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() Die künftige Berliner BND-Zentrale - Deutschlands bestgesicherste Baustelle
BND-Sitz Pullach: Abzug der Schlapphüte

Jahrzehntelang arbeitete die Spionagezentrale des BND von der Bevölkerung abgeschottet hinter Zäunen in einem Wald in Pullach bei München. Der bevorstehende Umzug der Behörde nach Berlin regt nur noch die CSU auf. Die Pullacher weinen den Geheimen keine Träne nach.

Der Mann sitzt mit dem Rücken zur Wand in der Wirtschaft. Fischerweste, tief hängende Augenlider, ein Alkoholfreies in der kräftigen Hand. Zur Begrüßung winkt er nicht, er nickt nur. Zehn Minuten vor dem vereinbarten Termin ist er eingetroffen. Um den Tisch selbst auszusuchen. Blick zum Ausgang, Fluchtweg frei, das hat er so gelernt. „Wenn man das einmal drin hat, wird man es nicht mehr los“, sagt er. Früher hätte er sich ein Disziplinarverfahren eingefangen, wenn sein Arbeitgeber ihn hier mit einem Reporter entdeckt hätte, im Isarbräu am Bahnhof oder sonst einer Wirtschaft im Ort. Früher hätte er sein Auto in zweifach gebrochener Sichtlinie vom Treffpunkt geparkt und einen Kollegen vorgeschickt, um die Lage zu sondieren. Aber früher war alles anders, und jetzt ist nichts mehr wie es war in Pullach. Vor einigen Jahren war er selbst noch Teil der geheimen Truppe, die den kleinen Ort im Münchner Süden zum Mythos machte: BND – Bundesnachrichtendienst. Heute ist er desillusionierter Geheimagent in Rente, und die Schlapphüte sind dabei, das Feld zu räumen. Nach über einem halben Jahrhundert zieht der BND von Pullach nach Berlin. Seit die Organisation Gehlen, Vorgängerin der Behörde, 1947 in der ehemaligen Pullacher Nazienklave, der Reichssiedlung Rudolf Heß, einzog, leben Geheimdienst und Gemeinde nebeneinander her wie ein altes Ehepaar, das nicht zueinanderfindet – geografisch in Löffelchenstellung, aber Fremde bis heute. Auf der einen Seite die feiste Kleinstadt, Refugium der Münchner Neureichen, die ihre Geländewagen vor den gelb getünchten Landhäusern parken und abends in Barbour und Dirndl die Biergärten bevölkern. Und mittendrin: das geheime Pullach, Phantomstadt der Beamten und Spione – Reichsarbeitsdienstbaracken, Vorkriegsvillen und Verwaltungsbunker aus den Siebzigern, über 60 Gebäude, autark mit eigenem Kraftwerk, umgeben von einem vier Kilometer langen Ring aus Mauerwerk, Stacheldraht und Kameras – Terra incognita für die Ortsansässigen. Was der Mann auf der Straße vom BND mitbekommt, ist lediglich die kuriose Autokolonne aus dem Münchner Umland, die allmorgendlich den Pullacher Verkehr blockiert, um den Ort am späten Nachmittag wieder zu verlassen. Doch seit 2003 trocknet der Autofluss merklich aus. Nach der Entscheidung, die BND-Zentrale in die Hauptstadt zu verlegen, sind schon 1000 Mitarbeiter als Vorhut nach Berlin gezogen. 2008 wurde dort der Grundstein für das neue Hauptquartier gelegt, das größte Bauprojekt der Metropole seit der Wiedervereinigung. Ist es wie geplant 2014 bezugsfertig, wird auch der Rest des Geheimdiensts dorthin verlegt. Von der ursprünglich einmal 3600 Mann starken bayerischen BND-Legion blieb in Pullach nur noch das traurige Häuflein der technischen Abteilung, etwa 1000 Leute. Ende einer Ära an der Isar. Ein schwerer Abschied für die Gemeinde? „Ach, Schmarrn“, Bürgermeister Westenthanner winkt ab. Der BND kauft nicht in Pullach, wohnt nicht in Pullach, zahlt hier weder Gewerbe- noch Grundsteuer, das Gelände gehört dem Bund. Würde eines der großen ansässigen Unternehmen wie Sixt oder Linde Pullach verlassen, wäre das etwas anderes. Aber der Geheimdienst? Der Bürgermeister schüttelt den Kopf. „Um den lieb zu gewinnen, fehlte immer der Kontakt.