Warum war es in der DDR so schwer, Jude zu sein?

Wolf Biermann spricht im Interview mit Cicero über verhinderte Dichter, sein Verhältnis zur Liebe, zum Judentum und zur eigenen Dichtung, die ihn überdauern möge

Herr Biermann, Ihr jüngstes Werk, die Übersetzung des alten Gedichtes von Bob Dylan, „Eleven Outlined Epitaphs“, hat in Deutschland viel Beachtung gefunden. Doch es gab auch weniger gute Kritiken, zum Beispiel vom taz-Kolumnisten Wiglaf Droste. Ich kenne das nicht. Aber ich kenne die taz und bin gewarnt. Ein Freund rief mich an aus Berlin und sagte: Lies diesen Stuss bloß nicht. Der Autor ist ein chronischer Giftzwerg, ein verkrachter Provinz-Literat in der Hauptstadt, der es nicht ertragen kann, dass die Musen ihn nicht küssen. Sowas ist meistens der blanke Neid. Nicht dieser sympathische weiße: der neidlose Neid, sondern der schwarze. Gute Journalisten sind meistens schon deshalb prima, weil sie keine verhinderten Dichter sind. Solche verkrachten Künstler werden oft besonders giftige Kunstfeinde. Und am schlimmsten ist es, wenn sie dann auch noch in die Politik hineingeraten. Denken Sie nur an den Lyriker Radovan Karadzic oder an den Dichter Mao Tse-tung oder an den Poeten Ho Chi Minh. Dann ist es immer noch harmloser, solche Canaillen spucken Gift und Galle auf Zeitungspapier und werden keine bewaffneten Blutsäufer. Gescheiterte Dichter sollte man entweder prophylaktisch totschlagen oder mästen! Dieser Liebeskummer mit den Musen macht sie dermaßen missgünstig. Keine Freude, kein Spaß, kein Wohlwollen. Die sind wie zu Tode beleidigte Liebhaber, die nicht an eine scharfe Frau rankommen und rächen sich dann dafür an der Menschheit! In New York gibt es zurzeit ein ungewöhnlich großes Interesse an DDR-Biografien. Am Broadway wird mit erstaunlichem Erfolg ein Musical über Charlotte von Mahlsdorf gezeigt („I am my own wife“) und das Leben des „roten Elvis“ Dean Reed soll in Kürze mit Tom Hanks in der Hauptrolle verfilmt werden. Haben Sie eine Erklärung für dieses neue Interesse der Amerikaner an der DDR-Geschichte? Nein, dazu verstehe ich zu wenig von Amerika und von New York. Das ist eine Pathologie, auf die ich nicht trainiert bin. Haben Sie Dean Reed kennen gelernt? Nein, nein, nein. Das war einer der größten Idioten, die überhaupt in der DDR rumliefen! Schrecklich. Das war noch mal die Rache Amerikas an den Deutschen! Kann sein, dass die es verdient haben. Aber ich habe es nicht verdient! Glauben Sie, dass Protestmusik wie Ihre oder die Bob Dylans heute an Wirkung verloren hat? Ich glaube, schon die Frage führt in die Irre. Weil: Ich bin kein Protestsänger und Bob Dylan ist es übrigens auch nicht. Das weiß ich. Er wird vielleicht so von Leuten genannt, die nicht lange genug darüber nachgedacht haben und die irgendeine Schablone brauchen, damit sie sich verständlich machen können. Viele denken bei Brecht und Biermann noch immer an Marxismus, Klassenkampf … … und Antistalinismus bei Biermann. Genau. Wenn ich ein Lied schreibe, möchte ich erst mal ein schönes Lied schreiben. Was das für Wirkungen auf die Gesellschaft hat, ist mir nicht egal, aber ich weiß, dass ich darauf keinen Einfluss habe. Das ist außerhalb meiner Kompetenz! Ich würde verrückt werden, wenn ich da ernsthaft etwas erzwingen wollte. Aber Sie möchten schon beachtet werden? Natürlich, jeder Affe möchte gerne beachtet werden. Das ist doch klar! Wenn ich ein Lied spiele vor einem Mädchen, das ich verführen möchte, dann will ich natürlich, dass