Gendersprache - Es geht nicht um Logik, sondern um Freiheit

Die Initiatoren des Aufrufs gegen die Genderpraxis im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisieren, dass der ÖRR weiter gendert. Dieser Widerstand gegen das Sprachdiktat einer aktivistischen Minderheit ist ehrenwert. Doch mit rationalen Argumenten kann man dieser Sprachpolitik kaum entgegentreten.

Ihr „Deutsches Wörterbuch“ war noch total ungerecht: Denkmal der Brüder Grimm / dpa 
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es ist ziemlich genau drei Jahre her. Es war der 24. Mai 2020, da begrüßte Anne Will einen ihrer Gäste mit den epochemachenden Worten: „Der Präsident des Bundes der Steuerzahler ... Innen, Reiner Holznagel.“ 

Dass dieser einfache Satz einen Dammbruch markierte, war schon damals absehbar – und es wurde an dieser Stelle entsprechend kommentiert. Denn wenn, so argumentierte ich damals, die Moderatorin einer der wichtigsten Talkshows des Landes ein gegendertes Deutsch verwendet, dann setzt das Standards in der Medienlandschaft. Und wenn in einer Massenmediengesellschaft Medien sprachliche Standards propagieren, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich dieses Deutsch durchsetzt. 

Und tatsächlich kam es so. Innerhalb weniger Monate genderte man im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, was das Zeug hielt. Einige wenige tapfere Redaktionen –gallische Dörfer der sprachlichen Vernunft – leisten diesem allgemeinen Trend nach wie vor Widerstand. Doch dieses Beharrungsvermögen hängt an Einzelpersonen, die früher oder später in den Ruhestand gehen und durch junge, ideologisch durchgeformtere Kollegen ersetzt werden. 

Dass der ÖRR einer der potentesten Sprachgeneratoren des Landes ist, steht außer Frage. Über ARD, ZDF, die dritten Programme und die allgegenwärtigen regionalen und nationalen Radiosender erreichen die Öffentlichen quasi jeden deutschen Sprecher auf verschiedenen Kanälen mehrmals am Tag. Keine Sprachmaschine ist mächtiger. 

70 bis 80 Prozent lehnen die Gendersprache ab

Sprache funktioniert nach dem Prinzip der Anpassung. Es gibt nicht die richtige Sprachverwendung. Richtig ist, was üblich ist und was die meisten Sprecher als richtige Sprachverwendung empfinden. Deshalb gibt es Sprachwandel. Der kann vollkommen harmlose Sprachveränderungen zur Folge haben, macht Sprachsysteme allerdings auch anfällig für Manipulationen. Hier setzen die Vertreter der Gendersprache an: Sprachliche Tatsachen schaffen, auf den Opportunismus der Sprecher hoffen (insbesondere der professionellen Sprachnutzer wie Werbeagenturen etc.) und moralischen Druck ausüben. Denn wer will etwa gegenüber den Lehrern seiner Kinder als politisch verdächtig dastehen? 

Zum Glück blieb diese Entwicklung nicht unwidersprochen. Schon vor einem knappen Jahr, im Juli 2022, unterzeichneten 70 Sprachexperten einen Aufruf, der die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten wegen der Verwendung von Gendersprache scharf kritisierte. Über die Monate haben hunderte Sprach- und Literaturwissenschaftler den „Aufruf: Wissenschaftler kritisieren Genderpraxis des ÖRR“ unterschieben, darunter bekannte Linguisten, Mitglieder des Rates für deutsche Rechtschreibung, der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft, der Gesellschaft für deutsche Sprache und des PEN-Zentrums. Tausende Unterzeichner aus anderen Berufsfeldern kamen hinzu. 

 

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Nun haben die Initiatoren des Aufrufs einen Brief an sämtliche Fernsehräte verschickt, in dem sie kritisieren, dass sich an der Genderpraxis weder etwas geändert noch man sich substantiell mit den Argumenten des Aufrufs von 2022 auseinandergesetzt hat – und dies, obwohl zahlreiche Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung mehrheitlich (zwischen 70 und 80 Prozent) die Gendersprache ablehnt. 

Wie schon vor zwei Jahren wurde umgehend versucht, die Initiative mit den üblichen Argumenten zu diskreditieren. Nicht alle Unterzeichner seien Sprachwissenschaftler, viele fachfremd oder ohne wissenschaftliche Reputation, und auch der Initiator des Aufrufs sei kein ausgewiesener Fachmann, so etwa der Tenor bei queer.de. Außerdem werde eine alte Kamelle wieder aufgewärmt. 

Es geht um Emotionen, es geht um die Deutungshoheit

Mag ja alles sein. Nur das ist nicht der Punkt. Denn die Argumente, die die Initiatoren des Aufrufs zusammengetragen hatten, werden dadurch in keiner Weise tangiert. Denn natürlich wird mit Hilfe des Genderns auf autoritäre Weise Gesellschaftspolitik mit der Brechstange gemacht. Die große Mehrheit der Sprecher wird in Geiselhaft genommen für die Idiosynkrasien von ein paar Aktivisten. Es geht nicht um Minderheitenrechte, sondern um sprachpolitische Deutungshoheit.  

Richtig ist zudem, dass die linguistischen Argumente für das Gendern (normaler Sprachwandel, Diskriminierung von angeblich Nichtgenannten) an den Haaren herbeigezogen sind. Denn weder hat das Gendern etwas mit dem üblichen Sprachwandel zu tun, noch haben Grammatiken normative Eigenschaften. Es gibt eben keine gerechte und es gibt keine ungerechte Sprache. Man kann aber allerlei in Sprachen hineinlesen, und da beginnt das eigentliche Problem. 

Denn natürliche Sprachen haben vor allem eine soziale Funktion. Und die erfüllen sie mit ganz unterschiedlichen Mitteln. Vor allem können Sprachen enorm emotionalisieren. Und diese emotionalisierende Rolle der Sprache bekommt in einer Massenmediengesellschaft, in der subjektive Gefühle eine immer größere Bedeutung haben, eine Schlüsselfunktion. 

In einem solchen Kommunikationsklima ist es aller Ehren wert, mit Logik und Wissenschaftlichkeit zu argumentieren. Es wird allerdings nicht viel nützen. Wichtiger ist es, von den Aktivisten des Genderns zu lernen. Es geht um Emotionen, es geht um die Deutungshoheit, es geht um normative Grundeinstellungen. Und das bedeutet konkret: Wollen wir unsere Ausdrucksfreiheit, unsere Individualität und unsere Kreativität ein paar Ideologen und ihren willfährigen Medienbeamten opfern? Oder wollen wir auf das Recht pochen, uns auszudrücken wie wir wollen – zur Not auch mal unlogisch, irrational, inkohärent und unschön? Denn so kann Sprache sein in all ihrer Vielfalt sein. Und es bedarf keiner Sprachpolizei, das schon im linguistischen Vorfeld zu unterbinden. 

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