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(picture alliance) An den Windrädern in Freiamt sind viele Bürger der Gemeinde beteiligt- bei einer Rendite von 6 Prozent steigt Akzeptanz

Furth bei Landshut - Energiegenerationen voraus

Immer mehr Gemeinden produzieren ihre Energie aus Sonne, Wind und Biogas vollständig selbst – über den ökonomischen Nutzen tobt ein Expertenstreit

An einer freiamter Windmühle wurden von Windkraftgegnern tote Fledermäuse ausgelegt. „Rufen Sie bitte die Polizei Freiamt an, wenn Sie etwas Verdächtiges beobachten.“ So weit ist es in Baden-Württemberg schon gekommen: Wer hier im tief konservativen, einstigen Stammland der CDU noch Windkraftgegner finden will, muss zum Mittel der Fahndung greifen.

Der Satz findet sich am Fuße eines der vier Windräder, das auf dem Schillingerberg in der Gemeinde Freiamt im Schwarzwald in der Nähe von Freiburg steht. Dass es hier fast nur noch Windkraftfans gibt, ist das Verdienst von Ernst Leimer. Der gelernte Werkzeugbauer verhinderte Ende der neunziger Jahre, dass große Windparkbetreiber landwirtschaftliche Flächen in der Gemeinde pachteten, um dort Windräder aufzustellen. Das Argument, mit dem er seine Nachbarn überzeugte, lautete schlicht und einfach: „Des könne mer doch selber mache.“

Im Solardorf Furth bei Landshut hat Dieter Gewies die Energiewende in Niederbayern schon 1982 eingeleitet, als er den ersten Sonnenenergietag organisierte. Zeitweilig kamen bis zu 2000 Besucher in den Ortsteil Schatzhofen, um sich einmal im Jahr bei Gewies zu Hause zu treffen und über die neueste Technik der erneuerbaren Energien zu diskutieren. „Ich musste danach immer den Rasen neu ansäen“, erzählt Gewies lachend, während er in seinem Garten sitzt, umgeben von Unmengen von Küchenkräutern, Tomatenstauden, mehreren Apfel-, Pflaumen- und Birnbäumen. Gewies ist Gründungsmitglied der Grünen und nach eigenem Bekunden der einzige bayerische Bürgermeister, dem „im Gemeinderat 100 Prozent Opposition gegenüberstehen“. Trotzdem gelang es ihm 1999, seinen Gemeinderat davon zu überzeugen, per Beschluss Furth zur ersten Gemeinde in Deutschland zu machen, die sich vornahm, vollständig auf erneuerbare Energien zu setzen.

Noch einen Schritt weiter sind die Bewohner von Feldheim gegangen, die ihren Besuchern schon am Ortseingang mitteilen, das erste energieautarke Dorf Deutschlands zu sein. Sie haben sich ein eigenes Strom- und Wärmenetz gelegt, an dem alle Grundstückseigentümer in Feldheim über eine GmbH & Co KG beteiligt sind. Die Energie beziehen sie aus einem Windpark und einer Biogasanlage direkt vor Ort oder einer Solarfreianlage in der Nähe.

Freiamt, Furth und Feldheim sind nur drei Beispiele für eine Vielzahl von kleineren Dörfern, Gemeinden und Kreisstädten in ganz Deutschland, die sich vorgenommen haben, beim Umstieg auf die erneuerbaren Energien eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Die Strategie lohnt sich für die Gemeinden und ihre Bewohner fast immer dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Es garantiert ihnen eine fixe Einspeisevergütung pro Kilowattstunde (Kwh) über einen Zeitraum von 20 Jahren ab dem Bau der Anlage. Das gibt Planungssicherheit und bschränkt die wirtschaftlichen Risiken auf einem niedrigen Niveau. Finanziert werden die zusätzlichen Kosten durch die EEG-Umlage, die alle Stromverbraucher zu zahlen haben. Sie liegt in diesem Jahr bei 3,5 Cent/Kwh.

Unter deutschen Ökonomen tobt schon seit geraumer Zeit eine Kontroverse, ob das EEG in seiner jetzigen Form volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Insbesondere die weiterhin extrem hohe Einspeisevergütung für Solarenergie lehnen unter anderem der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Monopolkommission, das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut und der Wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums ab. Selbst der Sachverständigenrat für Umweltfragen spricht ist gegen eine weitere Förderung der Fotovoltaik. Hauptkritikpunkt: Die Solarenergie erzeugt derzeit nur 3,5 Prozent des gesamten Strombedarfs in Deutschland, ist aber für mehr als die Hälfte der EEG-Umlage verantwortlich. Für dieses Jahr in Betrieb genommene Anlagen liegt die Vergütung bei 28 Cent/Kwh.