“ Das offizielle Pullach konnte seinen Nachbarn nie ins Herz schließen, weil der Nachbar selbst dem Ort sein Inneres seit jeher fest verschlossen hielt. Reinhard Gehlen, dessen Geheimorganisation Adenauer 1956 als Bundesdeutschen Nachrichtendienst anstellte, hielt seine Schotten dicht: Jahrzehntelang war das abgeriegelte Areal als „Bundesvermögensverwaltung, Abteilung Sondervermögen“ ausgewiesen, erst 1996 wurde am Portal die Aufschrift „Bundesnachrichtendienst“ montiert. Als Gehlens Nachfolger Gerhard Wessel die Pullacher Präsidentenvilla bezog, ließ er einen ganzen Wäschekorb voller Wanzen entfernen, die sein neurotischer Vorgänger dort platziert hatte. Pullach, das Zentrum deutscher Paranoia. Die Mitarbeiter, ausgestattet mit Deckkennzeichen und Decknamen, hatten im zivilen Pullach nicht zu wohnen, nicht zu speisen und nicht zu trinken, geschweige denn ein Wort über ihren Beruf zu verlieren. Ganz selten lüftet sich der Schleier über der fremden Maschine im Ort und gibt Gesichter frei. Eine gesprächige Reisebekanntschaft im Bus nach Pullach, die vielsagend den Finger an den Mund legt, wenn sie nach ihrem Job gefragt wird. Der Auffahrunfall mit dem Fremden auf der Landstraße, Polizei, die beim Blick in die Papiere nur die Augenbraue hebt, und Minuten später ein Team aus dem Nirgendwo, das den Wagen abtransportiert und nicht zum ADAC gehört. Immer wieder erleben Pullacher so etwas. Doch offiziell tritt der Dienst für die Gemeinde nur etwa alle zwei Jahre in Erscheinung: Wenn der BND-Präsident zum „Gedankenaustausch“ einen Termin an den Bürgermeister vergibt. Eine der raren Gelegenheiten für Westenthanner, Informationen einzuholen. Doch die meisten veralten bis zum nächsten Treffen. Was den Umzug betrifft, tappt er schon wieder im Dunklen. Der BND werde das frei werdende Gelände bis 2015 geräumt haben, hieß es zuletzt. Welche Teile der etwa 640.000 Quadratmeter großen Fläche das sein werden, ist unklar. Nur eines ist sicher: Der Bürgermeister will sie haben. Westenthanner tippt mit seiner Lesebrille auf die große Luftaufnahme an der Wand. Wie ein nierenförmiger Pflock steckt das Geheimdienstcamp im Herzen der Gemeinde. Es trennt den Ortsteil Großhesselohe vom Pullacher Süden, die einzige Verbindung ist die Heilmannstraße, ein überwachter Korridor quer durchs Revier der Agenten. Drum herum ist Pullach eingeklemmt zwischen Nachbargemeinden und dem Wald, die Gemeinde braucht Entwicklungsflächen. Die Fachhochschule Weihenstephan hat kurz nach Bekanntgabe der Umzugspläne sogar Konzepte für die Nachnutzung der vermutlich bald käuflichen Flächen ausgetüftelt: Wohnungen, Sportplätze, ein Café im Bunker des ehemaligen Führerhauptquartiers, eine Grundschule in der alten Villa von NS-Reichsleiter Martin Bormann. An Ideen mangelt es nicht, nur an Geld. Denn die frei werdenden Liegenschaften haben nicht nur bei der Gemeinde Begehrlichkeiten geweckt. Möglicherweise wird Pullach sich einmal mit Großinvestoren um die Flächen raufen müssen, und das zu Quadratmeterpreisen von 1000 Euro. Ohne Kredite käme da selbst die Gemeinde mit der drittstärksten Kaufkraft der Republik nicht weit. Außerdem hat die historische NS-Siedlung auf dem Gelände das Landesamt für Denkmalpflege auf den Plan gerufen. Ein Graus für den Bürgermeister, nicht nur, weil ihm dann für Umbauten die Hände gebunden wären, sondern auch, weil er befürchtet, dass das Nazigemäuer braune Pilgerschaften nach Pullach locken könnte. Noch fehlen dem Amt die Vermessungsgrundlagen, um sie unter Schutz zu stellen. Auch sie müssen warten, bis der BND ihnen eines Tages die Tore öffnet. Für den Mann in der Bahnhofswirtschaft dagegen, nennen wir ihn Schneider, liegt hinter den Spundwänden des BND eine Vergangenheit, mit der er längst abgeschlossen hat. In den Sechzigern kam er nach Pullach und wurde gleich an die „Front“ katapultiert: Abteilung 1, Operative Aufklärung, Anwerbung und Führung von Informanten im Ausland, zu seiner Zeit vor allem im Ostblock. Als er anfing, war der Dienst noch in kleine Operationsgruppen aufgegliedert, eingeschworene Teams mit eigener Kriegskasse, die sofort im nächsten Flieger saßen, wenn ein Informant per Fax oder Anruf um ein Treffen in Berlin oder im Ausland bat. Der spätere BND-Präsident Wessel, bemüht das Treiben der Abteilungen kontrollierbarer zu gestalten, verknüpfte die Gruppen zu einem bürokratischen Verwaltungsapparat. „Seitdem konnte es passieren“, erinnert sich Schneider, „dass wir an einem Samstag kurzfristig eine Quelle in London oder Genf treffen mussten und nicht fliegen konnten, weil in Pullach der Beamte mit den nötigen Formularen schon seit Freitagmittag das Büro geschlossen hatte.