sie sich in mich verliebt. Und sagt, wer so schön Gitarre spielt, der kann auf mir vielleicht auch so eine Melodie hervorbringen … Und wenn ich in Leipzig vor 8000 Menschen ein Lied spiele in einer Zeit, in der die Herrschenden noch an der Macht sind und noch nichts entschieden ist, natürlich will ich da Wirkung erzielen! Aber es treibt einen nicht beim Schreiben. Oder doch? Ich weiß es gar nicht so genau. Ich denke darüber eigentlich gar nicht nach. Das ist so wie Luftholen. Ich denke ja auch nicht darüber nach, ob ich jetzt Luft hole. Nehmen wir Ihr Lied „Drei Kugeln auf Rudi Dutschke“. Das Lied hatte eine große Wirkung auf die Studentenbewegung. Ja, ja, natürlich, aber darüber hatte ich keine Gewalt! Ich saß in Ost-Berlin in meiner Kiste, der Rudi hatte mich manchmal besucht und ich fand ihn sympathisch. Er war so ein herzensguter, ehrlicher, tapferer Mensch, so zutiefst aufrichtig, geradezu christlich, zum Lachen war das! Der konnte wirklich keiner Fliege etwas zuleide tun. Der war so geprägt von Wohlwollen gegenüber Menschen, das kann man sich überhaupt nicht vorstellen! Und das betone ich so penetrant, weil ich ja weiß, dass in der Schablone über ihn genau das Gegenteil in den Köpfen der Leute ist. Ein Radikalinski! Ein Scharfmacher! Ein Aufhetzer, der den Polizistenknüppel auf sein Haupt geradezu herbeisehnt! Dutschke war eine tragische Figur, denn er hatte sehr wenig verstanden. Er war ein unglaublich ungebildeter Dummkopf, der so einen Jargon aufgeschnappt hatte, mit dem man bei den West-Berliner Studenten Eindruck machen konnte. So Marximus-Leninismus-Scheiße! Später kam er in die Rolle des intellektuellen Welterklärers. – Und hatte nichts kapiert! Der war noch dümmer als ich, und das will schon was heißen! Bloß ich spielte nicht diese Rolle da. Brecht hat sich einmal gefragt: Warum kann ich nicht über Menschen schreiben, die ich liebe? Und er hat geantwortet: Das Gefühl ist zu stark. Das ist bei mir ganz anders. Inwiefern? Weil ich extrem viele Liebesgedichte geschrieben habe. Wenn Sie sich die germanistische Mühe machen und das mal nachzählen und überprüfen, dann werden Sie sehen, was eigentlich immer das Hauptthema meiner Dichtung war. Der Leipziger Reclam-Verlag hat einmal eine Sammlung meiner Gedichte zusammengestellt und einen sehr schönen Titel dafür gewählt: „Liebespaare in politischer Landschaft“. Das ist die genaueste Beschreibung, die es geben kann. In Ihren Liedern steht die Liebe immer in einem politischen Zusammenhang. Ich habe mich immer für die Liebe interessiert. Nur mich langweilt es, über die Liebe zu schreiben, wenn nicht diese interessante Konstellation da ist, dass die Liebenden aus verfeindeten Familien kommen. Dann schreibt Shakespeare „Romeo und Julia“! Ohne diese Konstellation im politischen Koordinatensystem der Stadt, in der diese beiden Familien sich gegenseitig töten, ist die Love-Story uninteressant. Der Kuss wird für andere erst dann interessant, wenn er sich mit den gesellschaftlichen Zuständen überschneidet, mit denen die Liebenden leben. Sonst ist es für mich penetrant voyeuristisch. Wenn ich in ein Zimmer reinkomme, wo Sie gerade mit einer Frau im Bett liegen und diese Sache machen, über die wir jetzt nicht reden wollen, wissen Sie, was ich dann mache? Ich mache die Tür zu und gehe auf Zehenspitzen weg! Selbst wenn Sie mit meiner Frau dort liegen, würde ich das so machen. Denn die Liebenden sind heilig, und kein Schwein soll sie stören! Oder andersherum gesagt: