
- An engeren Beziehungen führt kein Weg vorbei
Die deutsch-türkischen Beziehungen sind angespannt. Das hat das Treffen von Heiko Maas mit seinem Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu gezeigt. Deutschlands Zurückhaltung in der Außenpolitik sei ein Fehler, schreibt CDU-Mitglied Salahdin Koban. Allein wegen der Flüchtlingsproblematik müsse Maas sein Verhältnis zur Türkei überdenken.
Das deutsch-türkische Verhältnis ist komplex. Rund drei Millionen Menschen in Deutschland haben ihre familiären Wurzeln in der Türkei. Aus diesem Grund neigt die deutsche Politik dazu, ihr Verhältnis zur Türkei vor allem aus der innenpolitischen Perspektive zu betrachten, während die Außenpolitik Deutschlands in Bezug auf die Türkei undefiniert bleibt. Das ist ein Fehler.
Deutschland braucht die Türkei
Die Türkei macht seit Jahren durch selbstbewusstes Auftreten gegenüber Berlin deutlich: Deutschland spielt bei ihren außenpolitischen Erwägungen keine wirkliche Rolle. Von der EU fühlt man sich durch das Einfrieren der Beitrittsverhandlungen brüskiert. Deutschland weicht aus, hält sich zurück, zögert. Man will der Türkei weder die Stirn bieten noch die Hand reichen. Das Austragen von Konflikten überlässt man anderen.
Als beim Treffen des griechischen Außenministers Nikos Denidas mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu vor wenigen Wochen Çavuşoğlu mit den bislang üblichen Harmoniefloskeln vor die Presse trat, wurde er von seinem griechischen Kollegen scharf zurechtgewiesen. Das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei sei keineswegs so harmonisch, wie die Türkei es gerne darstellen möchte. Es gebe viele offene Fragen wie den Status der Ägäis-Inseln, die Rechte der muslimischen Minderheit in Griechenland, den Status von Nordzypern und die Seegrenze.
Tatsächlich plädiert ausgerechnet Griechenland seit einiger Zeit für einen türkischen EU-Beitritt, um so Druck auf die Türkei im Hinblick auf Menschenrechte und die Anerkennung der UN-Seerechtskonvention ausüben zu können. Auf Unterstützung des deutschen EU-Partners wartet man in Athen bislang aber vergeblich.
Wer mitreden will, muss aktiv werden
Die Türkei ist ein machtvoller geopolitischer Akteur für die gesamte Nahostregion. Gerade in Syrien könnte Deutschland durch ein verstärktes Engagement gemeinsam mit der Türkei für Stabilisierung sorgen, ebenso wie im Irak. In Libyen hat Deutschland gerade erst vorgemacht, wie erfolgreiche Unterstützung für den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in einem EU-Grenzland aussehen kann.
Doch Deutschland zögert, und das im Jahr der Bundestagswahlen vor allem aus innenpolitischen Gründen. Gerade das Beispiel Libyen zeigt, was geschieht, wenn die Türkei bei derlei außenpolitischen Bestrebungen nicht mit ins Boot geholt wird: Im Frühjahr 2020 blockierte die Türkei die Arbeit von Kontrolleuren des UN-Waffenhandelembargos gegen Libyen, die Waffenschmuggel unterbinden sollten.
Fehlende Türkei-Strategie
Es ist zu befürchten, dass sich an der fehlenden Türkei-Strategie Deutschlands auch unter den neuen politischen Machtverhältnissen nach den Wahlen im September 2021 nichts ändern wird. Die fehlende Strategie Deutschlands in Bezug auf die Türkei ist Teil der allgemeinen deutschen Zurückhaltung in der Außenpolitik – vor allem im Zusammenhang mit bewaffneten Einsätzen. Diese wären innenpolitisch nur schwer zu rechtfertigen.
Die politische Kultur vieler Staaten im Nahen Osten ist geprägt von einer Einteilung der Welt in stark und schwach. Stark ist nach dieser Lesart nur, wer über militärische Stärke verfügt und bereit ist, diese auch einzusetzen. Schwach ist, wer stattdessen nur auf Diplomatie setzt und den wohlgewählten Worten keine Taten folgen lässt. Mehr noch: Wer keine Stärke demonstriert, von dem wird im diplomatischen Dialog keine Notiz genommen.
Hard Power vs. Soft Power
Im Englischen gibt es die Bezeichnung „Hard Power“ für Staaten mit militärischer Relevanz und „Soft Power“ für jene, die vorrangig auf Diplomatie setzen, so wie Deutschland. Die Kunst besteht darin, „Soft Power“ in „Smart Power“ zu transformieren. Wenn Deutschland wollte, könnte diese Transformation gelingen, doch der politische Wille fehlt, und daran wird sich in naher Zukunft wohl auch nichts ändern.
Deutschland versäumt damit eine historische Chance, als wirtschaftlich stärkstes Land der EU am Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen im Nahen Osten mitzuwirken, und überlässt dies anderen Staaten wie Italien, Frankreich und Großbritannien. Dabei hat gerade Deutschland aufgrund der immer wieder schwelenden Flüchtlingsproblematik ein Eigeninteresse an einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Türkei.
