Protestmarsch in Paris zum Gedenken an die Sexworkerin Vanessa Campos, die 2018 im Bois de Boulogne ermordet wurde
Protestmarsch in Paris zum Gedenken an die Sexworkerin Vanessa Campos, die 2018 im Bois de Boulogne ermordet wurde / dpa

Sexarbeit - Vom Märchen einer Welt ohne Prostitution

Von Gegnern der Prostitution wird das „Nordische Modell“ gepriesen, das die Kunden von Prostituierten kriminalisiert. Das sei im Sinne der Rechte von Frauen, heißt es. Erfahrungen in Ländern, in denen dieses Modell angewandt wird, zeigen indes, dass Prostituierte dort weit stärker Gewalt und Schutzlosigkeit erfahren als etwa in Deutschland, wo sie immerhin einklagbare Rechte haben. Eine Erwiderung auf den Beitrag „Vom woken Sexwork-Märchen“ von Christine Zinner.

Autoreninfo

Sonja Dolinsek ist Historikerin und promoviert zur Geschichte von Prostitutionspolitik in Europa an der Universität Erfurt.

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In Paris findet die prekärste Prostitution im städtischen Wald, den Bois de Boulogne, statt. Legale Bordelle gibt es in Frankreich schon seit 1946 nicht mehr. Seit 2016 führte auch Frankreich das „Nordische Modell“ ein. Seitdem droht nun auch den Kunden eine Geldstrafe, wenn sie eine Prostituierte für Sex bezahlen. Um noch an Kunden zu kommen, müssen sich auch die Prostituierten verstecken. Sie müssen sich nicht mehr nur um ihre eigene Sicherheit kümmern, sondern auch um jene der Kunden – vor der Polizei. Sonst gibt es kein Geschäft.

Seit Jahrzehnten gibt es eine Debatte darüber, wie der Tausch von Sex gegen Geld geregelt werden soll, ob diese Transaktion legal oder verboten sein soll und wie Legalität oder Verbot genau aussieht. Ob man diesen Tausch nun als Sexarbeit oder Prostitution beschreibt, ist dabei irrelevant. Letztendlich geht es der Luxus-Escort, dem Callboy wie auch der Migrantin aus Rumänien um die Sicherung des Lebensunterhalts. Und damit ist es sinnvoll, über Prostitution als Arbeit zu sprechen.

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Christoph Kuhlmann | Fr., 28. Oktober 2022 - 16:57

Angesichts der geringen Preise für sexuelle Dienstleistungen ist der Profit ja eher bescheiden. Hamburg, Herbertstraße "Verkehr" für 30 Euro. Hinzu kommt die Abzocke. Fünf, sechs Freier am Tag sind da Minimum. Nach Abzug von Steuern und Sozialversicherung bleibt maximal der Mindestlohn. So ein Preisniveau wird nur durch alle möglichen Formen der Ausbeutung erreicht. Flatrate - Bordelle sind ja inzwischen verboten. All you can fuck für 80 Euro. So wird ein Land zum Puff Europas. Ich glaube nicht, dass die Pseudolegalisierung der Weisheit letzter Schluss ist. Zu viele Prostituierte werden durch falsche Versprechungen und Zwang zu ihrer Tätigkeit gezwungen. Zu viele müssen ihre Pässe beim Zuhälter abgeben und zu viele Verwandte werden von mafiösen Strukturen in den Heimatländern bedroht, wenn die Tochter oder Mutter in Deutschland nicht spurt. Diese Scheinlegalität ist auch keine Lösung.

Johannes Schlicht | Fr., 28. Oktober 2022 - 17:01

Sie haben Recht.

Markus Michaelis | Fr., 28. Oktober 2022 - 17:19

Der Artikel beleuchtet die Situation der Prostituierten - der wichtigste Punkt.

Ein anderer Punkt ist aber auch nicht unwichtig: zu den ur-menschlichen Eigenschaften gehören auch Wut, Zorn, Hass, Verachtung anderer, Überhöhung der eigenen Position und Gruppe, Gewalt zur Durchsetzung höchster eigener Anliegen und eben nicht zuletzt Sex.

Nichts von dem ist nur schlecht, es wurde von der Natur so eingerichtet, um das Leben in kleinen Gruppen zu ermöglichen. Wenn ich Angreifer auf mich oder meine Gruppe sehe, bin ich froh, wenn in meiner Gruppe jemand über Wut und Zorn die Energie aufbringt gegen die Angreifer ("Falschdenker") zurückzuschlagen.

Sex gehört sicher zu einem der fundamentalsten menschlichen Bedürfnisse oder eher Triebe, bei Männern nochmal etwas anders gelagert als bei Frauen.

Man kann Menschen(Männer) auch erziehen - aber ich denke nur bis zu einem Punkt. Für alle ohne die aktuell gefragten Fähigkeiten, wird man Lösungen immer anpassen müssen - soll es nicht unkontroll...

Heidemarie Heim | Fr., 28. Oktober 2022 - 17:59

Oder wenn schon freiwillig oder zwangsweise im Milieu tätig, dann im liberalen Deutschland. Das ist natürlich mit Sicht auf andere Länder und Regelungen naheliegend. Persönlich halte ich von Prohibitionen und in Kenntnis der menschlichen Natur wenig von rigiden staatlichen Maßnahmen oder Eingriffen. Nie wurde mehr gesoffen und illegal gebrannt als damals in den USA oder mehr außerhäuslicher Sex in Anspruch genommen als zu Zeiten hoher Prüderie und Moral. Und doch kann man das Geschäft m.E. nicht ausschließlich den daran beteiligten Parteien ohne eine echte Durchsetzung gewisser Regeln überlassen. Denn es liegt leider nicht nur an der Natur/Interesse z.B. krimineller Menschen-Schmuggler oder sonstigen "Anbietern", sondern auch hier bestimmen die teils pervertierten, hardcore-Porno übersättigten Nachfrager das Geschäft u. Bedingungen im Sex-Handel. Und wer sich anschaut wie wenig unser Recht/Gesetz z.B. bei unsäglicher Pädophilie greift, wer glaubt da noch an mehr Schutz für Erwachsene?

