CDU-Chef Friedrich Merz - Der Schattenkanzler nutzt die Schwächen der Ampelregierung

Drei Anläufe brauchte Friedrich Merz, um Parteivorsitzender der CDU zu werden. Nun ist er der oberste Oppositionspolitiker im Land – und fühlt sich in seiner Rolle sichtlich wohl. Während die Ampelregierung um Olaf Scholz die sich überlagernden Krisen irgendwie lösen muss, profiliert sich der CDU-Chef derzeit als Schattenkanzler der Bundesrepublik. Das gelingt ihm auch deshalb, weil es ihm das Regierungsbündnis aus SPD, Grüne und FDP viel zu einfach macht.

Merz ist halt Merz: Der CDU-Chef nutzt die Gunst der Stunde / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

So erreichen Sie Ben Krischke:

Anzeige

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, heißt es in Hermann Hesses „Stufen“. Und man könnte vielleicht so weit gehen, zu sagen, dass der Zauber jedes Anfangs je größer ist, desto mehr der Abschied des dafür Vergangenen herbeigesehnt wurde. So, oder zumindest ein bisschen so war und ist es auch bei der CDU. Nach 16 Jahren Angela Merkel war die Partei müde und ausgelaugt, wusste nicht mehr, wo sie steht, wer sie sein will und warum. Wäre die Partei ein einzelner Mensch gewesen, wäre sie in Kur gegangenen oder zur Lebensberatung; wäre abgetaucht, um sich zu sortieren und mit neuer Energie zurückzukehren aufs politische Parkett.

Stattdessen folgte inmitten der Corona-Pandemie erst ein internes Ringen um den Parteivorsitz, das Armin Laschet schließlich für sich entscheiden konnte, und im Anschluss noch ein in den Medien omnipräsenter und zermürbender Streit mit Markus Söders CSU, wer als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl 2021 gehen sollte. Ein unschickliches Lachen im Flutgebiet später, ist der Rest Geschichte – und Deutschland bekam seine erste rot-grün-gelbe Bundesregierung, während die Union vom Wähler auf die Oppositionsbank verbannt wurde.

Die finale Lösung heißt Friedrich Merz

Armin Laschet war allerdings auch nie Neubeginn, kein Anfang, dem ein Zauber innewohnte, sondern nur die personifizierte Fortsetzung der Ära Merkel, die – das ahnten viele Christdemokraten damals schon – wohl nur eine Übergangslösung derart sein konnte, wie man sie häufiger erlebt, wenn eine langjährige Beziehung zu Ende geht. Und weil eine Übergangslösung immer nur von kurzer Dauer ist, musste bald eine finale Lösung her – und die heißt Friedrich Merz.

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Rund um die Personalie ist der CDU mittlerweile wieder gelungen, was man ihr schon fast nicht mehr zugetraut hätte: Einheit zu demonstrieren und halbwegs stolperfrei geradeaus zu laufen. Basis hierfür war der 34. Parteitag der CDU im Januar, aus dem Merz mit fast 95 Prozent der Delegiertenstimmen als neuer Parteichef hervorgegangen ist. Ein Ergebnis so deutlich, dass selbst der oft kühl wirkende Sauerländer mit den Tränen rang. Sechs Monate und einen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine später lässt sich bilanzieren: Merz fühlt sich sichtlich wohl in seiner Rolle als Oppositionsführer – und scheint sich derzeit mehr noch als Schattenkanzler der Bundesrepublik profilieren zu können.

Merz' Ukraine-Reise war ein politischer Coup

Begonnen hat diese Profilierungsreise spätestens Anfang März, als der CDU-Chef als erster deutscher Politiker überhaupt Kiew besuchte, um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu treffen. Eine Reise, die sich als politischer Coup verbuchen ließ, schon deshalb, weil die deutsche Bundesregierung um Kanzler Scholz zu der Zeit nicht gerade den besten Ruf hatte in Kiew. Kein Wunder, signalisierte man der Ukraine zwar unentwegt, fest an ihrer Seite zu stehen, während man gleichzeitig aber haderte und zauderte, was das konkret heißen soll.

Die nächste Station seiner Profilierungsreise führt den CDU-Chef nun nach Polen. Einmal mehr geht diese Reise auch mit einem Rundumschlag gegen die Bundesregierung einher. Im Interview mit der Funke-Mediengruppe sagte Merz unter anderem, dass die Union „jedes Vertrauen“ in die Zusagen der Bundesregierung in Sachen Ukraine-Krieg verloren habe. Und weiter: „Wir müssen eine öffentliche Debatte darüber führen, wie vertrauenswürdig unsere Regierung im eigenen Land, aber auch und gerade in Mittel- und Osteuropa noch ist.“

Merz will deshalb mit gutem Beispiel vorangehen, sagt er, und in Polen „die Wogen glätten“. Unser östliches Nachbarland ist sauer, weil die Bundesregierung einem vereinbarten Ringtausch bisher nicht nachgekommen ist, wonach Polen Panzer an die Ukraine liefert und Deutschland Panzer an Polen. Merz geht deshalb hart ins Gericht mit Bundeskanzler Scholz und dessen Regierungsmannschaft: „Die deutsche Öffentlichkeit und das Parlament werden getäuscht. Und die Bundesregierung tut nicht das, was der Bundestag beschlossen hat: nämlich schwere Waffen zu liefern“, so Merz. Ein harter Vorwurf, aber eben kein gänzlich unbegründeter.

