Nord Stream 2 - Finanzbeamtin verbrannte Steuererklärungen von Schwesigs „Klimastiftung“

Mit ihrer von Gazprom finanzierten „Klimastiftung“ wollte Manuela Schwesig die US-Sanktionen umgehen. Doch jetzt könnte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin über eine womöglich politisch beeinflusste Steuerprüfung stolpern. Besonders brisant: Gegen eine Finanzbeamtin wurde ermittelt – weil sie die Steuererklärungen im Kamin verbrannt hat.

Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern – und ehemalige Steuerfahnderin / laif
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Al Capone, der Boss der Unterwelt von Chicago, kam mit allem durch: Schutzgelderpressung, illegaler Alkoholhandel, Mord – nichts konnte ihm nachgewiesen werden. 1931 musste er dennoch ins Gefängnis. Wegen Steuerhinterziehung. Ein manischer Steuerfahnder fand Hinweise im Kontenbuch eines Veranstalters von illegalen Glücksspielen.

Manuela Schwesig ist zwar nicht Al Capone. Aber die Vorwürfe, die ihr gemacht werden, sind auch nicht ohne: Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern habe sich mit ihrem trickreichen Einsatz für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zur Erfüllungsgehilfin der kriegerischen Pläne Wladimir Putins gemacht. Und am Ende könnte ihre Regierung nicht über diesen schwerwiegenden politischen Fehler stolpern, sondern über die Fallstricke des deutschen Steuerrechts.

Steuerpflicht vergessen?

Es geht um jene ominöse Stiftung, die Schwesigs Landesregierung mit tatkräftiger Hilfe von Russlands Staatskonzern Gazprom im Januar 2021 gründete. Unter dem Deckmantel des Klimaschutzes sollten mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb die drohenden US-Sanktionen umgangen und die Erdgas-Pipeline fertiggestellt werden. Gazprom spendierte der „Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“ auch eine Zuwendung von 20 Millionen Euro. Durch Cicero-Recherchen kam heraus, dass davon eigentlich die Hälfte als Schenkungsteuer abgeführt werden müsste. Beim Austüfteln der ach so cleveren Konstruktion hatten Schwesigs Regierung und Putins Konzern das wohl übersehen.

Denn die Stiftung ist als private Stiftung bürgerlichen Rechts gemeldet und hat nie die Gemeinnützigkeit beantragt. Hört man sich bei Steuerexperten um, kommen sie zu einem klaren Urteil: Eine private Stiftung, die nicht gemeinnützig ist, ist grundsätzlich schenkungsteuerpflichtig. Bei einer Summe von 20 Millionen Euro greift der Höchstsatz von 50 Prozent; die Steuerschuld beliefe sich demnach auf zehn Millionen Euro.

Steuererklärungen „verloren“

Am 7. April 2022 konfrontierte der Grünen-Landtagsabgeordnete Hannes Damm Mecklenburg-Vorpommerns Finanzminister Heiko Geue (SPD) während einer Regierungsbefragung mit diesen Hinweisen. Geue, sichtlich überrumpelt, drehte sich fragend zu seiner Ministerpräsidentin um, die immerhin ehemalige Steuerfahnderin ist. Dann verplapperte er sich: Er könne sagen, dass keine Schenkungsteuer von der Stiftung geflossen ist. Eigentlich war das ein Verstoß gegen das Steuergeheimnis.

Die Gazprom-Zuwendung ging in zwei Raten bei der Stiftung ein: zehn Millionen Euro im Februar 2021, weitere zehn Millionen im Juli. Mehr als ein Jahr nach Eingang der ersten Rate hatte die Stiftung also immer noch keine Schenkungsteuer gezahlt.

Mitte April 2022 fragte Cicero direkt bei der von Ex-Ministerpräsident Erwin Sellering, Schwesigs Vorgänger und politischer Ziehvater, geführten Stiftung nach. Dort hieß es, man hätte rechtzeitig Steuererklärungen abgegeben – eine im Sommer 2021 für die erste Rate und eine im Herbst für die zweite – und dazu einen Antrag auf Befreiung gestellt. Aber das zuständige Finanzamt habe die Erklärungen verloren. Beide Male. Deswegen habe man im März 2022 Kopien nachgereicht.

Im Kamin verbrannt

Dokumente, die Cicero vorliegen, zeigen nun: Offenbar hat der Steuerberater der Stiftung die Erklärungen fälschlicherweise im Finanzamt Rostock abgegeben. Rostock hat beide Erklärungen laut Angaben an das für Schenkungsteuerprüfungen zuständige Finanzamt Ribnitz-Damgarten geschickt. Dort sind sie laut Ribnitz-Damgarten aber nicht angekommen. Beide Male. Tatsächlich reichte die Stiftung im März Kopien nach.

