Die vier Kandidaten, die übrig geblieben sind – Hoffnungsträger sehen anders aus / picture alliance

SPD-Parteivorsitz - Die Sozis suchen ihren „X-Faktor“

Wo ist die Person, die die Wähler wieder für die SPD gewinnt? Die vier verbleibenden Kandidaten im Rennen um den SPD-Parteivorsitz wirken dazu nicht fähig. Es gibt aber jemanden, der das könnte – dieser Jemand ist das Tafelsilber der Partei

Stephan-Götz Richter

Autoreninfo

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur des Online-Magazins „The Globalist“, zusätzlich schreibt er auf seiner deutschen Webseite. Er hat lange Jahre in Washington, D.C. verbracht und lebt und arbeitet seit 2016 in Berlin.

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Die SPD sucht nach ihrem „X-Faktor“. Die vier im Rennen um den Parteivorsitz verbliebenen Kandidaten allerdings wirken wie ein emotionaler Totalausfall. Keiner von ihnen vermag echte Hoffnung, geschweige denn Begeisterungsstürme auszulösen.

Olaf Scholz und Walter-Borjans sind (oder waren) Finanzminister von Beruf und somit von einem biederen Charme beseelt. Daran ändert auch der Versuch von Olaf Scholz nichts, in der Schlussphase der Wahlkampagne um den Parteivorsitz immer wieder Spurenelemente von persönlicher Verschmitztheit im Gesichtsausdruck herauszukehren. 

Ein Neuaufbruch sieht anders aus

Klara Geywitz und Saskia Esken, ihre Partnerinnen im Rennen um den Parteivorsitz, wirken eher wie maschinenhaft-ratternde Herunterbeter von Politikmonologen denn als frische Impulse. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass sie sich im Minenfeld des innerparteilichen Ideologiegefechts bewegen müssen. In jedem Fall verkörpern auch sie die „alte“ SPD. Ein Neuaufbruch sieht anders aus. 

Dabei wird die Relevanz einer Person, die die Wähler für sich gewinnt, zunehmen – angesichts der steigenden Komplexität der Sachthemen, die den meisten Bürgern kaum mehr zu vermitteln ist. Es kann für das Führungspersonal einer Partei schlachtentscheidend sein, durch solche Persönlichkeiten eine gewisse Bindungskraft zu entfalten. Wie sehr Telegenität und politischer Wagemut auch ideologieübergreifend zählt, kann man aktuell an der neuen INSA-Umfrage erkennen, der zufolge Sahra Wagenknecht zur beliebtesten deutschen Politikerin aufgestiegen ist.

Totengräber der Sozialdemokratie

Die aktuellen Kandidatenpaare wirken auf das breitere Publikum eher wie Totengräber der deutschen Sozialdemokratie. Es ist ein deutliches Indiz, dass das Rennen um den Vorsitz selbst innerhalb der Partei wenig Begeisterung weckt. Wenn alles gut läuft – was für den Parteigranden Olaf Scholz keineswegs sicher ist – werden er und seine Partnerin in der Endabstimmung ein Wahlergebnis erzielen, dass etwa bei der Zustimmungsquote für die Große Koalition auf dem SPD-Parteitag im Januar 2018 liegt (56,4 Prozent). 

Welches Paar auch immer die Mehrheit bei der Mitgliederabstimmung und auf dem SPD-Parteitag Anfang Dezember erhält, die Partei dürfte trotz des temporären Aufschwungs nach dem Grundrente-Beschluss weiter dahindarben. Das innerparteiliche Sperrfeuer wird so oder so wieder stärker.

SPD und Linke als eine Partei?

Die historische Leistung der Partei, gerade auch im Kaiserreich und der Weimarer Republik, ist unbestreitbar. Aber die Grünen haben der SPD den Schneid als Partei der Moderne abgekauft und sind zu geschickt und diszipliniert, um diese Positionierung wieder herzugeben. Auch hilft es nicht, wenn sich die Sehnsüchte vieler Funktionäre der SPD auf eine Art Wiedervereinigungsparteitag mit den Linken richten. 

