Kurz und Bündig - Gert Hofmann: Zur Phänomenologie des Snobs

Gert Hofmann starb 1993, als er sich gerade in die Erste Liga der deutschen Gegenwartsliteratur hineingeschrieben hatte. Posthum erschien noch der Lichtenberg-Roman «Die kleine Stechardin», ein raffi­nier­tes, verspieltes und kluges, zugleich auch ergreifendes Buch. Seitdem aber ist es ruhig geworden um Gert Hofmann. Muss man ihn schon als vergessen bezeichnen? Immerhin: Vergessenwerden ist die beste Voraussetzung zur Wiederentdeckung.

Gert Hofmann starb 1993, als er sich gerade in die Erste Liga der deutschen Gegenwartsliteratur hineingeschrieben hatte. Posthum erschien noch der Lichtenberg-Roman «Die kleine Stechardin», ein raffi­nier­tes, verspieltes und kluges, zugleich auch ergreifendes Buch. Seitdem aber ist es ruhig geworden um Gert Hofmann. Muss man ihn schon als vergessen bezeichnen? Immerhin: Vergessenwerden ist die beste Voraussetzung zur Wiederentdeckung. Mit seinen besten Texten ist dieser Autor nicht weit entfernt von Dichtern wie Kafka oder Robert Walser. Das beweist gleich die erste Geschichte dieses Bandes mit bislang größtenteils unveröffentlichten Texten: «Porträt Herrn E.s», ein skurriles Stück Prosa über einen dicken Deutsch­lektor in Marseille, der sich in Mitteilungen über seine fortgesetzten Erfolge im Abnehmen gefällt und seine Diät wie eine Philosophie betreibt. Das ist amüsant, verläuft sich aber nach ein paar Seiten. Wie begabte Fingerübungen nehmen sich die meisten erzählenden Texte dieses Buches aus –  Geschichten über junge Gelehrte auf dem besten Weg in die Verschrobenheit von Geistesmenschen. Sie sind zum Teil noch in den fünfziger Jahren entstanden und muten heute eher harmlos an. Mitunter blitzt allerdings Hofmanns Witz auf, ein feiner Humor, der traurigen Gesichtern komi­sche Masken aufsetzt. Das Titelstück «Zur Phänomenologie des Snobs» ist ein Nachtstudio-Beitrag aus dem Jahr 1963. Zwei Sprecher werfen einander hier argumentierend und zitierend (Proust, Wilde, Thackeray) die Bälle zu – der mit Naserümpfen und Trendschnuppern gleichermaßen beschäftigte Snob sei der «ex­klu­sive Typ des Konformisten», definiert Hofmann. Lange wirkt es so, als wolle er dem Snob kulturkritisch die Leviten lesen, auf der Basis eines zweifelhaften Begriffs von Authentizität; gegen Ende aber setzt er dann doch zu einem entschiedenen Lob des Snobismus an, ohne den kulturelles Leben gar nicht möglich sei. Keine Premiere wäre ohne ihn ein Ereignis, und «würde die gute Literatur nur von den Kennern gekauft, wären die meisten Schriftsteller schon lange Hungers gestorben». Snobismus ist, so gesehen, eine Form des Mäzenatentums. Neben einer gelungenen Short Story («Der Selbstmörder») sind schließlich noch die Hommagen und Portraits hervorhebenswert. Sie gelten Flaubert und Henry James, über den Hofmann einst promovierte und dem einer der schönsten, ausgereiftesten Texte gewidmet ist. Wer sich solche Autoren zum Vorbild nimmt, kann selbst nicht einfach drauflosschreiben. So ver­rät auch Hofmanns Prosa seit den Anfängen hohes Form­­bewusstsein. Stimme, Ton, Aus­druck und ein prinzipielles Interesse an der Sprache als Bedingung von Erkenntnis – dies alles ist für seine Texte ebenso entscheidend wie das, was erzählt wird; nichts liegt diesem Autor ferner als ein lakonischer Allerweltstonfall. So macht dieser Band aus dem Nachlass wieder neugierig auf seine vollendeteren Werke.

 

Gert Hofmann
Zur Phänomenologie des Snobs
Hanser, München 2005. 158 S., 14,90 €

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