Nun kommt heraus: Offenbar hat eine Beamtin des Finanzamts Ribnitz-Damgarten „mindestens eine“ der Original-Steuererklärungen verbrannt. Dies geht aus einem Bericht der Staatsanwaltschaft Stralsund hervor, der unserer Redaktion vorliegt. Nachdem Cicero über die „verloren gegangenen“ Steuererklärungen berichtet hatte, soll die Beamtin im Zuge interner Überprüfungen des Finanzamts gemeldet haben, nicht im Besitz der Erklärungen zu sein. Im Zuge einer intensiven Suche habe sie – obwohl sie für den Fall gar nicht zuständig sei – die Steuererklärung jedoch in ihrem Büro doch noch gefunden, und zwar an einen anderen Vertrag geheftet. Aus Panik und aufgrund des wachsenden Drucks der Presse und innerhalb der Behörde habe sie die Erklärung vernichtet. Und zwar im Kamin einer Bekannten (wohl ohne deren Wissen). Manuela Schwesigs Landesregierung in Gestalt von Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Linke) wurde über den Vorgang in Kenntnis gesetzt. Da die Beamtin den Fall selbst ihrem Chef offenbart hatte, der wiederum die Staatsanwaltschaft einschaltete, hat diese laut Bericht eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße angekündigt. Aus dem Bericht geht nicht klar hervor, ob die Beamtin nur eine oder beide Erklärungen verbrannt hat.

Sellering vs. Schwesig

Nach Einreichen der Kopien, so die Stiftung gegenüber Cicero Mitte April 2022, habe der Steuerberater der Stiftung zwei Mal mit dem zuständigen Sachbearbeiter im Finanzamt telefoniert. Dieser soll eine Befreiung von der Steuer in Aussicht gestellt haben. In einem zweiten Telefonat soll der Finanzbeamte dann aber mitgeteilt haben, dass Finanzminister Geue die Entscheidung zurückhalte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das einst gute Verhältnis zwischen Manuela Schwesig und dem von ihr als Stiftungschef eingesetzten Sellering bereits deutlich abgekühlt. Denn nachdem am 24. Februar 2022 russische Truppen die Ukraine angegriffen hatten, geriet Schwesig unter Druck. Sie kündigte daraufhin an, die Stiftung aufzulösen, obwohl dies rechtskonform gar nicht möglich ist. Der Jurist Sellering sprach sich unter Verweis auf die Rechtslage dagegen aus. Wegen dieses Streits könnte Geue, ein enger Vertrauter Schwesigs, die Schenkungsteuerfrage absichtlich verzögert haben, um Sellering unter Druck zu setzen, vermutet man in der Stiftung. Geue weist den Vorwurf von sich.

Finanzamt wollte tatsächlich Steuer erlassen

In einem Gesprächsvermerk des Steuerberaters der Stiftung, der Cicero vorliegt, wird noch ein anderer politischer Grund genannt, weshalb das Finanzministerium die Prüfung verzögert haben soll. Am 13.4.2022 habe man Kontakt mit dem Sachbearbeiter vom Finanzamt Ribnitz-Damgarten gehabt, heißt es in dem Vermerk. „Auf die Frage, ob wir mit einer baldigen Veranlagung rechnen können, wurde uns mitgeteilt, dass diese vorerst nicht erfolgen wird. Er teilte uns mit, dass ‚er und auch Andere‘ in seinem Haus unsere Auffassung der Steuerbefreiung teilen würden, allerdings zunächst eine entsprechende Veranlagung durch das Landesfinanzministerium vor dem Hintergrund des anstehenden Untersuchungsausschusses erstmal nicht erfolgen wird. Er teilte uns zudem inoffiziell mit, dass das ‚Verschwinden‘ der Steuererklärungen intern untersucht werden würde.“

Weitere Dokumente, die Cicero vorliegen, beweisen: Tatsächlich wollte das Finanzamt die Stiftung zunächst von der Steuer befreien. Und hätte es wohl auch getan: Ohne das öffentliche Aufsehen wäre der Fall kaum ans Finanzministerium gegangen.

„Die Entscheidung ist politisch“

Nachdem Cicero Mitte April über die Vorwürfe der Stiftung berichtet hatte, schrieb das Finanzamt in einer E-Mail an das Finanzministerium: Die Gespräche zwischen Finanzamt und Stiftung seien nicht dokumentiert worden. Aber eine Rekonstruktion ergebe Folgendes: Der Sachbearbeiter habe der Stiftung am Telefon mitgeteilt, dass man die Auffassung der Stiftung bezüglich der Steuerbefreiung vorläufig teile, man aber noch keine abschließende Auskunft erteilen könne, „da es jetzt eine politische Entscheidung ist“.

