
- „Ich glaube, das war zum Teil inszeniert“
Der frühere General und Berater im Kanzleramt, Erich Vad, sieht Indizien, dass die türkische Regierung frühzeitig von dem Putsch Kenntnis hatte oder diesen sogar inszeniert haben könnte, um Erdogans Macht zu sichern
Herr Vad, Sie waren Brigadegeneral bei der Bundeswehr und als militärischer Berater lange in der Politik tätig, zuletzt im Bundeskanzleramt. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von dem Putschversuch in der Türkei erfahren haben?
Mein erster Gedanke galt der alten römischen Frage: Cui bono? Also: Wem nutzt dieser misslungene Putsch vorrangig, zumal er ja offenbar ziemlich dilettantisch geplant war. Dann drängt sich sehr schnell der Verdacht auf, dass es sich um eine Aktion handeln könnte, die dem türkischen Präsidenten Erdogan beim Umbau seines Staates von Nutzen sein könnte, um missliebige Landsleute zu neutralisieren und ein auf ihn bezogenes, stärkeres Präsidialsystem zu etablieren. Ich musste auch daran denken, dass es für einen Militärputsch eher nachteilig ist, ihn mit der Luftwaffe und Teilen der Gendarmerie durchzuführen. Geeigneter sind da sicherlich zuverlässige und schnell verfügbare Heeresstreitkräfte, Spezialkräfte und Fallschirmjäger, weil es hier ja vorrangig um koordinierte Bodenoperationen geht.
Der Militärputsch wurde sehr schnell niedergeschlagen, Erdogan erscheint jetzt mächtiger denn je. Sie halten es also für möglich, dass die Sache inszeniert war, um den türkischen Präsidenten zu stärken?
Ich glaube nicht an eine gänzliche Inszenierung. Das wäre auch Erdogan zu riskant, zumal die Beteiligten dann ja auch öffentlich zur Rechenschaft gezogen und verurteilt werden müssten. Immerhin hat Erdogan in diesem Kontext bereits die Todesstrafe ins Spiel gebracht. Wahrscheinlicher ist, dass die türkischen Nachrichtendienste Wind davon bekommen haben, dass es Konspiration und Opposition gegenüber Erdogan in den Streitkräften gibt. Vielleicht gab es auch bereits konkretere Putschpläne. Es ist ja bekannt, dass Teile des Offizierskorps unzufrieden mit dem türkischen Präsidenten sind. Deswegen erscheint es mir plausibel, dass man regierungsseitig zugeschlagen hat, als man nachrichtendienstlich einen verlässlichen Überblick über die Planungen gewonnen hatte und bevor die Putschvorbereitungen abgeschlossen waren. Ich denke, man hat womöglich die Gunst der Stunde genutzt, um Tabula rasa in den Streitkräften und darüber hinaus machen zu können. Dass jetzt so kurzfristig an die 3000 Richter in der Türkei abgesetzt wurden, ist ja ein Indiz dafür, dass die Regierung entsprechende Pläne in der Schublade hatte.
Welche konkreten Hinweise lassen Sie daran zweifeln, dass der Militärputsch tatsächlich ein ernsthafter Versuch war, Erdogan zu stürzen?
Die türkische Armee hat in der jüngeren Vergangenheit ja durchaus schon mehrfach erfolgreich geputscht – zuletzt 1980, davor in den Jahren 1971 und 1960. Damals konnten sich die Streitkräfte auf weite Teile der türkischen Gesellschaft stützen. Das war dieses Mal offensichtlich nicht der Fall, wie die Demonstrationen zeigen. Erdogan hat trotz internationaler Kritik eine sehr starke Position in Staat und Gesellschaft der Türkei. Er ist anerkannt in der Bevölkerung – ob uns das gefällt oder nicht. Insofern war der innerhalb von Stunden gescheiterte Putschversuch einiger Generale und Obristen von Anfang an mit unkalkulierbaren Risiken verbunden. Auch wurde bei früheren Putschen der Präsident in der Regel sofort festgesetzt oder neutralisiert. Jedenfalls gaben sie keine Pressestatements mehr ab, wie dies der türkische Präsident Erdogan und auch der türkische Ministerpräsident Yildirim taten. Zudem ist Erdogan sogar aus seinem Urlaubsort nach Istanbul geflogen. Wenn man bedenkt, dass die Luftwaffe an dem Putsch beteiligt gewesen sein soll, klingt das nicht sehr glaubwürdig. Auch der frühe Zeitpunkt am Abend, an dem der Putsch begann, stimmt mich skeptisch. Die in der Mehrheit Erdogan freundlich gestimmte Bevölkerung lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht in ihren Betten. Normalerweise werden „coup d’états“ eher nicht am frühen Abend, sondern aus taktischen Gründen in den sehr frühen Morgenstunden durchgeführt. Außerdem lassen früh erfolgte Gegenmaßnahmen der Regierung darauf schließen, dass die Überraschung ganz so groß nicht gewesen sein kann. Wie dem auch sei: Der gescheiterte Putsch hilft in jedem Fall dem türkischen Präsidenten beim weiteren Umbau seines Staates und wird in der Folgezeit auch weitere repressive innenpolitische Maßnahmen legitimieren.
