Erster Fehltritt des neuen Königs  - Verteidigt die Quiche Lorraine! 

Eigentlich interessiert sich unser Genusskolumnist kaum für das Treiben der britischen Royals. Aber die Meldungen über eine merkwürdige Pseudo-Quiche als offizielles Festmahl für die Krönungsfeiern haben ihn dann doch aufgeschreckt. Und zur Verteidigung der originalen Quiche Lorraine animiert. 

Big Lunch in Londons Regent’s Park, einschließlich Coronation Quiche / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Die große Sause in England ist vorbei. Ein gewisser Charles Philip Arthur George Mountbatten-Windsor hat am vergangenen Sonnabend ein paar Kronen, Kostüme und Kutschen an- und ausprobiert, wurde dann mit aromatisiertem Olivenöl eingerieben und schließlich offiziell gekrönt, um anschließend zusammen mit einigen Familienmitgliedern huldvoll dem Volk von einem Balkon zuzuwinken. 

Die spinnen, die Briten 

Seine Untertanen fanden das anscheinend mehrheitlich ganz in Ordnung, und wenn nicht, gab’s Ärger. Auch friedliche, republikanisch gesinnte Bürger mussten damit rechnen, in Polizeigewahrsam genommen zu werden, wenn sie etwa ein Plakat mit der Aufschrift „Not my King“ hochhielten oder öffentlich anmerkten, dass die Kosten dieser Sause von rund 2,4 Milliarden Pfund angesichts der schweren sozialen Krise im Land wohl etwas überdimensioniert seien. 

Aber das Volk bekam immerhin noch etwa mehr geboten als nur die royale Kostümparty. Denn am Sonntag gab es den „Coronation Big Lunch“. An rund 3700 Orten quer durchs ganze Königreich konnte das Ereignis als nationale Party weitergefeiert werden. Bis hierhin könnte man sagen: Alles sehr merkwürdig, aber lasst die Briten doch machen, was sie wollen. Doch beim vom König und seiner Frau Camilla empfohlenen Gericht für die Volksverköstigung hört der Spaß endgültig auf. 

Provokation gegen Frankreich, Verrat an der eigenen Kultur 

Denn auf dem Speiseplan stand die „Krönungs-Quiche“, bei der sich um eine schwere Provokation der französischen Nachbarn auf der anderen Seite des Kanals handelt, die in früheren Zeiten vermutlich zu einem mehrjährigen Krieg zwischen den beiden Ländern geführt hätte. Während das französische Original – die aus Lothringen stammende Quiche Lorraine – auf einem Mürbeteig basiert, der mit einer Mischung aus geräuchertem Speck, Lauch (oder Zwiebeln), Eiern, Hartkäse und Crème fraîche gebacken wird, dekretierte der fleischskeptische Monarch eine Füllung aus Spinat, Saubohnen und Estragon, nebst Cheddar-Käse zum Überbacken. 

Diese merkwürdige Teigspeise als „Quiche“ zu bezeichnen, ist aber nicht nur ein Affront gegen Frankreich und darüber hinaus alle kulinarischen Humanisten in der Welt. Es missachtet auch die großen, im Volk beliebten Traditionen der britischen Esskultur. Bei einem „Coronation Big Lunch“ hätten nahezu zwingend nationale Spezialitäten aufgetischt werden müssen. Wie etwa ein Teller mit angekokelten Bauchspeckscheiben und Würstchen nebst Baked Beans, gegrillter Tomate und Spiegeleiern (British Breakfast). Oder ein mit Herz, Leber, Lunge, Nierenfett, Zwiebeln und Hafermehl gefüllter Schafsmagen (Haggis). Oder möglichst übelriechendes, altes Hammelfleisch, dessen Odeur mit Minzsoße etwas neutralisiert wird. Oder einfach Fish and Chips. 