Für René Domke eine „absolut unglückliche“ Formulierung. Domke ist Fraktionsvorsitzender der FDP im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und hat lange Zeit den Steuerstrafrechtsbereich in seinem Bundesland geleitet. Er sagt: „Hiermit wird suggeriert, dass es eine politische Entscheidung gäbe oder dass sie erwartet wird. Damit wäre die Bindung an Recht und Gesetz nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes verletzt.“
 

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Hannes Damm von den Grünen sieht die rechtsstaatliche Unabhängigkeit beschädigt. „Offenbar stimmt die damalige Aussage von Minister Geue, er und sein Haus hätten keinen Einfluss auf das Steuerverfahren genommen, nicht. Damit hätte Minister Geue gegenüber dem Parlament die Unwahrheit gesagt und die Prinzipien des Rechtsstaates ausgehebelt“, so Damm gegenüber Cicero. Und weiter: „Die Exekutive ist an Recht und Gesetz gebunden. Die Legislative, also das Parlament, gibt den rechtlichen Rahmen für die Besteuerung von Stiftungen vor. Steuerbehörden und Regierung dürfen diesen Rechtsrahmen nicht aus sachfremden Erwägungen verlassen. Eine Sonderbehandlung für die von Ex-SPD-Ministerpräsident Sellering geführte Stiftung beschädigt massiv das Vertrauen in die rechtsstaatliche Besteuerung in Mecklenburg-Vorpommern.“

Warum wollte das Finanzamt verzichten?

Heikel wäre nicht nur ein politisch motivierter Eingriff des Finanzministeriums. Die Frage ist auch: Warum wollte das Finanzamt zuvor überhaupt auf die Steuer verzichten?

Die Stiftung behauptet: Da die Gazprom-Zuwendung ausschließlich den Zwecken des Landes Mecklenburg-Vorpommern diene, sei sie nicht steuerpflichtig. Das Finanzamt schien das zunächst auch so zu sehen. Als die Steuerabteilung des Finanzministeriums den Fall überprüfte, lautete deren Gegenargument: Die Steuer müsse erhoben werden, weil die Stiftung nicht ausschließlich dem Land Mecklenburg-Vorpommern diene. Schließlich habe sie auch Umweltprojekte vor den Küsten der Anrainerstaaten. Von der fehlenden Gemeinnützigkeit kein Wort.

Prüfung ohne Steuernummer

Fünf Monate später, im September 2022, erhielt die Stiftung – anderthalb Jahre nach Eingang der ersten Gazprom-Zuwendung – einen Steuerbescheid. Das Land Mecklenburg-Vorpommern verlangt von der selbst gegründeten Klimastiftung rund zehn Millionen Euro Schenkungsteuer. Nun aber auch mit dem Argument, das mehrere Steuerexperten hervorheben: Die Stiftung ist privat und nicht gemeinnützig. Ex-Ministerpräsident Erwin Sellering hat angekündigt, gegen den Bescheid zu klagen. Wie der Fall ausgeht, bleibt spannend.

Dubios ist, dass die Gespräche zwischen Finanzamt und Stiftung nicht wie üblich dokumentiert wurden. Außerdem war zu diesem Zeitpunkt laut Cicero-Informationen für den Vorgang noch gar keine separate Schenkungsteuernummer angelegt. Eine Steuerprüfung wird eigentlich nie ohne vorher angelegte Steuernummer oder zumindest nachvollziehbare Vorgangsnummer vorgenommen.

Der Bund der Steuerzahler Mecklenburg-Vorpommern reagiert auf Cicero-Anfrage mit scharfer Kritik. „Wir sind fassungslos ob des Umgangs mit der Schenkungsteuerpflicht für die Klimastiftung und bezweifeln, dass ein Sachbearbeiter allein entschied, die Steuer in Höhe von rund 10 Millionen Euro zu erlassen“, sagt die stellvertretende Landesvorsitzende, Diana Behr. „Vielmehr weisen die Veröffentlichungen der Landesregierung darauf hin, dass sie selbst ursprünglich nicht von einer Steuerpflicht der Gazprom-Spende ausging. Dass öffentlicher Druck zur Durchsetzung der gesetzlichen Steuerpflicht notwendig ist, wirft ein schlechtes Licht auf die Entscheidungsträger“, so Behr. „Wir fordern daher jetzt maximale Transparenz von den Verantwortlichen!“

Schwesigs Regierung blockiert Aufklärung

Heiko Geues Finanzministerium stemmt sich vehement gegen Transparenzbemühungen. Die Stiftung hat das Finanzministerium vom Steuergeheimnis befreit, damit es Presseanfragen zu den Vorgängen beantworten kann. Das Finanzministerium erklärte Cicero in einer sehr langen Antwort (30.000 Anschläge), dass es die Fragen trotzdem nicht beantwortet. Wir haben deswegen eine Auskunftsklage vor dem Verwaltungsgericht Schwerin eingereicht. Der Prozess läuft noch.

Bei Al Capone endete der Prozess mit elf Jahren Gefängnis. Gemessen an den Unsummen, die er durch Steuerbetrug eingenommen haben soll, wurde ihm nur eine geringe Summe von 200.000 Dollar nachgewiesen.

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