Eine Anlage des Chemiekonzerns BASF in Ludwigshafen / picture alliance

CDU-Vize Carsten Linnemann - Exklusiv für Xing-Leser: „Robert Habeck setzt unser industrielles Rückgrat aufs Spiel“

Carsten Linnemann hat ein neues Buch geschrieben, in dem er die Mängel des politischen Betriebs selbstkritisch seziert. Der Vorsitzende der CDU-Grundsatzkommission spricht im Interview mit Cicero über Politiker ohne Berufsausbildung, das ideologiegeleitete Krisenmanagement von Wirtschaftsminister Robert Habeck und erklärt, warum seine Partei das Bürgergeld ablehnt.

Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Carsten Linnemann ist Vize-Chef der CDU und Vorsitzender der Grundsatzkommission. Bis 2021 war Linnemann Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU. Bei der letzten Bundestagswahl holte er das Direktmandat im Wahlkreis Paderborn.

Herr Linnemann, der Titel Ihres neuen Buches „Die ticken doch nicht richtig!“ greift die große Politikverdrossenheit in der Bevölkerung auf. Trägt der Politikbetrieb auch eine Mitschuld an dieser Entwicklung?

Ja, der Politikbetrieb trägt eine erhebliche Mitschuld an der Politikverdrossenheit. Seit Jahren werden unverzichtbare Reformen in der Politik schlichtweg verpennt. Jeder sieht, dass das Gesundheitssystem vor dem Kollaps steht und das Rentensystem erodiert. Die Politik darf daher nicht nur im Krisenmodus agieren, sondern muss endlich auch schwierige Herausforderungen angehen, die schon seit Jahren immer dringlicher werden. Doch wenn wir dafür Akzeptanz erzielen möchten, sollten wir selbstkritisch bei uns anfangen. 

Was meinen Sie damit?

Es braucht dringend Reformen im Politikbetrieb. In meinem Buch mache ich konkrete Vorschläge, angefangen bei der Verkleinerung des Deutschen Bundestages und der aufgeblähten Ministerien. Auch sollte über eine Amtszeitbegrenzung der Kanzlerschaft und über die Abschaffung der Pensionen für Bundestagsabgeordnete nachgedacht werden. Wenn wir einige wenige dieser Dinge umsetzen, werden wir Politikverdrossenheit abbauen und dieses Land auf Zukunft trimmen können. 

Sie waren als Volkswirt bereits vor Ihrem Einzug in den Bundestag erfolgreich und können sich ein Leben außerhalb der Politik vorstellen. Gehören Sie im Politikbetrieb damit einer Minderheit an?

Carsten Linnemann
Carsten Linnemann / picture alliance

Ich hoffe, dass kein Abgeordneter an seinem Stuhl klebt und beruflich auf eigenen Beinen stehen kann, wenn es drauf ankommt. Denn wenn er das kann, hat er eine ganz andere Unabhängigkeit und sagt auch das, was er denkt. Deswegen sollte das eine Grundvoraussetzung für jeden gewählten Politiker sein. Ich verstehe auch jeden Bürger, der sagt, dass ein Mensch ohne Berufserfahrungen keinen realistischen Einblick darin haben kann, wie die Realität vor Ort aussieht.

Konzentrieren wir uns auf Ihre Partei. Die CDU hat auf ihrem letzten Parteitag eine Frauenquote eingeführt. Ist die CDU noch eine glaubwürdige konservative Partei?

Die CDU ist eine konservative Kraft. Das sehen wir daran, dass wir in den letzten Jahren nicht nur die Schuldenbremse eingehalten, sondern auch die schwarze Null umgesetzt haben. Das hätte keine andere Partei im Deutschen Bundestag so geschafft. Daher ist und bleibt die CDU eine konservative Partei. Mit Blick auf die Frauenquote sage ich als Vorsitzender der Grundsatzkommission, dass wir immer vom Individuum ausgehen und nie vom Kollektiv. Da der Einzelne ein Unikat ist, sollten wir ihn auch nicht auf äußerliche Merkmale reduzieren. Das ist auch der Grund, warum ich die Frauenquote abgelehnt habe. Letztlich haben wir uns nach einer jahrelangen Debatte auf einen Kompromiss geeinigt. Auch das ist Demokratie. 