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Allein in diesem Jahr werden alle deutschen Stromverbraucher zusammen sieben Milliarden Euro an die Eigentümer von Fotovoltaikanlagen per EEG-Umlage überweisen. „Wenn das stattdessen über den Bundeshaushalt als staatliche Subvention gezahlt werden müsste, hätte Finanzminister Schäuble diese Förderung längst gestrichen“, meint Manuel Frondel, Energieexperte beim RWI. Die Summe der Subventionen, die bisher über die Umlage in den Ausbau der erneuerbaren Energien geflossen ist, beläuft sich auf weit mehr als 100 Milliarden Euro. „Das Problem dabei ist, dass wir erst einen Bruchteil davon bezahlt haben“, sagt Frondel. Der Löwenanteil müsse über die kommenden 20 Jahre über die Stromrechnung abgestottert werden. Außerdem führt das EEG-Gesetz zu einer beispiellosen Umverteilung von unten nach oben, was es sozialpolitisch sehr fragwürdig erscheinen lässt, weil nur vermögende Leute über das Geld, die Dächer und die Grundstücke verfügen, um Windräder aufzustellen oder eine Fotovoltaikanlage anzubringen.

Selbst eine Solaranlage, die erst in diesem Jahr installiert wird, beschert dem Eigentümer noch eine jährliche Rendite von mehr als 8 Prozent, gesetzlich garantiert über 20 Jahre. Wie attraktiv Investoren diese Form der Geldanlage finden, zeigt die Tatsache, dass allein im vergangenen Jahr Fotovoltaikanlagen mit einer maximalen Leistung von 7500 Megawatt installiert wurden. Das entspricht 75 Prozent dessen, was in dem gesamten Jahrzehnt zuvor installiert wurde. Zum Vergleich: Die Leistung eines Atomkraftwerks liegt bei 1000 Megawatt, mit dem feinen Unterschied, dass es auch bei Regen, in der Nacht und im Winter Strom produzieren kann.

Deswegen setzt sich Frondel gemeinsam mit seinen Essener Kollegen für ein EEG-Moratorium ein: „Wir können es uns nicht leisten, weiter alle Erneuerbaren zu fördern.“ Vor allem der Zubau von Solarenergieanlagen müsse auf maximal 1000 Megawatt pro Jahr gedeckelt werden. Aufgrund der hohen Staatsschulden dürften wir eigentlich nur noch die Windkraft an Land subventionieren, sagt Frondel, die ist am effizientesten. Wenn man so weitermacht wie bisher, hält man dagegen nur einige der nicht mehr wettbewerbsfähigen deutschen Solarhersteller am Leben.

Claudia Kemfert schüttelt in ihrem Büro in der Berliner Mohrenstraße den Kopf. Die Energieexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kennt natürlich alle Argumente der EEG-Gegner. „Ich halte das EEG nach wie vor für eine Erfolgsstory“, sagt Kemfert. Auch der Wettbewerbsdruck sei hoch genug dank der jährlich sinkenden Einspeisevergütungen. „Wir brauchen aber weiterhin die Unterstützung für die hohen Anfangsinvestitionen, so lange bis die verschiedenen Energieformen marktfähig sind“, sagt Kemfert. Das ist nach Angaben der Fotovoltaikbranche in acht bis zehn Jahren der Fall. Einig sind sich Frondel und Kemfert aber, was die Deckelung des Ausbaus betrifft.

Auch wenn sich die Wissenschaftler streiten, sind bei der deutschen Bevölkerung sowohl das EEG als auch die Solarenergie nach wie vor sehr beliebt. Im ersten Halbjahr 2011 schaffte Deutschland  einen Ökostromrekord, erstmals stammten mehr als 20 Prozent des gewonnenen Stroms aus erneuerbaren Energien. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage von TNS Infratest hielten 94 Prozent der Bundesbürger grünen Strom für wichtig oder sehr wichtig, 79 Prozent der Befragten fanden sogar die derzeitig ebenfalls auf einem Rekordhoch liegende EEG-Umlage von 3,5 Cent/Kwh „angemessen“ oder hielten sie sogar für zu niedrig.

Möglicherweise kann der bekannte, amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin, der auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und die EU-Kommission in energiewirtschaftlichen Fragen berät, die streitenden Parteien wieder zusammenbringen. In seinem neuen Buch „Die dritte industrielle Revolution“ trägt er das Zeitalter der fossilen Energieträger zu Grabe, weil die immer höhere Nachfrage nach immer weniger Öl jeden Aufschwung innerhalb kürzester Zeit wegen eines zu hohen Ölpreises stoppen würde.

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Das Zusammentreffen von erneuerbaren Energien und einem intelligenten Internet wird zu einer Demokratisierung der Energie führen und das Zusammenleben und -arbeiten auf der ganzen Welt komplett verändern, lautet Rifkins These. Seine „dritte industrielle Revolution“ basiert auf fünf Säulen: erneuerbare Energien, die in jedem Gebäude vor Ort erzeugt werden, von intelligenten Speichern aufbewahrt und bei Bedarf über ein per Internettechnologie gesteuertes Stromnetz allen zur Verfügung gestellt werden. Der Transport wird dabei komplett auf E- oder Brennstofffahrzeuge umgestellt.