Andere Partner warten schon
Gerade weil Deutschland aufgrund seiner vielen türkischstämmigen Einwohner und Staatsbürger ein besonderes Verhältnis zur Türkei hat, ist es aufgerufen, dieses im Sinne eines demokratisch-freiheitlichen Verständnisses zu gestalten und einzusetzen. Das Nato-Mitglied Türkei an der eurasischen Nahtstelle ist neben Israel der einzige Partner in der Region, mit dem aus Sicht der westlichen Demokratien eine enge Kooperation möglich wäre.
Die innenpolitischen Verhältnisse in der Türkei machen es der deutschen Politik allerdings unmöglich. 2016 verursachte die Resolution des Bundestags, die den Völkermord an den Armeniern anerkannte, eine diplomatische Krise mit der Türkei, die das Verhältnis zwischen Ankara und Berlin weiter abkühlen ließ.
Deutschland als Vermittler in der Geopolitik
Auch der neue US-Präsident Biden hat jüngst mit seiner Anerkennung des bewusst osmanisch und nicht türkisch genannten Genozids an den Armeniern klar gemacht, dass Menschenrechtsfragen zwar nicht zugunsten diplomatischer Annäherungen verschwiegen werden, die Türkei als Partner aber nicht verprellt werden darf, schon aus geostrategischem und sicherheitspolitischem Kalkül.
Die amerikanische Außenpolitik kann keine Nahoststrategie planen und dabei auf ein Land verzichten, dessen Nachbarländer Syrien, Irak und Iran sind. Das Gleiche gilt für die EU. Die stärkere Anbindung der Türkei an den Westen muss auch deshalb für Deutschland als erklärtem Juniorpartner der USA und Nato-Mitglied das Gebot der Stunde sein, denn die neu erwachten außenpolitischen Bestrebungen der Türkei lassen Ankara zunehmend die Nähe zu autokratischen Ländern wie China und Russland suchen.
In den USA verfolgt man mit erhöhter Wachsamkeit eine immer enger werdende Zusammenarbeit Ankaras mit Moskau, die zuletzt durch den Kauf des russischen Flugabwehrsystems S-400 durch die Türkei unterstrichen wurde. In dieser angespannten Lage könnte Deutschland eine historische Vermittlerrolle einnehmen und außenpolitisch zu jener Größe anwachsen, die seiner wirtschaftlichen Bedeutung gerecht wird.
Eine verpasste Chance
Nach einem jahrhundertelang schwierigen Verhältnis zwischen der Türkei und Russland zeigen sich in den vergangenen Jahren zunehmend Zeichen der Annäherung und einer verstärkten Kooperation. Lange Zeit war Russland die Nemesis der Türkei. Die heutige Krim war bis zum 18. Jahrhundert osmanisch geprägt, bis sie vom zaristischen Russland annektiert und russifiziert wurde. Die Angst vor dem Rivalen vom Schwarzen Meer saß tief. Doch in der jüngeren Vergangenheit deuten nicht nur die Erdgas-Pipeline Turkish Stream und der seitens Russlands klar als Provokation an die USA gedachte S-400 Deal auf ein neues Zeitalter russisch-türkischer Beziehungen hin.
Kritiker befürchten bereits die Bildung eines autokratischen Blocks an den östlichen und südöstlichen Außengrenzen der EU, auch wenn dieses Bild abgestuft werden muss. Zum einen besteht ein starkes ökonomisches Ungleichgewicht zugunsten Russlands zwischen den beiden Staaten, zum anderen kommt es immer wieder zu schwerwiegenden Zwischenfällen wie dem Abschuss des russischen Kampfjets durch türkische Truppen 2015 und die Tötung türkischer Soldaten durch Bomben des mit Russland verbündeten Assad-Regimes.
China erobert den türkischen Markt
Die Gefahr einer wachsenden wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit der Türkei von Russland, vor allem vor dem Hintergrund der Energielieferungsabkommens, darf nicht außer Acht gelassen werden. Diese Abhängigkeit bedeutet einen Verlust des Einflusses westlicher Staaten auf die Türkei als wichtigem Partner für die Stabilisierung der Region Nahost.
Ähnlich sieht es mit Hinblick auf China aus. In Peking möchte man die Türkei zu einem wichtigen Partner für das Projekt neue Seidenstraße machen, mit vielfältigen infrastrukturellen Verbindungen zwischen der Türkei und China für den Transport der Waren. China möchte noch in diesem Jahr sechs Milliarden Dollar in der Türkei investieren, zahlreiche chinesische Unternehmen haben bereits Dependancen in der Türkei.
Die Machtverschiebung im Nahen Osten und ihre Folgen
Angesichts solch neuer mächtiger Partner autokratischer Prägung besteht die Gefahr, dass sich die Möglichkeiten diplomatischer Einflussnahme westlicher Demokratien auf die Türkei als wichtigen strategischen Partner für Nahost und die Flüchtlingspolitik in den nächsten Jahren weiter verringern.
Deutschland könnte dieser Verschiebung entgegenwirken und die Anbindung der Türkei an den Westen festigen, ganz so, wie es einem „Smart Power“-Staat entspräche. Doch in Berlin betrachtet man das Fehlen einer Türkei-Strategie als innenpolitischen Gewinn. Schließlich verprellt man so weder die 1,5 Millionen türkischstämmigen Wähler noch die deutschstämmige Wählerschaft mit ihrer ambivalenten Haltung in Sachen Türkei und Nahost.
Die Kurzsichtigkeit einer solchen Einstellung liegt angesichts der geopolitischen Machtverhältnisse und ihrer dynamischen Veränderungen auf der Hand.