“ Heute würde er den Job nicht mehr machen wollen. „Der Feind, das sind jetzt Terroristen und Rauschgifthändler, mit allen Freiheiten, null Bürokratie und sehr einfachen Lösungen für Personalprobleme.“ Er krümmt den Zeigefinger. „Von denen will man nicht identifiziert werden.“ Dabei ist die Tarnung heute schwieriger denn je: „Wegen der biometrischen Pässe“, sagt er. Denn die können nicht gefälscht werden. Zu Schneiders Dienstzeiten, als Pässe noch Papierlappen waren, hatte er fünf davon, jeder mit einer anderen Legende. Hergestellt wurden sie in der Pullacher Abteilung 6: den Laboren der technischen Unterstützung, die auch Geheimtinte, Miniwanzen, Kameras in Feuerzeugen, Aktentaschen oder Hirtenstöcken entwickelten und praktische Gimmicks wie die Haarbürste mit Geheimklappe. „Die haben im Prinzip dasselbe gemacht wie Q in James Bond. Nur Waffen haben sie keine gebaut.“ Damals, im Kalten Krieg, als noch Spion gegen Spion antrat, hätte er sowieso keine gebraucht. Denn die Geheimdienstler der Blockmächte gingen miteinander um wie Gentlemen, sagt er. Gut, da war die Sache mit dem bulgarischen Dissidenten, der 1978 in London vom Geheimdienst seines eigenen Landes mit einer vergifteten Regenschirmspitze ermordet wurde. „Aber das war die absolute Ausnahme.“ Schneiders Begegnungen mit seinen Pendants vom KGB dagegen verliefen immer höflich, beinahe freundschaftlich. Vielleicht war das so, denkt Schneider, weil einen damals als Geheimagent viel mehr mit dem Gegner verband als mit einem Pullacher Bürger. Und weil jenseits der Fronten und Mauern ohnehin niemand verstanden hätte, was Männer wie Schneider beschäftigt. Der BND spaltet die Identität seiner Mitarbeiter in dienstlich und privat, er macht sie einsam, früher noch mehr als heute. „Beim BND beginnt jede neue Beziehung mit einer Lüge“, sagt Schneider. „Fragt eine neue Bekanntschaft nach dem Beruf, sagt man: Bundesvermögensverwaltung. Erst wenn es ernst wird, rückt man mit der Wahrheit heraus. Und dann heißt es: Du hast mich einmal belogen, du wirst es wieder tun. Daran sind schon viele Beziehungen zerbrochen.“ Mit Klaus Kinkel, dem ersten Zivilisten im Amt des BND-Präsidenten, entspannten sich viele rigorose Sicherheitsvorschriften. Ende der Achtziger durften die Nachrichtendienstler ihre Wurstsemmel endlich auch im Ort kaufen, ihre Halbe auch im Pullacher Biergarten trinken. Immer noch incognito, versteht sich, für den Fall, dass das reizende Fräulein am Tresen doch vom MfS kam. „Einsamkeit macht immer anfällig für Anwerbeversuche“, sagt Schneider. Schon deshalb besuchen die Damen und Herren vom BND die Pullacher Schenken meist gruppenweise. Die Codenamen hat Schneider bis heute drauf, FA 99 für die Waldwirtschaft oder FA 96 für den Sollner Hof. Erkennt man am Nachbartisch Kollegen aus der anderen Abteilung, geht man grußlos vorüber, damit im Ort niemand Fragen stellt. Schneider entschuldigt sich, er muss kurz aufs Klo. Auf dem Weg leert er noch schnell sein halbvolles Glas. Auch das ist so eine Routine aus der Dienstzeit. Wer weiß, was einem in der Zwischenzeit alles ins Getränk gemischt werden kann. Schließlich wurden die Decknamen abgeschafft, das unbedingte Berufsgeheimnis gelockert, Ende der Neunziger durften die BND-Mitarbeiter sogar wieder Klarkennzeichen an ihre Fahrzeuge schrauben. Frühe Ergebnisse einer langen Reihe von Versuchen, den Mythos der obskuren Schlapphüte durch das Bild eines seriösen, flexiblen und effizienten Global Players zu ersetzen. Mit der Verlegung der Zentrale nach Berlin findet sie ihren vorläufigen