In der deutschen Provinz hat die „dritte industrielle Revolution“ offenbar schon angefangen. Rifkins Thesen von der dezentralen Energieerzeugung sind zumindest ziemlich nahe an dem, was der Solarpionier Gewies Gästen in seinem grünen Gartenidyll in Furth erzählt.

Er nimmt sie dann gerne in seinem roten VW-Lupo-Dreiliterauto mit, das vor der Garage parkt, auf deren Tor eine riesige Atomkraft-nein-danke-Sonne klebt. Auf einem Umweg fährt er dann zurück zum Rathaus, um auf der gegenüberliegenden Seite der Gemeinde anzuhalten. Von einer kleinen Anhöhe schaut man auf das Zentrum Furths und sieht einen Großteil der 330 auf den Dächern installierten Fotovoltaikanlagen auf einen Blick, wie sie in der Sonne blitzen. Ihrem Ziel, die ganze Gemeinde zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie zu versorgen, sind die 3300 Further unter Gewies’ Führung schon recht nahe gekommen: 80 Prozent der Wärme und 65 Prozent des Stroms werden bereits vor Ort aus regenerativen Energien erzeugt, wobei die Wärme vor allem aus der gemeinsam von der Gemeinde, mehreren Landwirten und dem Landkreis betriebenen Hackschnitzelanlage kommt. Ob es noch Akzeptanzprobleme gäbe? „Nein, mittlerweile musst du dich hier rechtfertigen, wenn du noch eine Ölheizung im Keller hast“, sagt Gewies.
Sobald die Leute merkten, dass es sich für sie rechnet, spreche sich das sofort herum, sagt Gewies. Wer kein eigenes geeignetes Dach hat, kann sich auch an den Bürgersolaranlagen beteiligen, die auf den Dächern der Schulen oder des Rathauses angebracht wurden. Der eher klamme Gemeindehaushalt profitiert davon, dass er höhere Steuereinnahmen hat und kein Geld mehr für Heizöl ausgeben muss.

In Feldheim in Brandenburg, erzählt Michael Knape, der FDP-Bürgermeister der Gemeinde Treuenbrietzen, zu der auch der kleine, energieautarke Ortsteil gehört, ging die Initiative von den Feldheimern selbst aus. „Wir haben uns dann mit ihnen und dem Unternehmen Energiequelle, das den Windpark betreibt, zusammengesetzt“, sagt Knape. Neben dem neuen Netz, das den Bürgern gehört, gibt es jetzt noch eine Biogasanlage und ein Tochterunternehmen der Energiequelle, das vor Ort Nachführanlagen für Solarmodule herstellt. Das Ergebnis für die Bürger kann sich sehen lassen: Vollbeschäftigung im Ort, ihr Strom ist 20 Prozent günstiger als beim regulären Anbieter, und das Unternehmen Energiequelle wird im kommenden Jahr noch ein Schulungszentrum im Dorf eröffnen.

Akzeptanzprobleme gibt es in Freiamt wegen der Windräder inzwischen auch nicht mehr. Als Ernst Leimer mit einigen Mitstreitern seinen ersten Testmast aufstellte, bestehend aus einer 29 Meter langen Fichte mit einem Metallaufsatz, wurde hinter seinem Rücken noch heftig gespottet. „Der fällt doch beim ersten Luftzug um“, hieß es immer, erinnert sich Leimer. Als der Mast dem Jahrhundertorkan Lothar standhielt, der 1999 mit Windgeschwindigkeiten von 139 Kilometern pro Stunde über den Schwarzwald fegte, verstummten die Lästerer. Mittlerweile sind die Spötter von einst längst Gesellschafter der Kommanditgesellschaft, der die Windanlagen gehören. Die durchschnittliche Rendite beträgt hier 6 Prozent. Als Leimer, dem es von Anfang an wichtig war, dass sich alle Bürger beteiligen können, ähnliche Pläne für Solaranlagen schmiedete und die Dächer einiger Landwirte pachten wollte, bekam er von allen dieselbe Antwort: „Gute Idee, aber des könne mer selber mache.“ Inzwischen brüstet sich alle im Ort damit, dass sie mehr grüne Energie erzeugen als verbrauchen.

Wenn Dieter Gewies erklären soll, wie weit der Kulturwandel in Furth schon fortgeschritten ist, erzählt er gerne die Geschichte von dem Fernsehteam, das eine Gruppe von Erstklässlern fragte: „Was ist denn für euch das Besondere an Furth?“ Als Antwort kam nur „Schule“ oder „Fußballplatz“. Die Redakteurin wollte für ihren Beitrag hingegen „Solardach“ hören, woraufhin ein Schüler entgegnete: „Na, des is überhaupt nix Besonderes, des hat ein jeder hier.“

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