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(picture alliance) "Sind wir nicht alle erdgebundene Würmer?" Der "Green iguana" wurde im Rembrandthaus in Amsterdam ausgestellt

Kulturkolumne - Eine Frau revolutioniert die Zoologie

Im späten 17. Jahrhundert galt es für eine Frau noch als Teufelszeug, sich mit Insekten zu beschäftigen. Maria Sibylla Merian tat es trotzdem und revolutionierte die Zoologie

Die Kakerlake ekelte sie kein bisschen. Im Gegenteil. Mit der Hingabe der Naturforscherin spießte Maria Sibylla Merian das Exemplar der Periplaneta australasiae auf und spreizte behutsam die Gliedmaßen des kräftigen Insekts. Dann nahm sie ihr Vergrößerungsglas zur Hand und studierte die feine Äderung seiner Flügel, seine haarigen Beine und langen Fühler. So wird die Künstlerin manche Tropennacht in Surinam zugebracht haben, um – zum ersten Mal überhaupt – die Fülle der exotischen Flora und Fauna auf Pergament zu bannen.

Im Jahr 1647 als Tochter des berühmten Kupferstechers Matthäus Merian in Frankfurt am Main geboren, wurde Maria Sibylla nach dem Tod ihres Vaters vom weniger berühmten Stiefvater Jacob Marrel in der Blumenmalerei unterrichtet. Blumen galten als achtbare Beschäftigung für eine Frau ihrer Zeit. Als unschicklich, ja als des Teufels galt dagegen das krabbelnde und kriechende Getier. Trotzdem begeisterte sie sich für Insekten. Sie war 13, als sie zum ersten Mal eine Seidenraupe sah, und nur wenig später begann sie, die kleinen Tierchen selbst zu züchten, um ihre verschiedenen Entwicklungsstadien zeichnerisch zu dokumentieren. Die illustrierte Publikation „Der Raupen wunderbare Verwandlung und sonder barste und Edelste unter allen Würmern und Raupen“. Und überhaupt müsse man die drei Stadien eines Schmetterlingslebens als Parallelen zum christlichen Auferstehungsgedanken lesen. Sind wir nicht alle erdgebundene Würmer, deren Seele sich nach dem Tod in die Lüfte schwingen wird?

Mit 18 heiratete Merian auf Vermittlung ihres Stiefvaters den inzwischen vergessenen Maler Andreas Graff. Nach 20 Jahren fasste sie Mut und ließ sich von ihm scheiden, um nicht viel später mit ihrer Mutter und ihren beiden Töchtern in eine pietistische Gemeinde nach Holland zu ziehen. Dort knüpfte sie Kontakt zu dem Gouverneur der niederländischen Kolonie Surinam und begab sich 1699 in Begleitung einer ihrer Töchter auf eine Weltreise. Rund drei Monate dauerte allein die Fahrt mit dem Schiff über den Atlantik. Die Strapazen nahmen auch mit der Ankunft kein Ende: „Der Wald ist so dicht mit Disteln und Dornen verwachsen“, schrieb sie, „dass ich meine Sklaven mit Beilen in der Hand vorwegschicken musste, damit sie für mich eine Öffnung hackten, um einigermaßen hindurchzukommen, was doch ziemlich beschwerlich war.“

Gefahren lauerten nicht nur im Urwald, sondern auch auf den Ananasplantagen. Mehrmals erlitt sie schmerzhafte Ausschläge, wenn sie Raupen mit giftigen Brennhaaren einsammelte. Wäre sie nicht schwer erkrankt, hätte die Künstlerin noch länger geforscht. Doch so reiste sie nach zwei Jahren zurück nach Europa. Die Publikation der „Metamorphosis Insectorum Surinamensium“ erschien im Jahr 1705 mit prächtigen Kupferstichen nach ihren Vorlagen, viele von ihnen handkoloriert. Dass sie die Insekten und Spinnen zusammen mit dem abbildete, was sie fressen, war eine Neuerung auf dem Gebiet der Zoologie. Ausgerechnet auf einer Ananaspflanze, die in Europa als kostbare Delikatesse galt, bildete sie die in den Tropen heimische Kakerlake ab. Neben ihren verschiedenen Entwicklungsstadien stellte sie unten links auch ihre kleine Verwandte, die europäische Küchenschabe dar. Maria Sibylla Merian war nicht nur eine außergewöhnliche Frau, sie war eine Wegbereiterin. Für die nächsten Jahrhunderte sollten ihre Illustrationen die Naturkunde prägen.

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