Walter Bühler | Fr., 28. Oktober 2022 - 18:41

Liebe Frau Dr. (in spe) Dolinsek, soll man Ihren Satz wirklich ernst nehmen: "Auch in Deutschland lässt sich die jahrhundertalte Ausgrenzung der Prostitution nicht von heute auf morgen beseitigen."?

Heißt das, Sie wollen Prostitution zu einem alltäglichen Beruf machen?

Fänden Sie es gut, wenn Ihre Mutter sich dafür entschieden hätte? Fänden Sie es wirklich gut, wenn sich Ihre Tochter für diesen Beruf entscheiden würde?

You too?

Die Überlegung gilt natürlich auch für Vater und Sohn.

Maria Arenz | Sa., 29. Oktober 2022 - 09:43

Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte. Sex-"Arbeit" ist nunmal keine Art Fußpflege, nur weiter oben. Das Gesetz der Rot-Grünen Koalition ist über das legitime Ziel, Prostitution zu entkriminalisieren, weit hinausgeschossen, indem es mit der Fußpflege-Fiktion auch die polizeilichen Möglichkeiten, in diesem international nun mal von Kriminellen beherrschten Geschäft für Ordnung zu sorgen, abgeschafft hat. Mit sehr problematischen Folgen für die Frauen, wovon sich jeder überzeugen kann, der nicht mit rot-grünen Scheuklappen unterwegs ist.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 29. Oktober 2022 - 11:01

zu Prostituierten oder was sagte er in der österreichischen Talksendung?
Wenn ich mir das Bild über dem Artikel von Frau Zinner anschaue, dann zweifle ich, ob ich da je hätte mithalten können, die Frauen haben tolle Figuren.
Ich vermute, dass ihre Körper entdeckt wurden, bevor jemand sich in ihren Geist verliebte.
Ich finde es völlig in Ordnung, dass sie fürs Ansehen bezahlt werden müssen, das Anfassen darf man niemandem aufzwingen.
Sogesehen dürfte die Sexindustrie schon viel für die Eindämmung der Prostitution getan haben?
Die Prostitution mit allen Randbereichen, vlt. Nebenfrauen etc., hat wohl eine lange Geschichte oder wie darf ich dieses Haus in z.B. "House of Flying Daggers" , Zhang Yimou, etc. interpretieren?
Welche auch bedeutende Rolle spielten sogenannte Prostituierte, ich würde sie Priester/innen des Sexus nennen wollen, z.B. in der politischen und poetischen Geschichte?
Ich mag gerne helfen/schützen, aber ich wehre mich dagegen, zu verurteilen, schon gar nicht moralisch.

Ernst-Günther Konrad | Sa., 29. Oktober 2022 - 11:04

Dennoch danke für den Artikel ein wichtiger Part als Gegenansicht zum Artikel der Frau Zirner. Der Sexualtrieb ist uns gegeben, je nach Geschlecht in Nuancen anders gewichtet. Das älteste Gewerbe der Welt wird sich nicht einhegen lassen, allenfalls in Teilen in einen Rahmen pressen, aber nie das Urproblem menschlicher, auch und gerade sexueller Abartigkeiten über den sog. "normalen" Sexualdrang hinaus und dem Beherrschungsgedanken den Menschen über Menschen ausüben wollen lösen. Wie will man einerseits das reine Geschäftsmodell, freiwillig und ohne Zwang, Callboys und Hostessen, die ihre Dienstleistungen anbieten und einfach Geld verdienen wollen von dem anderseits kriminellen Organisationen abgrenzen? Es ist nie gelungen und selbst "gute" Gesetze im Sinne der Prostituierten und der Freier werden die dunkle Seite des Gewerbes niemals einhegen können. Da sehe ich auch in dem nordischen Modell nicht wirklich zwingend die Lösung. Wir werden mit beiden Modellen leben müssen.

Gerhard Lenz | Sa., 29. Oktober 2022 - 13:48

Auch dort, wo es sie nicht geben dürfte, also in autoritären oder religiös geprägten Systemen, dann eben im Verborgenen. Es gab sie in Hitler-Deutschland, wo doch die Frau Zufriedenheit beim Kuchen backen und der Mann im Kampf finden sollte, genauso wie im Sozialismus, wo Frauen doch befreit und dem Manne gleichgestellt waren.

Wahrscheinlich ist sie so alt, wie die Menschheit, und man wird sie wohl auch nicht los. Weder mit erhobenem Zeigefinger, noch mit dem Strafgesetzbuch und auch nicht mit der Bibel oder dem Koran in der Hand.

Deswegen bleibt gar nichts übrig, als sie so zu regulieren, dass die wahrscheinlich ebenfalls unvermeidlichen Begleitschäden minimiert werden. Eine von beiden Seiten für ihre Teilnahme zu kriminalisieren, ist völlig witzlos.

Man muss Prostitution aus einer finsteren Halbwelt, in dem auch Gewalt und Drogen Alltag sind, herausholen.
Schwierig, angesichts einer verlogenen Moral, die bestraft, was nicht existieren sollte, und dennoch floriert.