Wie kann die CDU nach einem 16-jährigen Mitte-Kurs unter Angela Merkel im politischen Wettbewerb wieder unterscheidbarer werden?

Indem wir nicht bereits mit einem Kompromiss in die Öffentlichkeit gehen. Es braucht künftig 100 Prozent Union. Die Partei muss immer offensiv und selbstbewusst vorangehen und eine klare Haltung einnehmen. Das müssen wir erst wieder lernen, da wir in den vergangenen 16 Jahren Legislaturperioden teilweise gar nicht mehr wussten, was der Unterschied zwischen dem Kanzleramt und der Partei ist. Das hat der Partei geschadet. Daher ist auch das Grundsatzprogramm jetzt so extrem wichtig. Wir brauchen am Ende 5 bis 10 zentrale Positionen, die für uns unverrückbar sind und uns in der Sache von anderen Parteien unterscheiden. Und da sind wir auf gutem Wege. Wir benötigen ein wenig Geduld, aber wir werden für die Partei ein sehr gutes Ergebnis erarbeiten. 

Braucht die CDU wieder mehr klare Kante, um in der Öffentlichkeit mit ihren Forderungen durchdringen zu können? 

Wir brauchen mehr klare Kante, die sachlich begründet ist und in der Debatte eben nicht moralisch überhöht. Denn das ist das beste Prinzip, um erfolgreich und pragmatisch Politik zu machen. 

 

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Die CDU hat unter Angela Merkel den Ausstieg aus der Atomkraft und den Bau von Nord Stream 2 beschlossen. Wie groß ist der Anteil der CDU daran, dass wir uns in einer historischen Energiekrise befinden?

Wir waren lange Zeit zu naiv im Umgang mit Russland, und auch mich überzeugte das außenpolitische Konzept des Wandels durch Handel. Zugegeben gehörte ich ebenfalls nicht zu den Kritikern von Nord Stream 2. Wir müssen uns auch selbstkritisch ankreiden, dass die CDU im Zuge des Atomausstiegs 2011 keine vernünftige Strategie entwickelte, wie die Energieversorgung des Landes auch ohne Kernkraft sichergestellt werden kann. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die meisten Parteien Gas als Brückentechnologie gesehen haben, um in die erneuerbaren Energien reinzukommen.

Wie bewerten Sie das Krisenmanagement des Wirtschaftsministeriums zurzeit unter Robert Habeck? 

Mangelhaft. Der CDU kann sicherlich einiges vorgeworfen werden, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist. In einer Krise haben wir in der Geschichte allerdings immer das Parteibuch beiseitegelegt und uns der Notsituation gestellt. Doch das Bundeswirtschaftsministerium diskutiert bis in die kleinste parteiideologische Verästelung, anstatt endlich entschieden zu handeln. Auch acht Monate nach dem schrecklichen Kriegsausbruch in der Ukraine haben die Haushalte und der Mittelstand noch immer keine Planungssicherheit. Zudem sind die staatlichen Unterstützungen bezüglich der horrenden Energiekosten ungenügend. Robert Habeck setzt das industrielle Rückgrat unserer Volkswirtschaft aufs Spiel. Wenn die Unternehmen erst einmal weg sind, sieht es düster aus. Daher muss das Wirtschaftsministerium dringend aufwachen. Die Ampel-Koalition kann dabei auf die Unterstützung der Union zählen.

Was hätten Sie in den letzten Monaten anders gemacht als das Bundeswirtschaftsministerium? 

Wir hätten die Auszahlungen der Staatshilfen über die Finanzämter organisiert und KfW-Kredite mit einer 100-prozentigen Staatsgarantie gebilligt. Außerdem wären die Staatshilfen bereits ausgehändigt, da wir im Vergleich zur Ampel-Koalition gesehen hätten, was derzeit auf dem Spiel steht. Die Rezessionen in der Nachkriegsgeschichte waren wie die Ölkrise in den 1970er-Jahren oder die Finanzkrise 2008 allesamt eindimensional. Zum ersten Mal in unserer Geschichte fahren alle Züge aufeinander zu. Die Probleme des Fachkräftemangels, der Lieferketten und der Energieversorgung hängen eng zusammen und gefährden unseren Wohlstand existenziell. Daher hätten wir nicht gezaudert, sondern entschieden.

