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© Wilfried Hösl

Andreas Dresen als Opernregisseur - Europa heißt das Riesenweib

Filmregisseur Andreas Dresen hat in München die Oper „Arabella“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal inszeniert. Es wurde eine Parabel auf das Mahlwerk der Zeit – mit starken Stimmen und großen Bildern. Oder ging es um Griechenland?

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Ludwig Spänle war da, der Kultusminister des Freistaats Bayern, Oppositionsführer Markus Rinderspacher von der SPD und auch Albrecht Schmidt, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Hypo-Vereinsbank. Horst Seehofer ließ sich entschuldigen. So ist das, wenn an Münchens heißesten Tagen die Opernfestspiele zur Premiere rufen. Draußen schwitzen die Erben, schwirren die schweren Parfums, ehe der gekühlte Prachtbau am Max-Joseph-Platz sie einlässt. Und drinnen, was gab es drinnen zu vermelden am 6. Juli des Jahres 2015? Eine Paarung wie Nordpol und Südpol war uns versprochen: Filmregisseur Andreas Dresen inszenierte die teils lyrische, teils komische Oper „Arabella“ aus dem Jahr 1932, die Komponist Richard Strauss und Librettist Hugo von Hofmannsthal fast entzweit hätte, ehe des Letztgenannten Tod die milde Trauer eines Abschieds über das schräge Werk goss.

Ritt auf der pekuniären Rasierklinge
 

[[{"fid":"66132","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":1106,"width":750,"style":"width: 200px; height: 295px; margin: 5px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Auf der Bühne begegnen uns, mit dem bekannten Wort der Titelheldin, „zweifelhafte Existenzen“. Arabellas Vater ist ein spielsüchtiger Bankrotteur, die Mutter ersehnt die große Partie, die jüngere Schwester wurde in Knabenklamotten gesteckt, weil sie angemessen auszustatten sonst zu teuer wäre. Für einen solchen Ritt auf der pekuniären Rasierklinge gilt Andreas Dresen als Spezialist, seine Filme sind, wie man im Süddeutschen sagt, „nah bei de‘ Leut‘“, ohne zu tümeln. Er hat offenbar ein großes Herz und schenkt es gerne den Menschen jenseits der Sonnenseite, im Schatten der Existenznot, sei es zuletzt halbstarken DDR-Jugendlichen in „Als wir träumten“ oder einem sterbenden Familienvater in „Halt auf freier Strecke“ oder zwei kreuzweise verbandelten Ehepaaren in Frankfurt an der Oder („Halbe Treppe“). Sein Auftritt nun mitten hinein in den donnernden Schlussapplaus war ein einziges Strahlen und Koboldisieren, ein Umarmen der ganzen, ganzen Welt, wie sie sich ihm in diesem Moment darbot.

Anja Herteros gibt Riesenweib mit Riesenstimme
 

Zum Glück der Aufführung, das der Mann aus Gera so intensiv empfand, trug Anja Herteros wesentlich bei. Ihre Arabella ist mustergültig. Sie gibt ein Riesenweib mit Riesenstimme, das spürt, wie sehr es an der Zeit ist, endlich unter die Haube zu kommen. Strahlend, perlend in den Höhen bis zuletzt, kraftvoll selbst im Lyrischen, das Forcierte meidend. Auch Schwester Zdenka ist bei Hanna-Elisabeth Müller im perfekt schmelzenden Wohl- und Wehklang aufgehoben. Arabellas künftiger Ernährer soll der Retter der Familie und zugleich ein romantischer Prinz sein, ein Kerl wie ein Baum mit einem Herzen aus Gold, der nicht so tändelt und spielt, wie sie selbst es mit den Männern tut, habituell fast: „Ich kann ja nichts dafür, dass ich so bin. Ein Mann wird mir gar schnell recht viel, und wieder schnell ist er schon gar nichts mehr für mich!“ Der Richtige sei noch nicht dabei gewesen. Hugo von Hofmannsthal schrieb im Stil eines leichten Konversationsstücks, Triviales steht neben Pathetischem, Unbegriffenem.

So sollte es sein, damit die Oper als Zeitstück taugte – als Signatur eines untergehenden Reichs und „verfaulten Milieus“, das um sich selbst zirkuliert, den Champagner fest im Blick. An Faschingsdienstag und Aschermittwoch des Jahres 1866 spielt „Arabella“. Wenige Monate später wurde Österreich durch die Niederlage bei Königgrätz von Bismarck aus Deutschland herausgedrängt.