Dabei müsste die SPD den emotionalen Hungertod, der sich entweder mit Scholz/Geywitz oder Walter-Borjans/Esken abzeichnet, gar nicht sterben. Die Partei hat eine Person in ihren Reihen, die einen enormen „X-Faktor“ aufweist. Der ist so groß, dass er an die zwischenmenschlich und überparteilich transzendierende Reichweite eines Willy Brandt erinnert. Diese Person weist den Appeal von Helene Fischer zu ihren triumphalsten „Atemlos“-Zeiten auf –  rein politisch gesehen natürlich. Das ist weder despektierlich gemeint noch bedeutet es eine Banalisierung des politischen Geschäfts. Politik wird nun einmal auf vielen Kanälen verkauft.

Die „Giffey“

Diese Person ist Franziska Giffey. So authentisch wie Willy Brandt, so im Einklang mit dem Volksgefühl wie Helene Fischer. Der „Giffey“ sieht man – nach dem Motto menschlich, allzu menschlich – selbst die akademischen Unsauberkeiten bei ihrer Doktorarbeit nach. 

Wenn sie über politische Themen wie das „Gute-Kita-Gesetz“ spricht, ist das deutsche Publikum verzaubert. Selbst auf eingefleischte Christdemokraten kann sie betörend wirken. Dabei ist sie weniger eine Wiederauferstehung von „Kohls Mädchen“ aka Angela Merkel, einer anderen Ostdeutschen. Giffey, die ausgebuffte Politikerin, kann Politik mit einem unschuldig wirkenden Charme verkaufen, der bei den Deutschen gut ankommt.

Zwischenziele

Vor allem vermag sie es, perfekt kondensierte Botschaften über hochkomplexe Themen zu verkaufen, die wir betört aufnehmen. Kein Wunder, wenn Franziska Giffey wie die letzte Hoffnung der deutschen Sozialdemokratie daherkommt. Die eine Frau, die den marode gewordenen Laden gewinnbringend vertreten könnte. Auch wenn sie weiterhin vorgibt, maximal als SPD-Kandidatin für den Posten des Regierenden Bürgermeisters in Berlin ins Rennen gehen zu wollen: Eine bessere Verkäuferin wird die SPD nicht finden. Aber Giffey sträubt sich weiter gegen die Idee, Vorsitzende der SPD zu werden. 

Diese Überlegung gilt umso mehr, als die beiden anderen fachlich kompetenten, persönlich authentisch und menschlich gewinnend wirkenden Spitzenpolitikerinnen – Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz – krankheitsbedingt nicht im Rennen sind. Das mag die eigentliche Tragik der SPD sein.

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Klaus Funke | Do., 28. November 2019 - 17:08

Merken die nicht wie sie sich selber abschaffen? Ein Jammerbild der Lächerlichkeit. Von solchen Figuren soll sich ein Volk führen lassen? Politisches Kasperletheater! Die SPD ist nicht mehr zu retten. Eine Narretei.

Per L. Johansson | Do., 28. November 2019 - 19:09

Antwort auf von Klaus Funke

„Schlachtentscheidend“ für das „Führungspersonal“ sei „Telegenität“, „Appeal“,
,„unschuldig wirkenden Charme“, „Volksgefühl“ und „transzendierende Reichweite“, damit man die Wähler „verzaubert“ und „betört“? Denn Politik werde über „viele Kanäle verkauft“, da die Sachthemen den meisten Bürgern wegen ihrer Komplexität „kaum mehr zu vermitteln“ seien?
Das Ganze klingt wie ein Abgesang auf die Demokratie, nach dem Motto: War ne nette Idee, aber viel zu idealistisch. Das Volk ist doof, besser man stellt ihm ein paar adrette Hanseln (oder Greteln) hin, denen es freiwillig nachläuft.
Hat schließlich über Jahrtausende funktioniert, nannte sich Adel.
Hatte nur leider nix mit Freiheit zu tun.
Und dieser Artikel ist kein Einzelfall. Ich finde es erschreckend, wie offen inzwischen solche Ansichten, gerade unter Studierten, kursieren.
Unsere Freiheit bedroht kein „rechter“ Putsch, sondern das Versagen des Links"liberalismus", der die Werte vergißt, die ihn selbst an die Macht gebracht haben.

Ihrem Fazit, das Versagen des Links-Liberalismus, kann ich nur zustimmen.

Mit Ausnahme des Cicero aber ist es ja eben jene linksorientierte Presselandschaft, die genau diese Erkenntnis zu verdecken u. vertuschen versucht.