Harte Worte und eine elegante Replik 

Aber nein – es sollte ja diese schräge „Coronation Quiche“ sein, was nicht nur Franzosen, sondern auch einige Briten ziemlich auf die Palme brachte – obwohl die kulinarisch ja eigentlich ziemlich schmerzfrei sind. So erklärte der konservative Abgeordnete Jacob Rees-Mogg, er denke nicht im Traum daran, das Gericht zu probieren, da es „eklig" sei. Vor allem, weil da Saubohnen drin seien, denn „das ist abscheulich", so Rees-Mogg im Telegraph

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Eher süffisant kommentierten französische Experten diese kulinarische Geisterfahrt. Man könne wohl nicht von einer Quiche sprechen, es sei eher eine „herzhafte Tarte“, sagte Laurent Miltgen-Delinchamp von der Zunft der Quiche Lorraine der Times. Und Évelyne Muller-Dervaux, die Großmeisterin der Zunft, merkte an, dass die Bezeichnung Quiche auch in Frankreich bisweilen falsch verwendet werde. Aber „wenn die Angelsachsen das tun, schockiert es mich weniger“. Was man als ziemlich intelligente Formulierung der Nichtwertschätzung britischer „Esskultur“ sehen kann.   

Elisabeth II. hatte mehr Stil 

Mehrere britische Zeitungen erinnerten jetzt wehmütig an das „Coronation Chicken“, das bei der Krönung von Charles’ Mutter Elisabeth II. im Juni 1953 auf dem königlichen Speiseplan stand. Dafür wurde Hühnchen mit Petersilie, Thymian, Lorbeer, Pfeffer und Karotten aufgekocht und danach vom Knochen gelöst. Für das Dressing wurden angebratene Zwiebeln mit Currypulver, Tomatenmark, Wasser und Rotwein gemischt, mit Salz, Zucker, Pfeffer und Zitronensaft gewürzt und mit Mayonnaise, Aprikosenpüree und Schlagsahne vermengt. Klingt zumindest vergleichsweise essbar. 

Die große Krönungs-Sause ist jetzt vorbei, die „Coronation Quiche“ ist längst verspeist (oder entsorgt), und das Königreich kann und muss sich wieder mit den wirklich wichtigen Dingen beschäftigen, wie etwa der desolaten Wirtschaftslage und den massiven sozialen Problemen. Frankreich wird den „Quiche-Affront“ verschmerzen und hoffentlich seine kulinarische Kultur weiter hegen und pflegen. Das verdient jegliche Unterstützung. Und deswegen an dieser Stelle das klassische Rezept für Quiche Lorraine. 

Egal ob heiß oder kalt: Immer ein Genuss 

Ich gestehe freimütig ein, dass meine Backkünste äußerst limitiert sind und ein hohes Risiko des Scheiterns beinhalten. Deswegen habe ich für den Mürbeteig ausnahmsweise auf ein Fertigprodukt aus dem Kühlregal zurückgegriffen und verweise gerne auf ein recht schlüssiges Rezept. Besonders wichtig erscheint mir dabei das „Blindbacken“ des Teigs, um sein späteres Durchweichen zu verhindern. Doch den Belag sollte man schon selber machen. Auf Mengenangaben verzichte ich diesmal, denn ich habe bei meiner Test-Quiche komplett freihändig agiert.   

Los geht’s. Den in Streifen geschnittenen geräucherten Speck mit den Zwiebeln leicht anschwitzen. Die Eier mit geriebenem Hartkäse (z.B. Gruyère) und Creme Fraiche sämig verquirlen. Zwiebeln und Speck unterrühren. Den Teig (mit hochgezogenem Rand) auf Backpapier in einer Tarte- oder Springform leicht andrücken, die Füllung verteilen, und ab damit für 30 Minuten in den auf 190 Grad (Ober- und Unterhitze) vorgeheizten Ofen. Zunächst auf der unteren Schiene, die letzten 5 Minuten auf der oberen. Wenn die Quiche eine schöne, goldbraune Kruste hat, ist sie fertig. Kann man heiß, aber auch wunderbar kalt essen. Das sollte Charles III. mal machen, statt seinem Volk seine schräge „Coronation Quiche“ mit Saubohnen und Cheddar aufzudrücken. 

Dazu vorzugsweise einen guten Edelzwicker oder einen Auxerrois. Auxe- was? Gemach: Zu dieser wenig bekannten, vor allem im Elsass, aber auch in Luxemburg und in Deutschland angebauten Rebsorte folgt in Kürze ein Beitrag.

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