein Fünftel bis ein Viertel der Befragten solchen als rechtspopulistisch definierten Thesen zustimmten. So gab gut ein Viertel der Befragten an, dass Politik in Deutschland von „geheimen Mächten“ gesteuert werde; ebenfalls ein Viertel meint, die Regierenden „betrügen das Volk“; und 24 Prozent der Bundesbürger glauben, die „Medien und die Politik arbeiten Hand in Hand, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren“. 

Spannend an dieser Umfrage ist zunächst die Bewertung. Noch vor wenigen Jahrzehnten und mit Blick auf ein linkes Politmilieu hätte man solche Umfrageergebnisse vermutlich als Ausdruck von politischer Mündigkeit, Systemkritik und demokratischer Reife gefeiert. Dass etwa Konzerne, Lobbyisten und Politik systematisch das Volk betrügen, gehörte damals zum kleinen Einmaleins jedes sich kritisch wähnenden Linken. 

Das Demokratie-Ideal der Studie ist eine Karikatur von Demokratie

Noch spannender ist allerdings die Einordnung von Teilen der Bevölkerung als rechtspopulistisch. Als rechtspopulistisch im Sinne der Studie ist also jemand, der den etablierten Medien und insbesondere dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisch gegenübersteht – als wäre das nach der einseitigen Corona-Berichterstattung, der ebenfalls eher tendenziellen Positionierung in Sachen Klima und Migration oder dem erkennbar manipulativen Vorgehen mancher Medien verwunderlich. 

Ist es ferner wirklich rechtspopulistisch oder nicht doch eine recht realistische Sicht der Dinge, wenn viele Bürger den Eindruck haben, nicht die von ihnen gewählten Abgeordneten, sondern internationale Organisationen, Stiftungen, Thinktanks und NGOs bestimmten die politischen Agenden? Ist es angesichts der Zustände in manchen Freibädern, in Schulen oder Stadtvierteln wirklich rechtspopulistisch, wenn Menschen meinen, fremd im eigenen Land zu werden? 

Das Problem der Studie ist offensichtlich ihre Verwendung des Totschlagbegriffs „Rechtspopulismus“. Glaubt man den Zwischentönen der Studie, würden in einer idealen Demokratie Wissenschaftler, Fachleute, Parteien und „zivilgesellschaftliche Organisationen“ einfach ihre Agenda durchziehen – was immer das Wahlvolk davon hält. Oder besser noch: Das Wahlvolk würde dieser Agenda applaudieren. Aber dieses Bild ist eher eine Karikatur von Demokratie. Denn die besteht nicht darin, dass das Volk den Ideen der technokratischen Eliten abnickt, sondern diesen kritisch gegenübersteht. 

Keine Frage: In der Bevölkerung sind auch Verschwörungstheorien und eine Menge Unfug verbreitet. Das darf aber nicht dazu führen, Kritik an gesellschaftlichen Eliten, an sozialen Zuständen oder der engen Verbindung von Medien und Politik als „rechtspopulistisch“ zu diffamieren. Abgesehen davon, dass es ein Zeichen einer funktionierenden Demokratie ist (und nicht etwa Demokratieversagen), wenn die Regierungsverantwortlichen dem Wahlvolk hin und wieder mal aufs Maul schauen. 

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