Wer sie stört, ist ein Schwein. Auch wenn es der Ehemann ist! Ich will nicht zusehen, wie Sie Ihr Zentralorgan in diese Frau reinstecken! Deshalb zappe ich beim Zappen auch sofort weg, wenn ich einen Porno sehe, in dem Leute ficken. Ich will das nicht sehen, das mache ich lieber selber! Dazu brauche ich keinen Fernseher! Das beleidigt meine Seele! Wenn aber die Liebenden sich küssen in einer Konstellation, die mir etwas über die Welt zeigt, in der ich auch lebe, und das zur Erscheinung bringt, dann ist dieser selbe Kuss plötzlich interessant für mich. Dann will ich ihn auch sehen. Und dann darf ich ihn auch sehen! Dann bin ich auch nicht das Schwein, dass seinen Rüssel in fremder Leute Privatangelegenheiten steckt. Es ist natürlich nicht jedes Mal so, dass irgendwelche politischen Gegebenheiten eine Rolle spielen, wenn ich mit einer Frau im Bett liege. Aber ein Gedicht, ein Kunstwerk ist immer dort möglich, wo sich das Private und das Politische interessant überschneiden. Das trifft nicht immer zu, es gibt auch rein private Dinge. Aber wenn sich der Staatsfeind Biermann in die hübsche Tochter des Baumeisters des Palastes der Republik verliebt und die sich vor allem in ihn, dann springt die Parteiführung im Karree! Dann entstehen Konstellationen, wie sie passieren, wenn sich ein arabisches Mädchen in Israel in einen Juden verliebt. Wissen Sie, was dann passiert? Sie stirbt! Noch am selben Tag! Am absolut selben Tag stirbt sie, nicht morgen! Dann wird’s interessant. In Ihren Tagebüchern ist zu lesen, was Sie über ihr Verhältnis zum Judentum entdeckt haben. 1961 haben Sie geschrieben: „Deutsche Weihnacht/ Deutsche Weihnacht/ Deutsche Weihnacht/ Ich bin Jude.“ Als ich das las, musste ich an „Donna Clara“, ein Gedicht von Heinrich Heine denken. Hat Heine Sie geprägt? Den habe ich nun wirklich mit der Muttermilch gesoffen. Meine Mutter Emma, eine Arbeiterin, hat in den zwanziger Jahren in der Fabrik im Akkord Pullover gestrickt und in der Mittagspause trocken Brot gefressen, weil sie nichts anderes hatte. Aber sie hatte, in Leder gebunden, Heinrich Heines Gedichte! Die hat sie von meinem Vater geschenkt bekommen, der sie damit verführen wollte. Da kann Heinrich Heine sehr stolz darauf sein. Solche Fans! Und das hat sie mir natürlich eingefüttert, von klein auf. Wenn Jurek Becker gefragt wurde, ob er Jude ist, hat er geantwortet: Meine Eltern sind Juden. Der Politiker Daniel Cohn-Bendit antwortet auf dieselbe Frage: Ich bin Jude, solange es Antisemiten gibt. Verstehen Sie sich in einem ähnlichen Sinne als Jude? Ach, ich weiß gar nicht, was „Jude“ ist. Aber aus Gründen, die ich Ihnen nicht erklären kann, sind die meisten meiner Freunde Juden. Und bestimmt nicht, weil ich sie danach ausgesucht hätte, dass sie Juden sind. Sondern weil sie dieselbe Lebensgeschichte haben, denselben Background. Zu Ihren Freunden gehört auch der Historiker Arno Lustiger. Wie kam es zu dieser Freundschaft? Arno Lustiger war zwei Jahre in Auschwitz, dann in Buchenwald und dann in Langenstein im Harz, wo es noch viel schlimmer als in Auschwitz war. War auf zwei Todesmärschen, hat überlebt und ärgert sich sein Leben lang über die Lüge von Raul Hilberg und von anderen, dass es keinen jüdischen Widerstand gegeben hat. Sie wissen, dieser Streit wird überall geführt, auch in Israel. Also schreibt dieser Arno Lustiger ein Buch, mit dem er beweisen will, dass es doch jüdischen Widerstand gab und sammelt alles, was er darüber findet. Denn wenn