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(picture alliance) Thea Dorn
Die misanthropische Humanistin

Das Gesicht ist blass gepudert, feuerrot lodert das Haar, der Anzug ist existenzialistisch schwarz.

Das Gesicht ist blass gepudert, feuerrot lodert das Haar, der Anzug ist existenzialistisch schwarz. Beiläufig spielt sie mit Handschellen. Thea Dorn hat die beunruhigend stilvolle Grandezza einer Serienmörderin, im wahren Leben ist sie Deutschlands belesenste Krimiautorin und Moderatorin einer Literatursendung im SWR. Ihren Namen entlieh sie Theodor W.Adorno, ihre Plots den tiefschwarzen Gegenwelten verstörter Seelen. Eine Gratwanderin zwischen Philosophie und Pathologie, Performance und Poeta doctus.
Ihre Arbeitswohnung im Bayerischen Viertel von Berlin-Wilmersdorf wirkt so sachlich wie ein Anatomiesaal. Die Bücher ruhen auf schwarzen Brettern aus dem Baumarkt, getragen von weißen Backsteinen – „die meisten geklaut, damals, als ich studierte“. Als Erstes fällt mehr als ein halber Meter gelber, dickleibiger Bücher ins Auge: Wagner. Richard Wagner? „Das war meine Pubertätsliebe“, seufzt Thea Dorn und nimmt einen Schluck Tee. „Ich kann noch immer den halben ‚Ring‘ auswendig. Schlimm wird es, wenn ich mal Alzheimer bekomme und mich nur noch an das erinnern kann, was meine Festplatte in frühen Jahren gespeichert hat. Dann werde ich in Stabreimen sprechen!“ Eine Kostprobe, bitte. „‚Starke Scheite schichtet mir dort am Rande des Rheins zuhauf‘ – das ist der Anfang vom Schlussgesang Brünnhildes in der Götterdämmerung.“
Eigentlich hatte Thea Dorn Sängerin werden wollen. Seit sie mit dreizehn ihren ersten Parsifal in der Regie von Ruth Berghaus in Frankfurt gesehen hatte, war sie wagnersüchtig geworden und investierte heimlich ihr Sparbuch in Gesangsstunden – die Eltern waren zwar für eine bildungsbürgerliche Freizeitgestaltung, sahen für ihre Tochter aber eine durchaus bürgerliche Ausbildung vor. Koloraturen übte Thea deshalb in den -Pausen in der leeren Schulaula. „Am Wochenende habe ich mich in meinem Zimmer eingeschlossen, morgens um zehn das ‚Rheingold‘ aufgelegt und so ungefähr um Mitternacht war dann mit ‚Götterdämmerung‘ Schluss. Ich habe drei LP-Garnituren ‚Ring‘ verschlissen, damals gab es ja noch fast keine CDs, und mein Schallplattenspieler war eher so ein Kaufhof-Kinderding“, sagt Thea Dorn. Und bekennt „Wagners Musik funktioniert immer noch als Droge für mich, allerdings betrachte ich die Texte und Handlungen heute eher mit einer Mischung aus Faszination und Grauen.“ Mit ihrem pubertären Hirn jedoch sei die Paranoia Wagners, was Frauen und Sexualität betrifft, bestens kompatibel gewesen. Vor allem mochte sie die unhappy endings: „Schon damals interessierten mich Liebesgeschichten nur, wenn am Ende mindestens eine Leiche auf der Bühne lag.“
Die Leidenschaft für die Oper endete jäh, als man ihr bei der Aufnahmeprüfung für das Gesangsstudium eröffnete, ihre Stimme sei für Mozartpartien geeignet, die titanische Kraft für Wagner aber sei ihr nicht gegeben. Aus der Traum: „Wenn man Brünnhilde singen will, kann man keine Mozartkammerkätzchen machen.“ Was sie dann statt Wagner beschäftigte, füllt viele Meter der Regale: die griechische Philosophie. Der hellblaue Band der „Ethica Nicomachea“ von Aristoteles fällt ins Auge. Ich ziehe den Band heraus, ein Reprint der „Oxford Classical Texts“-Ausgabe von 1896. Auf Griechisch. Thea Dorn hebt eine Augenbraue. „Altsprachliches Gymnasium – Graecum.“
Aristoteles. Schon bald, nachdem Thea Dorn mit dem Philosophiestudium begann, war es dieser Denker, der sie in seinen Bann zog. Die Frage, ob der Mensch ein Spielball göttergelenkten Schicksals sei, wie in der antiken Tragödie, oder ob er, wie Platon behauptet, sein Inneres erkennen müsse, um unanfechtbar zu sein, diese Frage beschäftigt Thea Dorn auch literarisch bis heute. „Aristoteles bedeutet demgegenüber ein neues, ‚humanistisch-pragmatisches‘ Denken: Der Mensch ist angehalten, Charakter und Tugenden auszubilden, muss aber dennoch damit rechnen, an übermächtigen Schicksalsschlägen zu zerbrechen.“
Ethik und Moralphilosophie werden fortan ihr Terrain, zunächst als Studentin, dann als Dozentin, doch schon mit vierundzwanzig debütiert sie mit einem Buch, in dem sie Ethik und Moral blutrünstig zum Teufel schickt: „Berliner Aufklärung“ heißt es, und darin wird ein Philosophie-Professor in vierundfünfzig Teile zerstückelt. Ein Nietzsche-Spezialist übrigens. Das Buch wird sofort ein Erfolg, erhält den „Marlowe“-Preis der Raymond-Chandler-Gesellschaft, zwei Jahre später folgt „Ringkampf“, ein Roman über kriminelle Machenschaften rund um eine Inszenierung von Wagners „Ring“. Erst jetzt beginnt Thea Dorn systematisch, sich das Genre des Kriminalromans zu erarbeiten. Sue Grafton zum Beispiel, die die Privatdetektivin Kinsey Millhone erfand, eine lakonische Heldin mit Knarre und Machosprüchen, oder die britische Horror-Schocker-Autorin Mo Hayder. Sie füllen ein ganzes Regal, zusammen mit Klassikern wie Raymond Chandler oder Georges Simenon, außerdem sind alle Folgen von „Twin Peaks“ vorhanden, jener quälend düsteren TV-Serie der frühen neunziger Jahre, in der Kult-Regisseur David Lynch das gewalttätige Grauen der Provinz zelebrierte.
