USA und EU im Ukraine-Krieg - G7- und Nato-Gipfel: Vereint gegen Russland, vereint gegen China

Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Wladimir Putin paradoxerweise das westliche Bündnis zwischen Europa und den USA gestärkt. Auch China, das den Abstieg der USA pausenlos propagiert hatte, sieht nun wider Erwarten seine geopolitischen Ziele gefährdet. Allerdings hat das westliche Bündnis noch eine offene Flanke, schreibt Thomas Jäger.

„Rolle des westlichen Anführers“: Joe Biden mit Olaf Scholz beim G7-Gipfel in Elmau / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Dass die internationale Ordnung nicht von den USA alleine dominiert werden dürfe ist der Kernsatz russischer Außenpolitik unter Präsident Putin. Ihn treibt ein pathologischer Hass gegenüber dem Land an, das den Ost-West-Konflikt gegen die Sowjetunion erfolgreich bestand. Es ist eine weitere Paradoxie des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, dass Putin genau das gefördert hat, was er verzwergen wollte: den Anspruch der USA, die demokratischen Staaten anzuführen. Das betrifft derzeit nicht alle Demokratien, wie der konstante Hinweis auf Brasilien, Indien und Südafrika belegen soll.

Doch je länger die politische und wirtschaftliche Isolierung Russlands andauert, je folgenreicher die Sanktionspolitik sich auch auf andere Staaten auswirkt und je sichtbarer wird, dass Russland seine Ziele im und mit dem Krieg nicht erreichen kann, desto weiter werden sich die Kalkulationen in denjenigen Staaten verändern, die jetzt versuchen, durch eine Schaukelpolitik zwischen dem Westen und Russland ökonomische Vorteile zu erzielen.

Der vermeintliche Abstieg der USA 

Denn das BRICS-Modell (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) steht als internationale ordnungsprägende Alternative nicht wirklich zur Verfügung. In der Diskussion der letzten Wochen wurde es so hingestellt, als seien die an Bevölkerung, Territorium und wirtschaftlichen Erwartungen großen Staaten gerade dabei, die internationalen Beziehungen neu zu ordnen. Was in den Nullerjahren als Suche nach Investitionschancen in Schwellenländern begann, hat sich zwar (erweitert um Südafrika) institutionell gehalten. Doch sind die Unterschiede zwischen den fünf Staaten zu groß. Ökonomisch schreibt sich briCs inzwischen mit großem C, denn China dominiert diese Gruppe. Damit ist aber die tiefgreifende Rivalität zu Indien – der größten wirtschaftlichen Hoffnung in diesem Kreis – bestimmend. Was alle vereint, ist die Suche nach einem vorteilhaften Platz in einer Welt, in der die USA zunehmend an Einfluss verlieren.

Aber ist es wirklich so, dass der Abstieg der USA, wie es China pausenlos propagiert, ausgemacht ist? Es sieht so aus, als hätten sich die Prognosen hier erneut getäuscht. Nachdem Donald Trump die USA in jeder möglichen Hinsicht diskreditiert hatte, arbeitet die Administration Biden daran, dass „Amerika zurück ist“. Skepsis, vor allem aus Europa, begleitete diese Rückkehr zu Anfang – bis Präsident Putin den Angriffsbefehl auf Kiew gab. Denn damit war die Abhängigkeit Europas von amerikanischen Sicherheitsleistungen bestimmend, wollten die EU-Staaten nicht aus divergierenden Einschätzungen des Krieges ihre Integration gefährden. Präsident Biden brauchte sich die Rolle des westlichen Anführers nicht mühsam zu erarbeiten. Sie fiel ihm zu. Die drei Gipfel von EU, G7 und Nato, die den Juni 2022 zu einem Monat der westlichen Revitalisierung werden ließen, bestätigen dies.

Vereint gegen Russland 

Zuerst führte die Einigkeit der EU, der Ukraine und Moldau den Status eines Beitrittskandidaten zuzugestehen, dazu, dass der ordnungspolitische Konflikt zwischen dem imperialistischen Russland und dem Rest Europas, das sich verständigte, territoriale Grenzen nicht mehr mit Gewalt zu verändern, auf längere Dauer gestellt wurde. Und der EU-Gipfel erwies, dass es keinen europäischen Regierungschef gibt, der die Rolle des Anführers effektiv umsetzen kann. Die Ukraine, so hieß es dann auf dem G7-Gipfel, werde unterstützt „as long as it takes“.