gesagt wird, die Juden haben sich abschlachten lassen wie die Kälber, dann heißt das ja, zumindest für die Idioten: Selber schuld! Er schreibt also ein Buch über die Juden im spanischen Bürgerkrieg und stellt es hier in der Heinrich Heine Buchhandlung in Hamburg vor. Und wer geht da hin? Ich. Weil mich das Thema interessiert. Denn mein Vater, der Jude, ist im spanischen Bürgerkrieg gefallen. Statt seinen kleinen Judenhintern zu retten, was in der Zeit schon schwer genug war, kämpft er im Hamburger Hafen gegen die Nazis! Und sabotiert Waffenschiffe, die Waffen an die Legion Condor liefern, die faschistische Truppe, die Hitler seinem Kollegen General Franco zur Verfügung gestellt hat. Mein Vater ist, ohne Übertreibung gesagt, für Spanien in den Tod gegangen. Also interessiert mich dieses Thema. Ich lerne den Autor kennen, wir freunden uns an, freunden uns sehr an, freunden uns geradezu übertrieben familiär an. Wie die Mischpoke, wie die Juden sagen, die ja unsere Familienbeziehung irgendwie definiert. Und er sagt: Wolf, dein Vater ist dort gestorben, wo ich überlebt habe, in Auschwitz, also bin ich jetzt dein Vater. Ich sage: O.k., einverstanden, aber guck dich doch mal an, du bist ein junger, frecher Mann, der jeder Frau hinterherguckt! Ich kann das nur akzeptieren, dass du mein Vater bist, wenn ich dein Großvater bin! So haben wir eine etwas komplizierte Familienbeziehung. Der hat mich, wie wir ironisch sagen, ver-judet. Aber auch nicht, weil er mich verjuden wollte. Sondern anders. Sie haben einmal behauptet, dass Sie keine jüdische Identität haben. Ich bin ja auch in einem doppelten Sinn kein Jude: Nach der dummen Halacha bin ich kein Jude, und ich habe auch keine jüdische Kultur. Die Menschen, die in einem kulturellen Sinn aus mir einen Juden hätten machen können, sind ja alle ermordet worden. Ich bin der Einzige, der überlebt hat. Wer sollte denn aus mir einen Juden machen? Und dann lebte ich in Deutschland! Und dann lebte ich mit den Stalinisten! Das heißt, die wenigen Juden, die ich in der DDR traf, hatten den Ehrgeiz, Kommunisten zu sein. Die waren, wenn überhaupt, jüdische Antisemiten, die sich Antizionisten nannten. Warum war es in der DDR so schwer, Jude zu sein? Als die DDR zusammenbrach, machte ich eine Reihe von Konzerten, um Geld für das „Neue Forum“ zu sammeln. Anfang des Jahres 1990 machte ich dann mein erstes Konzert in Berlin, im Deutschen Theater. Und wer kommt da hin? Mein Freund Dr. Götz Berger, ein Berliner Jude, der im spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat und überlebt hat. Der nach 1945 ein hoher Funktionär im Justizapparat der DDR wurde, der Terrorurteile gefällt hatte gegen unschuldige Menschen, ein Mörder! Der sich aber nach dem 20. Parteitag der KPdSU wie viele alte Kommunisten daran erinnerten, was sie ursprünglich mal mit sich und der Welt vorhatten. Das heißt, sie wurden wieder im ethischen Sinne Kommunisten. Sie wurden frech, und sie wurden oppositionell. So wurden wir Freunde. Und er half mir und meinem Freund Robert Havemann auch als Rechtsanwalt im Streit mit der DDR-Obrigkeit. Da ärgerten sich die Herrschenden und haben diesem alten Mann, der er inzwischen war, Spanienkämpfer, Kommunist, stalinistischer Justizbeamter, die Rechtsanwaltslizenz entzogen. Und Robert Havemann bekam einen neuen Anwalt zugewiesen, einen jungen, kecken, brillanten Dummkopf: Gregor Gysi, den Postboten der Staatssicherheit, Spitzel „I. M. Notar“. Es vergehen ein paar Jahre. Mein