Im Regal daneben stehen dicht an dicht Bildbände über Leni Riefenstahl und ein halber Meter Biografien über die Schauspielerin und Regisseurin. 2000 hatte Thea Dorns Theaterstück „Marleni“ am Hamburger Schauspielhaus Premiere, ein Vexierspiel zweier Frauenfiguren, deren Schicksal untrennbar mit dem Dritten Reich verknüpft ist. „Ich hatte eine Retrospektive mit Marlene-Dietrich-Filmen gesehen und fast zeitgleich ‚Olympia‘ von Leni Riefenstahl“, erzählt die Schriftstellerin. „Die Riefenstahl war künstlerisch und lebenstechnisch die Emanzipiertere und ließ sich politisch verführen, während die politisch autonome Marlene Dietrich künstlerisches Objekt blieb, eine Männerfantasie. Der gemeinsame Nenner der beiden war der maximale Narzissmus, den sie lebten.“ Was denkt sie über die Breker-Debatte? „Im Gegensatz zu Leni Riefenstahl hat mich das Werk Arno Brekers nie sonderlich fasziniert“, sagt sie. „Zeigen sollte man ihn aber, so wie auch die Riefenstahl.“
Die moralische Rücksichtslosigkeit künstlerischer Autonomie – ein brisantes Thema, auch für die Theaterbühne. Die Affinität zum Theater ist in dieser Bibliothek unübersehbar: Thomas Bernhards und Rainer Werner Fassbinders Stücke sind vollständig vorhanden, auch die Stücke von Botho Strauß und Franz Xaver Kroetz.
Prägend ist für Thea Dorn heute die amerikanische Literatur. Seit sie Dorothy Parker las, ist sie ihr verfallen: „Ich liebe dieses Lebensgefühl zwischen den Weltzeiten zu stehen, die Mischung aus Divenhaftigkeit und Verzweiflung“. Thea Dorn grinst. „Als die Parker mal während einer Party mit einem Herrn im Gebüsch verschwand, dessen Manneskraft dann aber versagte, kommentierte sie das mit dem Satz: ‚Keine Sorge, junger Mann, ich schreibe nur über Premieren, nicht über Generalproben.‘ Wunderbar!“ Von den noch lebenden Autoren verehrt sie Tom Wolfe, dessen „Bonfire of the vanities“ sie während einer New-York-Reise las, auf Englisch natürlich. „Das hat Ausmaße einer antiken Tragödie. Außerdem stimmen bei Wolfe alle sprachlichen Nuancen, vom millionenschweren Broker bis zu den schwarzen Kids im Gefängnis. Mit Wolfe teile ich die Liebe zu gut recherchierten Büchern, den messerscharfen Blick auf die Wirklichkeit, ohne sich hinter pseudo-avantgardistischen Konstruktionen zu verstecken. Was ja von der deutschen Literaturkritik eher geschmäht als anerkannt wird.“
Thea Dorn wurde immer wieder vorgeworfen, sie sei frauenfeindlich, weil in ihren Büchern keine „positiven“ Heldinnen aufträten. Und mit Misogynie kennt sie sich in der Tat bestens aus: Ihr langjähriger Lieblingsroman, „Die Blendung“ von Elias Canetti, wartet in Gestalt der engstirnigen putzbesessenen Therese Krumbholz mit einer Frauenfigur auf, die zum Hassen einlädt. Doch jetzt tritt Thea Dorn den Gegenbeweis an: „Die neue F-Klasse“ heißt ihr jüngstes Werk, das Ende September erscheint, mit elf Porträts starker Frauen, von der Politikerin bis zur Forensischen Psychiaterin. „Solche ‚Klasse-Frauen‘“, sagt Thea Dorn, „sind der letzte Lichtblick, dass diese Welt vielleicht doch nicht vor die Hunde geht.“
Ganz oben auf den Regalen, verstaubt und vergilbt, harrt die Lektüre der frühen Jahre aus. „Mein Angstgegner der Gymnasialzeit war Gottfried Keller, der uns immer wieder aufgedrängt wurde. Zu meiner Ehrenrettung kann ich aber sagen, dass ich nie eine Hesse-Phase hatte.“ Wirkmächtig dagegen war lange Jean-Paul Sartre. Die Vierzehnjährige Thea hatte seine Dramen in den Finnland-Urlaub mitgenommen; statt sich die nordische Landschaft anzusehen, saß sie zur Empörung ihrer Eltern im Wohnmobil und las. „Der Satz ‚l’enfer, c’est les autres‘ – ‚die Hölle, das sind die anderen‘, bekommt eine ganz neue Dimension, wenn man Familienurlaub im Wohnmobil macht“, sagt Thea Dorn und lächelt maliziös. „Im Grunde meines Herzens bin ich Humanistin, aber reale Menschen werden mir schnell zu viel. Sagen wir, ich bin eine misanthropische Humanistin.“

Christine Eichel leitet das Cicero-Ressort Salon. 2004 erschien ihr Roman „Im Netz“ (Hoffmann & Campe), 2006 „Klimt. Eine Wiener Phantasie“ (Ullstein)

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