
- Wo Anarchokommunisten das Bataillon Asow unterstützen
In Kiew blühen die Magnolien, die Menschen genießen die warmen Maitage, ohne Artillerielärm aus den Vororten und Sirenen. Doch eine Angst lässt sie nicht los.
So sehen sie also aus, die ukrainischen Patrioten, die ihre Heimat gegen den russischen Aggressor verteidigen. Gajane, Maria und Ilja sitzen auf einer Bank im zentral gelegenen Botanischen Garten. Gestern ist Ilja 26 Jahre alt geworden, heute feiern die Freunde zusammen.
Alle drei sind vom Film: Ilja schreibt Drehbücher, Maria ist Szenenbildnerin, Gajane Dokumentarfilmerin. Gajane ist gerade erst aus Charkiw zurückgekommen, hat über Wochen Material gesammelt über den Krieg in einem Vorort der ukrainischen Millionenstadt an der Grenze zu Russland. Sie hat dort erlebt, wie Kassettenbomben ganz in der Nähe explodiert sind, hat gesehen, was Streumunition mit Menschen macht, die davon getroffen werden.
Die drei scheinen ausgelassen an diesem warmen Frühlingstag, an dem um sie herum Magnolien blühen und Kinder gegenüber auf einem Klettergerüst spielen. „Uns geht es gut, weil wir im Park sitzen können und es keinen Fliegeralarm gibt. Aber in jedem Lächeln stecken Tränen über das, was gerade passiert“, sagt Ilja.
Der Odessit Ilja, mit schwarzen Stiefeln, Ohrring und Flickenhose, wirkt wie ein Künstlertyp, der so auch in Berlin-Kreuzberg sitzen könnte. Tatsächlich bezeichnet er sich selbst als „Anarchokommunisten“. Aber auch Ilja hat nach Beginn des Krieges rund um Kiew geholfen, Barrikaden zu bauen, die schmale Gajane war sogar mehrere Wochen in der „Territorialnaja Oborona“, der bewaffneten Bürgerwehr. „Wir sind die Etappe, der Rücken für die Soldaten“, sagt Ilja. „Wir versuchen alle, unseren Teil zum Sieg beizutragen. Und deshalb werden die Russen verlieren.“
Aber was hält er von den rechtsradikalen Mitgliedern des Asow-Bataillons? „Ich unterstütze Asow und die anderen Rechtsradikalen in der Armee, weil sie heute unsere Freiheit und damit unser Recht schützen, Linksradikale zu sein“, antwortet Ilja. Es ist eine Frage, die sich für ihn im Prinzip schon 2014 geklärt hat: „Auf dem Maidan standen wir, die Linken und die Rechten, in einer Kette. Was uns verband, war der Kampf für die Freiheit.“ Die Frage, wer Recht hat, Anarchokommunisten wie er oder die Rechtsradikalen, werde man nach dem Sieg klären. „Das ist doch das, wofür Europa steht, oder?“, fragt Ilja. „Die Demokratie, die Freiheit, zu denken, was man will.“
Ilja, geboren in Odessa, hat seine ersten Worte auf Russisch gesprochen, es ist seine Muttersprache. „Aber niemand unterdrückt mich. Niemand muss mich retten!“, sagt er im Hinblick auf die von Putin behauptete Repression russischsprachiger Ukrainer. Gajane, aus einer armenischen Familie stammend, aber in der Ukraine aufgewachsen, sagt: „Seit Beginn des Kriegs ist mir klar geworden: Ich bin Ukrainerin.“
Wie sehr sich die Ukrainer, obwohl viele von ihnen auch Russisch sprechen, von den Russen unterscheiden, ist ihnen in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn endgültig klar geworden: Sie haben immer wieder mit russischen Freunden gesprochen, die gegen den Krieg sind, die sich aber nicht trauen, auf die Straße zu gehen. „Wir Ukrainer haben gezeigt, wie es geht, wie man gegen die Polizei kämpft: Einen angreifen bedeutet minus einen Polizisten und plus eine Schutzausrüstung für dich. Das müssen die Russen jetzt auch tun: Auf den Manegenplatz in Moskau, den Rücktritt Putins fordern, den Rücktritt der ganzen politischen Führung!“, sagt Ilja. Dass sie es nicht tun, hat die drei bitter enttäuscht.
Ilja schreibt seit knapp einem Jahr an einem Drehbuch für einen Film über den Dritten Weltkrieg, der in der Apokalypse endet. „Anschauungsmaterial“ hat er über die zwei letzten Monate zur Genüge bekommen. Natürlich wünschen sie alle sich ein baldiges Ende des Kriegs. Und haben gleichzeitig eine große Furcht: die Atombombe, die sie aus heiterem Himmel treffen könnte. In vielen Gesprächen in Kiew ist immer wieder vom 9. Mai die Rede, der „Tag des Sieges“. Wird Putin in den Tagen zuvor oder am Tag den Befehl zum Nuklearschlag geben, um eine Art Sieg Russlands zu demonstrieren?
„Ich bin überzeugt, dass Putin den Befehl dazu geben wird“, sagt Gajane. „Aber wir sind Humanisten. Und deshalb hoffen wir darauf, dass es in der Befehlskette einen geben wird, der sich weigern wird, den Befehl auszuführen.“ Aber selbst wenn es passiert, werde das den Widerstandswillen der Ukrainer nicht brechen: „Wir wollen keine Kolonie der Russen sein, kein Teil des Imperiums.“
Und an diesem sonnigen Tag, mitten in der europäischen Millionenstadt Kiew, sagt Ilja, der gerade seinen 26. Geburtstag feiert, den Satz: „In dem Moment, in dem wir sterben, werden wir nicht bereuen, dass wir hiergeblieben sind.“