Freund Havemann stirbt, Gregor Gysi macht seine Karriere, die DDR bricht zusammen, der kleine Biermann tritt zum ersten Mal wieder in Berlin auf und singt dort seine Lieder. Wer sitzt im Publikum? Der alte Götz Berger! Ein kleiner Jude. Und sah aus wie eine Mischung aus Stürmerkarikatur, Lion Feuchtwanger und Arafat! Das betone ich nur aus einem einzigen Grund: Weil er tatsächlich immer geleugnet hat, dass er ein Jude ist. Nach dem Konzert treffen wir uns im Foyer und umarmen uns. Und ich sage zu ihm: Ach Götz! Wie schön, dass ich dich jetzt wieder sehe! Ich muss dir unbedingt ein Buch besorgen, das schicke ich dir! Das hat ein Mann geschrieben, der in Auschwitz überlebt hat. Der heißt Arno Lustiger, und das wird dich sehr interessieren, denn das Buch heißt „Die Juden im spanischen Bürgerkrieg“. Denn du hast doch in Spanien gekämpft! Kaum hatte ich gesagt, dass ich ihm dieses Buch schicken will, da schrie dieses kleine, alte Männchen, kreischte: Ich will kein Buch über die Juden im spanischen Bürgerkrieg! Ich will auch kein Buch über die Vegetarier im spanischen Bürgerkrieg! Er, Stalinist, der er trotz allem immer geblieben ist, wollte alles Mögliche sein, aber nicht Jude! Verstehen Sie? Der konnte mich nicht verjuden. Weder im guten, noch im schlechten Sinne. Deswegen konnte ich in der DDR nicht jüdischer werden. Was jüdisch in mir war, das war eigentlich nur die Erziehung meiner Mutter, die wusste, dass mein Vater Jude war und die ihn liebte und achtete, auch als Juden. Vater selbst wollte auch lieber Kommunist sein als Jude. Aber: Er achtete seine jüdischen Eltern. Und als er 1937 vor Gericht stand wegen der Waffenschiffe nach Francos Spanien, da fing der Prozess so an, wie immer Prozesse anfangen: Der Angeklagte steht auf, Name? Geburtsdatum? Beruf? Wohnort? Konfession? Und da sagt der Richter zu der Frau, die das Stenogramm mitschreibt: Konfession: keine. Nun steht mein Vater auf und sagt: Ich bin Jude! 1937, im Februar! Wie Berliner es in ihrem Jargon nennen: aus Daffke. Das muss Ihnen imponiert haben. Ich bin im Unterschied zu anderen ein gelernter Dichter und kein geborener. Ich weiß sehr klar, dass ich nur durch die Tapferkeit des Herzens, die ich von meinem Vater habe, aus meinem mittelmäßigen Talent etwas machen konnte. Weil der hinter mir steht und sagt: Los! Mach! Die Tapferkeit des Herzens begeistert mich immer wieder. Warum? Weil ich ein Angsthase bin. Weil ich mich fürchte. Weil ich immer ankämpfen muss gegen meine eigene Angst. Und ich muss ja Angst haben! Weil ich klug bin und weiß, was mich bedroht. Sie sehen mich ja hier, ich bin nicht gerade ein Athlet! Deshalb muss ich mir große Mühe geben. Und ich hatte oft große Angst. Wovor hatten Sie Angst? Dass ich getötet werde. Dass ich kaputt gehe. Dass ich verkomme. Das ich verblöde. Man muss aufpassen! Diese Angst haben Sie noch immer? Natürlich. Ich glaube, das wird noch nach meinem Tode so sein. Glauben Sie, dass Ihre Dichtung Sie überdauert? Na, den Ehrgeiz habe ich schon. Natürlich möchte ich, wenn ich schon Gedichte schreibe, wenigstens der Beste sein. Unter dem gar nichts! Alles andere wäre Betrug und Selbstbetrug und, wie Goethe es nennt, lumpenhafte Bescheidenheit. Und das Schreiben von Gedichten, von Kunstwerken, ist nicht gerade ein Akt von Bescheidenheit! Das Gespräch führten Benjamin Weinthal und Mathias Königschulte. Beide arbeiten in Berlin für die deutsch-jüdische Zeitung Aufbau

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