Die Grünen waren in der Ampel-Koalition gegen den Weiterbetrieb der verbleibenden Atomkraftwerke und sprechen sich gegen Fracking aus. Ist den Grünen ihre eigene Ideologie wichtiger als Arbeitsplätze und bezahlbare Strompreise?

In der Frage der Kernkraft hatte man den Eindruck, dass nicht das Wohl Deutschlands orientierungsgebend war, sondern ideologische Erwägungen. Wenn es in einem Ort brennt, frage ich nicht erst, wie sperrig die Straße ist. Dann stelle ich mich hin und versuche, alles zu tun, damit die Feuerwehr durchkommt. Und diese Notsituation haben wir jetzt. Deshalb sollte man das Angebot an Energie mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausweiten. Und ich bin mir sicher, dass wir im Frühjahr eine Debatte über eine abermalige Verlängerung der Kernkraftwerke führen müssen. 

 

 

Die Einführung des Bürgergeldes ist vergangene Woche an der Enthaltung der Union im Bundesrat gescheitert. Was sind Ihre Hauptkritikpunkte an dem Gesetzesentwurf?

Das komplette Gesetz geht in die völlig falsche Richtung. Es streicht den Begriff des Forderns und konzentriert sich ausschließlich auf das Fördern. Zweifelsfrei gibt es sehr viele Menschen in Deutschland, die Unterstützung brauchen, da sie aus körperlichen und psychischen Gründen nicht arbeiten können. Aber es gibt auch viele, die es aus Bequemlichkeit schlichtweg nicht möchten. Wir leben in einem Sozialstaat, der nur dann funktionieren kann, wenn er gerecht ist und in der Mitte der Gesellschaft auf Zustimmung stößt. Das zentrale Ziel eines Sozialstaates sollte daher sein, die Eigenverantwortung seiner Bürger zu fördern. Im Notfall müssen die Behörden auch in der Lage sein dürfen, Sanktionen gegen Erwerbslose zu verhängen, die keinerlei Anstrengungen zeigen. Die geplante Vertrauenszeit der Ampel-Koalition möchte das jedoch außer Kraft setzen.

Verspielt die Union durch die Ablehnung des Bürgergeldes nicht ihr Profil als soziale Partei?

Nein, ganz im Gegenteil. Essenziell für mein Verständnis einer christlichen Partei ist für mich das Prinzip der Subsidiarität. Das bedeutet, wir müssen jenen Erwerblosen mit allen Mitteln helfen, die gerne arbeiten möchten, aber es nicht können. Und dafür gibt es dann die Hilfe unserer Solidargemeinschaft. Aber jeder, der arbeiten kann, der sein Leben selbst in die Hand nehmen kann, muss dieses auch tun, sonst kann sich unser Land auf Dauer kein Sozialsystem mehr leisten.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil warf Friedrich Merz vor, er würde in der Debatte um das Bürgergeld Falschbehauptungen im Stil Donald Trumps verbreiten. Was denken Sie darüber?

Als Demokrat möchte ich Lars Klingbeil an dieser Stelle eindringlich warnen. Friedrich Merz und Donald Trump zu vergleichen, ist nicht nur völlig daneben, sondern auch gefährlich für unsere Demokratie. Es führt zu einer Verrohung der Sprache, wenn wir nur noch in Extremen und Superlativen miteinander diskutieren. Die politische Kultur unseres Landes ist in Gefahr, wenn wir uns in Schlammschlachten gegenseitig die Integrität absprechen. Aus politischen Wettbewerbern dürfen keine Feinde werden. Daher sollte unsere Debatte immer von einem faktenbasierten Ton des Anstands und Respekts geprägt sein.

Wie könnte ein Kompromissvorschlag seitens der Ampel-Koalition aussehen, den sie als Unionsparteien unterstützen würden?

Das müsste ein Kompromissvorschlag sein, in dem auch das Prinzip des Forderns berücksichtigt wird. Wenn wir einen solchen Gesetzesvorschlag auf den Tisch gelegt bekommen, werden wir der Ampel-Koalition auch unsere Unterstützung zusagen. Denn eines ist klar: Einen radikalen Systemwechsel unseres Sozialstaates zulasten der hart arbeitenden Mitte der Gesellschaft wird die Union nicht mittragen.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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