Ronald Lehmann | Fr., 29. November 2019 - 14:07

Antwort auf von Klaus Funke

Erinnert mich an ertrinkende, wo die Synapsen ausgeschaltet sind und Sie sich an jeden Strohhalm klammern, ohne jeder Vernunft.
Asche zu Asche. Aber Asche soll auch hervorragender Dünger für die nächste Generation sein ;-)
Mein großer Wunsch wäre mal eine neue Modellaufstellung & wahre Diskussion über das Parteiensystem. Hauptproblem werden nur dabei die "großen unbekannten Spieler" sein, die die Kugel des Geschehens durch Macht, Geld & Einfluss in ihre gewünschte Richtung lenken.
Und dann wär es wieder ......

Klaus Peitzmeier | Do., 28. November 2019 - 17:14

Genau, Herr Richter. War schon vor Monaten meine Meinung.
Giffey & Buschkowsky, weil es ja unbedingt ein Pärchen sein muß.
Borjans und Scholz mit Anhang gehen gar nicht.
Bestimmt seriös. Bestimmt nett. Aber nicht jeder ist zum Rennpferd geboren.

Bernd Muhlack | Do., 28. November 2019 - 19:32

Ich hatte gestern Geburtstag (58) und vorgestern vor 18 Jahren starb Regine Hildebrandt.
Sie war eine Politikerin aus Leidenschaft, mit Herz. Sie wurde leider nur 60j alt.
Ich war selten ihrer Meinung, jedoch war sie klasse. Frei Schnauze, keinerlei Rücksichtnahme auf "politische Gepflogenheiten", Correctness sagt man heute. Sie war echt, ehrlich, gerade aus.

Solche Kaliber sind der SPD (und nicht nur ihr!) vollkommen abhanden gekommen.

Wenn in diesem Artikel Frau (Dr.) Giffey über den grünen Klee gelobt wird, die Bevölkerung gar als von ihr verzaubert dargestellt wird, leben entweder der Autor oder ich in einer Parallelwelt.
Meiner Meinung nach ist diese Frau brandgefährlich, lächelt alles Störende weg, wie unsere Kanzlerin.
Es gibt immer wieder diese "Quotendebatte". Bei Zeitgenossinnen wie Giffey, Merkel, Roth, KGE, AKK etc. etc. müsste diese Quote auf NULL reduziert werden.
Denn es gibt keinen Mann/Div/LGBT welcher es schlechter machen könnte!
Niemand braucht Frau Giffey!

Ingo Kampf | Fr., 29. November 2019 - 18:32

Antwort auf von Bernd Muhlack

....hatte vom Westen und der Welt wenig Ahnung. Die Wiedervereinigungsphase 89/90 war sehr spannend und ich hörte damals den noch nicht nach links gerückten Deutschlandfunk sehr oft. Ich erinnere mich an ein Interview mit Frau Hildebrand, in dem sie die Gefahren der Marktwirtschaft mit den Worten kennzeichnete, „wir lassen uns nicht unter taiwanesische Löhne drücken!“
Das war mal eine Ansage. Ich sagte meiner Frau, die hat null Ahnung. Zunächst war Taiwan zu der Zeit ein moderner Staat der in der IT ganz oben stand. Und dann kann man nur die Löhne verlangen, der der Weltmarkt beriet zu bezahlen ist. Den Zusammenhang von Produktivität und Löhnen hatte sie aber allem kämpferischen Engagement nicht begriffen. Natürlich ist die Mutter Courage Brandenburgs viel zu früh gestorben. Aber, wie viele hatte sie zwar Herz (ganz wichtig) aber dank Sozialisation wenig wirtschaftlichen Verstand. Das geht noch bis heute in die höchsten Ränge!

Hans Krüger | Fr., 29. November 2019 - 22:09

Antwort auf von Bernd Muhlack

Werter Herr Muhlack ,Danke an Regine Hildenbrandt habe ich schon lange nicht mehr gedacht ,großartige Frau.Die hatte Charakter und ein Mundwerk wie ein Schwert .
Eine Frau Dr. Griffey wird auch nicht die SPD aus dem Sumpf ziehen ,wie eine Neues Duo an ihrer Spitze. Ein herausfordernden Zeit in der wir leben .