Damit hat Russland keine Chance, seine politischen Ziele mit diesem Krieg zu erreichen – was nicht ausschließt, dass es die Ukraine weiter in Schutt und Asche legt, Zivilisten ermordet und Territorium besetzt. Aber es wird an der neuen Grenzziehung in Europa scheitern, solange die Einigkeit des Westens besteht, die EU beisammenbleibt und die USA in Europa engagiert bleiben. Das sind viele Bedingungen – und wenn Präsident Putin hoffte, auf den Gipfeln Spaltmaterial für seine Angriffe auf die europäischen Gesellschaften zu erkennen, wurde er enttäuscht. Diese Spaltungen der Gesellschaften zu verhindern, bleibt jedoch die wichtigste Aufgabe der europäischen Staaten in der Auseinandersetzung mit Russland. 

 

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Russland als chinesischer Tributstaat

Die Aufstockung der Schnellen Eingreiftruppe der Nato ist eine weitere, ebenso paradoxe wie erwartbare Folge des russischen Angriffskriegs. Um dem heimischen Publikum den Westen als russophoben Feind zu präsentieren, hätte es dieser Aufstockung nicht bedurft. Das vollzieht die russische Propaganda auch so. Aber Putins imperialistische Ziele geraten dadurch in weite Ferne, wenn es nicht gelingt, die USA zum Abzug aus Europa zu bewegen. Denn auch das ist eine paradoxe Folge des russischen Angriffskrieges: Europa steht wieder sehr weit oben auf der Prioritätenliste der USA. Darüber rangiert noch der pazifische Raum, aber es sah doch lange Zeit danach aus, als würde er Europa ganz von der Liste verdrängen. Das ist nun erst einmal vorbei.

Denn ebenso wichtig wie die verstärkte Abschreckung im Osten Europas gegen Russland ist die Kooperation der Nato mit pazifischen Staaten, von denen Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland am Gipfel teilnehmen. Denn China ist auch in Madrid der Elefant im Raum. Was direkt zur Frage führt, wie verhindert werden kann, dass Russland zu einem chinesischen Tributstaat wird, denn das würde westliche Sicherheitsinteressen konterkarieren. Solange Russland keine Status-quo-Autokratie ist, sondern imperialistische Ziele verfolgt, wird dies die Quadratur des Kreises. Für die Zeit danach steht die Diskussion über die wertegeleitete Außenpolitik noch an. Denn nicht alle Werte werden in Europa von allen geteilt werden. Dazugehören aber muss, dass die Androhung und Anwendung von Gewalt gegen souveräne Staaten ausgeschlossen sind.

Die Position der Türkei ist entscheidend 

Für China ist der G7-Gipfel von Interesse gewesen, weil dort ein Gegenprogramm zur Neuen Seidenstraße (mal wieder!) beschlossen wurde. So machte sich die Parteizeitung Global Times darüber auch lustig und kommentiert, dass die USA einfach nicht in der Lage seien, ein derartiges Infrastrukturprogramm aufzulegen. Falls die 600 Milliarden Dollar in den nächsten fünf Jahren von den G7-Staaten jedoch wirklich projektbezogen investiert werden, wird dies Chinas internationalen Einfluss eindämmen können. Dabei hofft China nicht nur darauf, dass die Umsetzung dieses Vorhabens erfolglos bleibt, sondern auch, dass die Meinungsunterschiede zwischen den USA und einigen europäischen Staaten keine ebenso klare Haltung gegenüber China finden lassen wie dies gegenüber Russland inzwischen gelang.

Wie intensiv die USA die Führungsrolle ausfüllen können, wird sich möglicherweise auch am bisher von der Türkei verhinderten Beitritt Finnlands und Schwedens zeigen. Ob die Türkei schon vor dem Gipfel erhält, was sie sich verspricht, oder erst später, ist zwar in jedem Falle unschön, aber keine ernste Krise. Möglicherweise gehen die USA schon davon aus, mit Erdogans Nachfolger nächstes Jahr entsprechende Vereinbarungen treffen zu können. Wichtiger ist, dass sich Präsident Erdogan, innenpolitisch und mit Blick auf die Wahlen nächstes Jahr unter erheblichem Druck, bisher geweigert hat, den Schulterschluss gegenüber Russland mitzugehen. Das hat mehr als taktische Gründe und ist in der von ihm angestrebten Rolle als regionaler Vormacht begründet. Da gleichzeitig die amerikanischen Beziehungen zu Iran und Saudi-Arabien neue Risiken und Möglichkeiten bergen, wäre ein verlässliches Verhältnis zur Türkei vorteilhaft. Das müssen die USA einrenken; die Europäer würden davon profitieren. 

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