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Wenn Che das wüsste

So haben sich Che Guevara und Fidel Castro die Folgen der Revolution sicher nicht vorgestellt. Während die Enkelin des einen gegen Fleischverzehr zu Felde zieht, tappt der Sohn des anderen in die virtuelle Liebesfalle.

Als Ernesto „Che“ Guevara 1966 nach Bolivien aufbrach, um dort die Revolution fortzusetzen, trug er seinen Kindern brieflich auf: „Wachset auf als gute Revolutionäre.“ Doch was machen seine Nachkommen? Lydia Guevara (25), Enkelin des argentinischen Freiheitskämpfers, twittert und bloggt, falls sich nicht jemand ihre Identität angeeignet hat, naiv-revolutionär im Netz. „LGRevo3“ heißt ihr Alterego bei twitter.com, einem elektronischen Tagebuch, dessen Benutzer ihre Fans über Wichtiges informieren wie „renne gerade zum Markt – keine Blaubeeren mehr“ (LGRevo3). Auch, dass sie gerade ihr „Gewicht in Pfannkuchen verdrückt“ habe, lässt Lydia Guevara die Welt wissen. Denn „nichts geht über einen Pfannkuchen-Rausch“. „Revo Giggles“ heißt ihr Internet-Blog, was frei übersetzt „Revolutionsgekicher“ bedeuten mag. Dort bezeichnet sich die Argentinierin, die in New York wie in England zu Hause ist, als „Amerikas beliebteste kleine agnostische vegetarische Sozialistin“. Unverblümt zieht sie über die Obama-Kitsch-Industrie ebenso her wie über Tierquäler („Wer Haifischflossensuppe isst, ist ein Arschloch“); sie preist die Vorzüge der SMS („Wenn ich dem glücklichen Typen, der mit mir die Nacht verbringen wird, sagen will, welches Ben & Jerry-Eis er dazu mitbringen soll, dann mach’ ich das via Text“) und gratuliert „Onkel Fidel“ zu seiner Genesung wie auch dem neuen „rockigen Outfit von Adidas“. Dass sich der greise Revolutionär für ein westliches Markenprodukt entschieden hat, stört sie nicht. Schließlich handele es sich nicht um ein amerikanisches, sondern ein deutsches Unternehmen. Das virtuelle Alter Ego eines Sohnes von Onkel Fidel wiederum lautet „tonycsport“. Unter diesem Pseudonym flirtete Antonio Castro (42) im Netz mit einer 26-jährigen kolumbianischen Sportjournalistin namens Claudia Valencia, die sich selbst als „naiv“ und „brünett mit blonden Strähnchen“ beschrieb. Castro junior, Mannschaftsarzt des kubanischen Baseballteams, dichtete acht Monate lang feurige Revoluzzerlyrik wie: „Ich möchte dich küssen, lieben und mit dir Liebe machen“ – und schickte sie im Chatroom an „Claudia“. Dumm nur, dass sich hinter der naiven Brünetten ein ziemlich ausgekochter und rachsüchtiger Exil-Kubaner namens Luis Dominguez verbarg. Der veröffentlichte prompt den Schriftverkehr mit dem Castro-Sprössling. Darin enthalten sind vom Junior übermittelte Fotos, fünf E-Mail-Adressen, eine Handynummer sowie seine Privatadresse in Havanna. Nicht ganz konform mit dem revolutionären Alltag schwärmte der Arzt von Reisen, seinem neuen „Macbook Air“ und aufregenden Wochenenden an den Traumstränden Varaderos, die für die meisten Einheimischen gesperrt sind. Der kubanischen Bevölkerung, die keinen freien Zugang zum Internet hat und eher nicht in den Genuss der Reisen oder Luxusartikel kommt wie der Castro-Sprössling, dürfte dies kaum gefallen haben. Unterdessen sorgt Lydia Guevaras jüngster Coup in ihrer Heimat Argentinien, in der ein ordentliches Rindersteak Teil der nationalen Identität ist, für erhitzte Gemüter. Für eine Kampagne der umstrittenen Tierschutzorganisation PETA, die auch schon mal die Massentierhaltung mit dem Holocaust vergleicht oder die Stadt Hamburg auffordert, sich in „Veggieburg“ umzubenennen, zog sich die Guevara-Enkelin aus und posierte in markiger Revoluzzerpose mit gereckter Faust und typischer Che-Mütze. Ihre Brüste sind mit zwei Patronengurten bedeckt, in denen eine Batterie Mohrrüben steckt. „Schließ dich der vegetarischen Revolution an“, heißt die Kampagne. Nach getaner Arbeit twitterte Lydia Guevara fröhlich: „Zurück daheim vom PETA-Fototermin. Heißes Bad ein Muss!“ Es schwebt eine besondere Tragik über dem Leben der Nachkommen berühmter Menschen. Ständig jammern sie über das schwere Erbe, das ihnen der Name aufbürdet, greifen aber gern auf dessen Bekanntheit zurück, wenn es darum geht, wie auch immer geartetes Kapital daraus zu schlagen. Doch sind die Äpfel tatsächlich so weit vom Stamm gefallen? Der Massimo Líder genoss seinen Ruf als Macho, der nichts anbrennen ließ. Ernesto Rafael Guevara de la Serna hingegen war zwar zweimal verheiratet, doch seine eigentliche Braut war die Revolution. Bedienen nicht beide, Ches Enkelin und Castros Sohn, die Ikonografie ihrer Vorfahren – als Revoluzzermieze und als Frauenheld? 50 Jahre nach dem Einmarsch in Havanna sind die Kinder der Revolution in der virtuellen Belanglosigkeit angekommen. Wenn es sie in Havanna nicht schon gäbe, müsste man sie glatt erfinden: die Anekdote vom „Propeller-Che“, der sich gar nicht oft genug im unbekannten Grabe umdrehen kann. Etwa, wenn er das Gezwitscher seiner Enkelin hört, die fröhlich vermerkt: „Jetzt berichten die Magazine von mir als Prominudel. Ich wusste gar nicht, dass Revolution ein so einträgliches Geschäft ist.“ Foto: Picture Alliance

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