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Verantwortungsloses Referendum - Alexis Tsipras hat alles verspielt

In Griechenland geht das Bargeld aus, das Land ist praktisch isoliert in Europa. All das ist nicht die Schuld finsterer europäischer Mächte, sondern eines Mannes: Alexis Tsipras

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Es ist noch nicht lange her, da war Alexis Tsipras die Lichtgestalt der europäischen Linken. Gregor Gysi und seine Leute konnten es schier nicht erwarten, um sich stolz wie Bolle neben dem neugewählten Ministerpräsidenten ablichten zu lassen und ihn wortwörtlich als „Glücksfall für Europa“ zu preisen. Nun ja.

Ganze fünf Monate haben Tsipras und seine Regierung gebraucht, um Griechenland praktisch komplett zu isolieren und die europäische Gemeinschaft an den Rand des Abgrunds zu manövrieren. Immerhin eines ist dem juvenilen Syriza-Chef gelungen: Die öffentlichen Verkehrsmittel in Athen fahren mittlerweile gratis. Leider handelt es sich bei diesem Free-Ride-Programm jedoch um keine sozialistische Errungenschaft, sondern um eine Notmaßnahme aufgrund der Kapitalverkehrskontrollen. In Griechenland finden dieser Tage Hamsterkäufe statt; Rentner stehen Schlange, um sich an den wenigen geöffneten Banken mit Bargeld zu versorgen. Wer das noch als einen „Glücksfall“ betrachtet, muss schon sehr viel Pech im Leben gehabt haben.

Alexis Tsipras, das Opfer finsterer Mächte


Nee, schon klar. Das ist natürlich alles nicht die Schuld von Alexis Tsipras. Der ist ja selbst nur ein Opfer finsterer Mächte – namentlich Merkel, Juncker, Dijsselbloem und wie sie sonst noch alle heißen. Und wenn inzwischen selbst europhile Sozialdemokraten wie Sigmar Gabriel und Martin Schulz ein bisschen die Geduld mit den griechischen Verhandlungsführern verlieren, dann zeigt das nur: Die SPD ist im Kern eben doch eine krass neoliberale Partei. Länder wie Litauen, Lettland, Estland oder die Slowakei wiederum sind im Zweifel einfach noch keine ausgereiften Demokratien, deren griechenlandskeptisches Urteil man ernstnehmen könnte. Eigentlich verdienen in Europa nur die Griechen selbst das Prädikat „Demokratie“. Nicht nur, weil sie die Patentrechte daran besitzen. Sondern vor allem, weil sie bei der letzten Wahl gegen die sogenannte Austeritätspolitik votiert haben. Dieses Abstimmungsergebnis hat natürlich universale Gültigkeit. Was denn sonst?

Dem einen oder anderen Tsipras-Fan dürfte allerdings so langsam klar geworden sein, dass es nicht ausreicht, mit offenem Hemdkragen und fröhlichem Sendungsbewusstsein durch die Weltgeschichte zu fliegen (und sei es in der Economy), damit sich einem die Gläubiger zu Füßen werfen und um Vergebung für die Zumutungen der Vergangenheit bitten. So funktioniert Politik eben nicht, erst recht nicht auf internationaler Ebene.

Schlechtes Demokratieverständnis


Der Schaden, den es jetzt zu besichtigen gibt, ist vor allem das Ergebnis von Missverständnissen: Jenes von Tsipras, der irrtümlicherweise davon ausging, ihm sei von den Griechen das Verhandlungsmandat für alle gefrusteten Bürger Europas übertragen worden. Sowie das von Yanis Varoufakis, der nach wie vor die Gremien der Europäischen Union mit volkswirtschaftlichen Seminaren verwechselt. Am Wochenende verkündete der als Finanzminister fleischgewordene Ökonomengott noch, Kapitalkontrollen in einer Währungsunion seien ein Widerspruch in sich; am nächsten Tag traten sie in Kraft. Theorie trifft auf Wirklichkeit.

In seiner Rede an das griechische Volk hat sich Alexis Tsipras wieder einmal mit viel Pathos zum letzten Demokraten in Europa stilisiert und einigen nicht näher benannten „Partnern und Institutionen“ vorgeworfen, sie strebten keine „hilfreiche Einigung“ an, sondern „die Erniedrigung des griechischen Volkes“. Dieser Satz lässt exakt zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder, Tsipras glaubt das wirklich selbst; dann lebt er zweifelsfrei in einer Wahnwelt. Oder er belügt sein eigenes Volk aus sehr durchsichtigen politischen Motiven. Keine der beiden Lesarten spricht für ein tiefes Demokratieverständnis, geschweige denn für eine Qualifikation zum Staatsmann. Tsipras' Vorstellung negiert auch den womöglich naheliegenden Gedanken, dass eine Mehrheit der EU-Bürger schlicht und ergreifend kein Interesse an einer weiteren Orientalisierung ihrer Gemeinschaft hat. In einer Demokratie geht es eben auch um kulturelle Fragen.

Das Referendum ist verantwortungslos


Und wo wir schon von der politischen Kultur reden: Was für ein Referendum mutet ihr Ministerpräsident den Griechen da eigentlich zu? Zur Wahl gestellt wird ein Dokument, das die vorerst letzte Verhandlungsposition der Gläubiger-Institutionen darstellt: zehn Seiten voller Fachbegriffe, die für Laien vollkommen unverständlich sein dürften. Es ist eine Verantwortungslosigkeit sondergleichen, seinen Bürgern ein derartiges Konvolut zur Abstimmung vorzusetzen – und es im gleichen Atemzug als „erpresserisches Ultimatum“ zu brandmarken.

Egal, was jetzt noch passiert: Griechenland wird verlieren, Europa wird verlieren. Und Alexis Tsipras, dieser „Glücksfall für Europa“, hat jegliches Vertrauen verspielt. Eine gedeihliche Zusammenarbeit wird mit diesem Mann nicht mehr möglich sein; das hat sogar der andere Glücksfall der europäischen Linken, Wladimir Putin mit Namen, längst kapiert. Für einen selbsternannten Retter der Demokratie in Europa ist das ein ziemlich dürftiges Ergebnis.

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