Identitätspolitik aus dem Elfenbeinturm

Nun kommt dem CDU-Chef freilich zu Gute, dass nicht er es ist, der Deutschland durch eine Zeit führen muss, in der sich die Krisen überlagern, was immer auch mit schweren Entscheidungen und Ambivalenzen einhergeht. Und ein Panzer ist eben auch nichts, das man heute bei Amazon bestellt und morgen schon geliefert wird. Gleichwohl macht es ihm die Bundesregierung aus SPD, Grüne und FDP nicht allzu schwer, die Gunst der Stunde zu nutzen. Denn das Hadern und Zaudern mit Blick auf die Ukraine scheint bei der Bundesregierung bis heute anzudauern. Und selbst, wenn man das bei SPD, Grüne und FDP teils anders sehen mag, muss sich die Ampelregierung mindestens den Vorwurf gefallen lassen, dass sie rund um ihre Ukraine-Politik schlecht kommuniziert. 

Außerdem ist der bisher ausbleibende Ringtausch nicht die einzige Baustelle: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht etwa – der angesichts des Ukraine-Kriegs eine besondere Rolle innerhalb der Bundesregierung hätte zukommen müssen – scheint ihrem Amt nicht gewachsen zu sein. „Diese Frau ist eigentlich völlig belanglos“, sagt mittlerweile selbst ein langjähriger Sozialdemokrat. Hinzu kommt der identitätspolitische Kurs der Ampelregierung – vom geplanten Selbstbestimmungsgesetz bis zur umstrittenen Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman –, den viele Menschen im Land als Elfenbeinturmpolitik wahrnehmen. Man könnte es auch so formulieren: Während sich die einen um ihre Zukunft sorgen, hissen die anderen Regenbogenflaggen vor irgendwelchen Ministerien.

Aber auch die permanenten und wenig glaubwürdigen Verzichtspredigten der politisch Verantwortlichen stoßen nicht gerade auf viel Gegenliebe beim Volk. Denn diese haben nicht von ungefähr einen Hauch von Neo-Feudalismus, wonach sich der Pöbel mit immer weniger begnügen soll, während man selbst rauschende Hochzeitspartys feiert, mal wieder die eigenen Diäten erhöht – und Unsummen an Steuergelder für allerlei, oft zeitgeistigen Firlefanz ausgibt, obwohl das Geld woanders deutlich besser aufgehoben wäre. Oder halt, wie die Grünen-Vorzeigejungpolitikerin Emilia Fester, weniger durch politische Ideen auffällt, denn durch Tanzvideos in den sozialen Medien.

Merz ist halt Merz

All das und mehr führt dazu, dass sich einer wie Merz und damit auch die Union profilieren kann, obwohl der CDU-Chef freilich selbst Teil der viel gescholtenen Elite ist. Der Unterschied ist allerdings, dass Merz kein bisschen so tut, als sei er nicht privilegiert – und etwa zur Lindner-Hochzeit mit dem eigenen Flugzeug anreiste, selbst am Steuerknüppel sitzend. Daran kann man sich freilich reiben, aber dass so eine Aktion nicht authentisch wäre, kann man Merz wirklich nicht vorwerfen. Merz ist halt Merz, mag sich manch Beobachter denken, der der politischen Inszenierung anderer Spitzenpolitiker als volksnahe Entscheider zunehmend überdrüssig geworden ist. Ebenso wie dem ideologischen Tamtam drumherum.

Wohin Merz seine Profilierungsreise noch führen wird, bleibt abzuwarten. Denn die nächste Bundestagswahl wird erst im Herbst 2025 stattfinden. Vorausgesetzt freilich, dass sich die Ampelregierung bis dahin nicht selbst zerlegt. Dann wäre Merz aber fast 70 Jahre alt. Also zu alt, um als Kanzlerkandidat der Union anzutreten? Gut möglich. Sollte Merz allerdings erfolgreich weitermachen wie bisher, wäre es am Ende auch sein Verdienst, sollte die Union auf Bundesebene wieder triumphieren. Die Chancen dafür stehen – im Juli 2022 – gar nicht schlecht, wissen die Demoskopen. Alle Umfragen sehen die Union derzeit als stärkste politische Kraft im Land. Mit weitem Abstand auf die SPD. Aus CDU-Sicht eine zauberhafte Entwicklung.

 

Hören Sie passend zum Thema auch den Cicero-Podcast mit CDU-Politiker Jens Spahn:

Anzeige