Höhepunkt. Während die Nachricht vom bevorstehenden Umzug in der Gemeinde Hoffnungen weckt, löst sie 2003 im Dienst wenig Begeisterung aus. Sie kommt Tage nach dem offiziellen Beschluss, per Rundmail. Die Belegschaft, größtenteils samt Familien in Oberbayern verwurzelt, kann der Idee, ins preußische Ausland zu übersiedeln, wenig abgewinnen. Das Bodenpersonal des BND fühlt sich überrumpelt und reagiert auf seine Weise: Lokalzeitungen werden anonyme Wutschriften zugespielt, der Betriebsrat organisiert Demonstrationen vor der Präsidentenvilla, 20 bis 30 Leute, immer montags nach Dienstschluss. Der Mann, der früher unter dem Decknamen „Dali“ operierte, versteht das gut. Wilhelm Dietl war bis 1993 für den BND als Spion im Ausland tätig, beschaffte im Nahen Osten und in Asien politische, vor allem aber militärische Informationen. Schon aus Sicherheitsgründen wurde er selten nach Pullach eingeflogen, nur für gelegentliche Konferenzen und Notfälle, so wie damals, als ein Anschlag auf das Goethe-Institut in Syrien geplant war, und er direkt an den Präsidenten berichten sollte. Aber wenn es ihn einmal in die BND-Zentrale verschlug, war er jedes Mal baff: „Ich kenne keinen Ort, an dem die Bürokratie so auf die Spitze getrieben wurde wie dort“, sagt Dietl. „Aber ich habe auch noch nie von einer derartig schönen Geheimdienstzentrale gehört. Die Bäume, die Isar, die Luft, die alten Häuser – oft kam mir Pullach vor wie ein Robinson-Club.“ Kein Wunder, dass viele Mitarbeiter sich nicht in die Großstadt treiben lassen wollten. Rückendeckung bekommen die Umzugsbremser vor allem aus der CSU, die um ihre traditionell guten Kontakte zur BND-Führung bangt und in ihrem Abzug nach Berlin ein rot-grünes, kontrollwütiges Komplott gegen den Freistaat wittert. CSU-Mann Florian Hahn, der für Pullach zuständige Bundestagsabgeordnete, hält die meisten Umzugsargumente für vorgeschoben: „Man wolle sparen, hieß es, aber die explodierenden Kosten für den Umzug haben das ad absurdum geführt. Sicherheit, hieß es, dabei weiß jeder Pullacher, dass sich die Zentrale hier leichter schützen lässt als in der Hauptstadt“, sagt er. Kürzere Dienstwege zwischen BND und Politik? „Da lacht im Zeitalter des Internets doch jedes mittelständische Unternehmen!“ Als ausgerechnet die FDP bei den diesjährigen Haushaltsplanungen vorschlug, den Standort Pullach ganz zu schließen, stellte Seehofer sich erfolgreich quer. Doch bei Hahn rufen bis heute Nachrichtendienstler an, die besorgt sind, auch nach dem Umzug könnten sukzessive noch Pullacher Stellen nach Berlin verlegt werden. So lange, bis die ehemalige Spionagefestung an der Isar zum Abwrackhof für ausgediente Agentenmodelle verkommt. Tatsächlich soll der BND allein in den vergangenen Jahren fast 2000 Mitarbeiter ausgewechselt haben, um die Beamtengarde der alten Schule gezielt mit jungem, ideologiefreiem Talent zu ersetzen. Das kränkt die Altgedienten, und es kränkt Schneider. „Ich bin froh, das alles hinter mir zu haben“, sagt er. Schon vor seiner Pensionierung zu Anfang des Jahrtausends sei das Betriebsklima von Bürokratie und internen Grabenkämpfen der beratungsresistenten Leitung vergiftet gewesen. Er braucht das alles nicht mehr. Auch nicht die wöchentlichen BND-Rentnerstammtische im Münchner Süden – und schon gar nicht das Seniorenfest, zu dem der Präsident jeden Sommer in ein Bierzelt hinter der Bormann-Villa einlädt. Ein Paar lässt sich am Nachbartisch nieder, Schneider hört sofort auf zu sprechen. „Lassen Sie uns rausgehen“, sagt er schließlich. Die Sonne senkt sich langsam über Pullach, der Ex-Agent blickt auf die Bahnschienen im Abendrot. Berlin, sagte BND-Präsident Uhrlau, sei die Chance, sich von den „kalten Kriegern“ zu lösen. Schneider findet schon den Satz zum Kotzen. „Jeder, der ein bisschen Erfahrung im Dienst hat, ist ein kalter Krieger“, sagt er. „Und ohne sie? Ohne sie hat beim Geheimdienst niemand mehr eine Ahnung.“

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