Heidrun Schuppan | Sa., 30. November 2019 - 11:42

Antwort auf von Bernd Muhlack

war eine Frau aus dem Osten – und sie vertrat auch ausnahmslos die Interessen der Ostdeutschen. Heute würde man sagen, sie spaltete, wie heute noch "Reste" davon bei einem G. Gysi zu sehen (und zu hören) sind. Ich verstehe immer noch nicht, weshalb diese Frau so glorifiziert wurde. Ich erinnere mich an Aussagen, die mich heute noch den Kopf schütteln lassen.

Christoph Wirtz | Fr., 29. November 2019 - 00:54

... ausgedrückt wird, teile ich gar nicht. Ja, sie wirkt recht empathisch und interessiert, besitzt auf jeden Fall eine größere Fähigkeit zur Attraktion als die aktuell zur Wahl Stehenden. Aber reicht das, um als ideale Besetzung des Vorsitzes der traditionsreichsten Partei des Landes zu gelten? Ist das nicht eher ein Krisensymptom, dass so jemand, nur aufgrund der Tatsache, dass sie "gut rüberkommt", ohne eine nennenswerte politische Biografie, gleich auf so einen Posten gehievt werden soll? Ich finde schon.

helmut armbruster | Fr., 29. November 2019 - 07:52

kein Mensch braucht ihren "unschuldig wirkenden Charme". Dessen Wirkung wird ebenso schnell verpuffen wie das "Charisma" von Martin Schulz verpufft ist.
Maulhelden bleiben eben Maulhelden, auch wenn sie sich noch so charmant oder charismatisch aufführen.

Lutz Peter Hofmann | Fr., 29. November 2019 - 08:34

Das Ergebnis des monatelangen Ringens um den Parteivorsitz der SPD ist vergleichbar mit der Zahl 42, die in einem SF Roman ein galaktischer Computer nach 1000 Jahren Rechenzeit, auf der Suche nach kosmischer Erkenntnis, ausspuckt. Niemand kann so recht was damit anfangen. Giffey sollte sich den Vorsitz nicht antun, sondern befreit, mit vernünftigen Konzepten punkten. Gegen eine ausgebrannte AKK wäre ihr zur nächsten Wahl die Pool Position sicher.

Klaus Burkhardt | Fr., 29. November 2019 - 10:46

DIESE Gute-Nacht-Tante! Der warme -Schlafzimmer-Gute-Laune-Blick? O Gott! Geht es noch?

Wolfgang Henning | Fr., 29. November 2019 - 13:12

Lieber Herr Richter, geht's nicht eine Nummer kleiner? Auch wenn man kein Anhänger der SPD ist, scheint der Vergleich von Franziska Giffey zu Willy Brandt, doch sehr überhöht.
Nennt man Plagiat heute, anders als bei Guttenberg und Schavan, "akademische Unsauberkeit"?
Frau Giffey "verzaubert" bestenfalls die Kinder, wenn sie in Kita's Märchen vorliest. Warum braucht es Adjektive, wie das "Gute-Kita-Gesetz", wenn ein Gesetz wirklich gut ist. Wenn sie damit "eingefleischte Christdemokraten betört", ist von der CDU nicht mehr viel zu erwarten.
Frau Giffey "verkauft" Politik nicht mit "unschuldigem Charme", und schon gar nicht mit "perfekt kondensierten Botschaften", die wir "betört" aufnehmen. Wenn diese "Kindergartentante" also die letzte Hoffnung der SPD sein soll, ist s wirklich schlimm um die Sozialdemokraten bestellt.
Ihr Ziehvater, Heinz Buschkowsky, hat sich längst von ihr distanziert.

Ernst-Günther Konrad | Sa., 30. November 2019 - 06:54

Antwort auf von Wolfgang Henning

Ich will nichts mehr zum Thema SPD schreiben bis die ihr Vorsitzenden-Duo gewählt haben. Dann vielleicht wieder. Alle Kommentatoren schreiben im Grunde das, was auch denken. Aber ich möchte insbesondere Ihrem Kommentar zustimmen, weil er sehr sachlich und fundiert in kurzer Form auch meine Sicht der Dinge zu 100% wiedergibt. Dafür herzlichen Dank.

Werner Peters | Sa., 30. November 2019 - 11:34

Die einzige Person, die die SPD retten könnte, ist nicht Frau Franziska Giffey. Sie heißt Sarah Wagenknecht!