Sie haben mehrfach auch dienstlich die Türkei besucht. Welche Rolle spielt das Militär heute unter Erdogan?
Das Militär hat in der Türkei immer eine große Rolle gespielt. Dabei darf die Gefahr der politischen Verselbstständigung des Militärs nicht außer Acht gelassen werden. Ob es noch in Zukunft die frühere Rolle eines Garanten der kemalistischen Demokratie spielen kann oder sich am Ende einem islamischen Präsidialsystem unterwirft, bleibt abzuwarten. Es ist dennoch – gerade mit Blick auf den gescheiterten Putsch – eine wesentliche Stütze der Macht des Präsidenten. Das wird absehbar auch unter Erdogan so bleiben – trotz der Unzufriedenheit, die in Teilen des Offizierskorps herrscht. Durch die Ereignisse vom Wochenende wird Erdogans Macht über die Streitkräfte sogar noch gestärkt, weil er jetzt die Gelegenheit hat, missliebige Militärs kaltzustellen und das Militär insgesamt zu säubern.
Die Türkei ist Nato-Mitglied. Was würde es für die anderen Bündnispartner bedeuten, wenn dort das Militär für einen inszenierten Putsch hergehalten hätte?
Eines vorweg: für eine Selbstinszenierung des Militärputsches vom Wochenende gibt es bislang keinen Beweis. Ein erfolgreicher Putsch wäre sicherlich nicht im Sinne des westlichen Militärbündnisses gewesen. Der amerikanische Präsident hat ja auch gleich darauf hingewiesen, dass es sich bei der Türkei trotz aller Missstände etwa in Sachen Meinungsfreiheit und nach unseren Standards eingeschränkter Rechtsstaatlichkeit um ein Land mit einer demokratisch gewählten Regierung handelt. Eine Militärdiktatur wäre da keine gute und sicherlich keine nachhaltige positive Lösung. Fakt ist aber auch, dass ein offensichtlich zumindest halb inszenierter Militärputsch nicht unbedingt eine vertrauensbildende Maßnahme ist. Ich sehe aber nicht, dass daraus eine nachhaltige Vertrauenskrise innerhalb des Bündnisses erwachsen könnte. Dazu ist die Türkei strategisch einfach zu wichtig für den Westen.
Welche Rolle wird die Türkei langfristig in der Nato spielen, sollte sie sich weiter zu einem islamisch geprägten und autoritär regierten Staat entwickeln?
Die Türkei ist ein ganz wichtiger geopolitischer Akteur in der Region. Sie ist der strategische Brückenkopf des Westens im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und zur Befriedung der Bürgerkriege in Syrien und im Irak. Die Türkei ist Nachbar dieser beiden großen Bürgerkriegsgebiete mit fast drei Millionen Flüchtlingen im Land. Zum Schutz der Nato-Südflanke ist die Türkei unerlässlich. Und obwohl es innerhalb der Nato natürlich Dissens gibt, etwa hinsichtlich der Kurden oder der anfänglichen Passivität der Türkei gegenüber dem „Islamischen Staat“, braucht die Nato eine handlungsfähige Türkei als sicherheitspolitischen Partner. Das Letzte, was wir wollen können, ist politische Instabilität in der Türkei. Die Türkei hat innerhalb der Nato nach den USA die zweitgrößte Armee. Nicht zuletzt sind wir wegen der europäischen Flüchtlingskrise auf die Türkei und deren Militär angewiesen. Die Türkei kooperiert mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex und stellt Schiffe für die maritime Nato-Operation in der Ägäis. Auch überwachen Awacs – Aufklärungsflugzeuge der Nato das türkisch-syrische Grenzgebiet. Das wird auch in absehbarer Zukunft so bleiben. Diese strategischen Fakten sollte man im Blick behalten, wenn man insbesondere hierzulande aus vornehmlich innenpolitischen Gründen die Türkei massiv kritisiert, ohne dabei bereit zu sein, auch nur eine einzige ihrer sicherheitspolitischen Aufgaben im und für das Bündnis zu übernehmen.
Herr Vad, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Erich Vad, Jahrgang 1957, ist promovierter Historiker und Brigadegeneral a.D. des Heeres der Bundeswehr. Von 2007 bis 2013 war er in der außen- und sicherheitspolitischen Abteilung im Bundeskanzleramt tätig.