Dresen und Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau und Kostümbildnerin Sabine Greunig verlegten das Geschehen in die Zeit der Entstehung, die späten 1920er Jahre. Beim großen Faschingsball tragen die Damen Bubikopf, feuerrotes Kleid und Augenmaske, die Herren Frack und Fliege, Augenmaske auch, und dann und wann mischt sich ein eng geschnürter Soldat im Faschisten-Look darunter. Ein Wunderwerk ist die Bühnenarchitektur, die mit ihren harten Kanten, strengen Schnitten, ganz in schwarz und grau gehalten, den expressionistischen Stummfilm nachahmt. Die bestimmende Treppenanlage, das „Stiegenhaus“, ist erst eine flach gebogene Sägezahnschwinge, von links nur nach rechts führend, dann ein himmelwärts strebendes, auf halber Höhe sich nach vorne und hinten teilendes Gewerk für einen Maskenball der Uniformität, schließlich ein kreisendes Mahlwerk mit vier Flügeln, vielleicht gar ein Hakenkreuz mit abgebrochenen Enden.

Thomas Meyer bravourös
 

[[{"fid":"66133","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":1082,"width":750,"style":"width: 200px; height: 289px; margin: 5px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Der ersehnte Mann, der zügig erscheint, weil er sich in Arabellas Bildnis verliebte, ist ein reicher und ungehobelter Klotz, ein „halber Bauer“, Mandryka, der Letzte seines Namens. Thomas Meyers Part steht an Herausforderungen dem der Herteros nicht nach. Er agiert und singt ebenso bravourös, nur hier und da scheute der große Realist auf dem Regiestuhl das Zupackende, Derbe mehr, als es nottäte. Überhaupt ist die Gestik nicht immer auf dem Niveau der sonstigen Durchdringungstiefe. Insbesondere das Elternpaar legt Dresen entgegen seiner Aussage im Programmbuch, den deklassierten Grafen Theodor und Adelaide Waldner nicht als „volkstümelnd-wienerischen Buffo“ und „skurrile alte Schachtel“ sehen zu wollen, als die zwei komischen Alten an. Die Mutter (Doris Soffel) ist ein keifender Desiree-Nick-Verschnitt, der Vater wird von Kurt Rydl routiniert geknarzt, dass es ein echter Schmäh‘ ist mitsamt wienerischem Originalklang. Rydl singt von „Koart’n“ und sieht „goar nix“.

Das Bayerische Staatsorchester überzeugt mit Trab und Galopp
 

Das Tückische der Partitur sind die stoßweisen Tempowechsel, von Trab zu Galopp und retour. Der Schweizer Dirigent Philippe Jordan führte den Münchner Ohren vor, dass er, noch jung an Jahren, nicht mehr zu schönsten Hoffnungen berechtigt, sondern diese erfüllt, fast immer. Die Walzerverhaltung, dieses ewige Schielen nach dem Drei-Viertel-Takt, der mehr zitiert als ausgespielt wird, gelang ihm famos, fast wie ein strenger Mandryka zu einem Arabella gewordenen Orchester. Dass das Bayerische Staatsorchester in seinen Bläsern mehr auf Wagner denn auf die Walachei geeicht ist, verschlug da nichts. Nach der eine Woche zuvor wild ausgebuhten Premiere von Debussys „Pelléas et Mélisande“ und manch durchwachsener Inszenierung an Klaus Bachlers Haus war „Arabella“ ein Großerfolg zur rechten Zeit: nicht Provokation suchend, nicht Konvention anzielend, der Vorlage vertrauend wie einem spät ins Herz geschlossenen wunderlichen Alten. Andreas Dresen hat seine Menschenliebe auf Text und Ton ganz angewandt.

Und uns ums Schwitzen betrogenen Premierengästen, was bleibt uns hängen im Ohr, brennen im Herzen, beim Gang hinaus in die tropische bayrische Nacht? Einerseits die schlichte, doch nicht selbstverständliche Erkenntnis, dass starke Stimmen, vor dramatischem Hintergrund klug geführt, ein seelenstärkendes Erlebnis sind. „Es waren viele schöne Augenblicke drunter“, sang Arabella. Andererseits die Einsicht in die Grenzen einer jeden Zeit, die allzu wichtig zu nehmen man sich hüten sollte. Ehe man sich über die Gegenwart richtig beugt, ist sie schon Geschichte; jeder Abgrund hat seine eigenen Gesetze. Am Abend jenes Tages, an dem Griechenland zu einem Europa der ökonomischen Konzilianz Ade sagte, ist das nicht die allerbilligste Mahnung. Hofmannsthal wusste: Europa ist da, wo Nationen „ihre Kultur mit wechselseitiger Sympathie umfassen“.

Fotos: © Wilfried Hösl

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