lesen: Journal - Der kalte Glanz der glänzenden Zeiten

Adam Soboczynski: Glänzende Zeiten. Fast ein Roman

Auf den behaarten Mann legte sich die Frau, zu ihrer großen Freude, immer wie auf eine weiche Wiese.» Adam Soboczynski kennt das zwar nur aus den James-Bond-Filmen mit Sean Connery. Er selbst ist spärlich behaart und außerdem erst 35. Aber das nimmt dem Satz nichts von seiner Poesie. Die Freude der Frauen auf der weichen Wiese üppiger Männerbehaarung gibt es ebenso wenig wie die Selbstverständ­lichkeit, mit der man noch vor wenigen Jahren rauchend und Bier trinkend im Zug sitzen oder sich bei geöffnetem Fenster den Fahrtwind um die Nase wehen lassen konnte. Es gibt auch kaum noch Teppiche, geschweige denn Teppichböden.
Der moderne Mensch wohnt auf blankem Parkett in Häusern, über deren technische Installationen nicht mehr Hausmeister wachen, sondern Facility Manager, die an undichte Wasserrohre nicht mehr selbst Hand anlegen, sondern per Handy externe Dienstleistungen abrufen und anders als ihre grau bekittelten Vorgänger von jener antrainierten Freundlichkeit sind, die heute auch die Verkäuferin an der Frittenbude jedem Kunden einen schönen Tag wünschen lässt. Wobei Frittenbuden wegen des dort konzentrierten Fetts Orte sind, die der moderne Mensch eigentlich zu meiden hat, muss er doch gesund, schlank und sportlich sein. Er raucht nicht und merkt schon gar nicht mehr, welch ein brutaler Akt staatlicher Disziplinierung das allgemeine öffentliche Rauchverbot ist. Auf Wein zum Mittagessen verzichtet er schon lange. 
    Stolz, Liebe, Rauchen und Trinken In dieser schönen neuen Welt bewegt sich der Autor als Flaneur, der nicht aufhört, sich zu wundern und sich immer wieder stößt und schubbert an den Zumutungen unserer glänzenden Zeiten, in denen der von Norbert Elias beschrie­bene Prozess der Zivilisation offenbar in eine Phase grotesker Beschleunigung getreten ist. Was einem Angehörigen der jungen urbanen Mittelschicht an Affektbeherrschung, Körperhygiene, Triebverzicht und Kommunikationskompetenz abverlangt wird, und mit welcher Beflissenheit er diesen Normen entspricht, das kann einen in erschrockenes Staunen versetzen. Wo bleibt der Aufstand gegen diesen andauernd freundlich, cool und locker daherkom­menden Disziplinierungsfraß am Humanen, welches das Unzulängliche, das Krumme, das Dicke, das Versoffene, das Anarchische ist?
 
Keine Angst! Soboczynski hat keine kulturkritische Kampfschrift verfasst. Es ist ihm mit seinem Leiden an den Verhältnissen ja selbst nicht ganz geheuer. «Ich leide doch erstaunlich» ist dem Buch als Motto vorangestellt. Zugeschrieben wird dieser Satz dem bayerischen Dichter Hannes Maria Wetzler, der jedoch eine Erfindung Soboczynskis ist. Wetzler litt am Landleben und feierte in seinen Romanen die Großstadt, deren Verlockungen er sich jedoch kaum hingegeben haben wird, band ihn doch die ihn immer steifer und buckliger machende Bechterew’sche Krankheit an sein Bauernhaus. Man sieht, das Ich, das in Soboczynskis Text die Gegenwart herausfordert, es ist nicht aus einem reaktionären Guss, sondern in sich vielfach gebrochen. Was der Schärfe seiner Wahrnehmung allerdings keinen Abbruch tut. 
In 29 Kapiteln nähert sich der Autor unter jeweils einem Stichwort seinem Thema. Das beginnt mit «Stolz» und endet mit «Liebe»,  «Rauchen» und «Trinken» sind gewissermaßen Pflichtprogramm, ebenso «Gesundheit», «Disziplin» oder «Sex». «Helligkeit» und «Glätte» verraten nicht gleich, wohin sie den Leser führen, und auch da, wo scheinbar klar ist, worum es gehen soll, wartet manche Überraschung.
    Die letzten Rückzugshöhlen Man kann sich in dem Buch beliebig hin und her bewegen. Man wird manche Wiederholun­gen entdecken, die in manchen Fällen leitmotivisch begründet sind, in anderen aber hätten herauslektoriert werden sollen. Das Personal wird einem bald vertraut. Da gibt es den «Freund, der erfolgreich etwas mit Kultur macht» und die «Frau, die mich gut kennt». Außerdem Stephan und Monika, er Architekt, sie Literaturwissenschaftlerin, die über Hannes Maria Wetzler promoviert. Sie haben gerade nach langem Suchen eine neue Wohnung bezogen, aus der Stephan als Erstes den Teppichboden herausgerissen hatte, worauf Monika ihn auf den glatten Holzboden zog, «mein kleiner Held» nannte und dann «Wo ist denn mein anderer kleiner Held?» sagte. Bei Monika hätte der «Freund, der erfolg­reich etwas mit Kultur macht» keine Chance, denn er hat ein Haarproblem und entspricht ganz und gar nicht dem Schönheitsideal der Glätte. 
Obwohl es also ein bescheidenes Figuren­tableau gibt, führt der Untertitel «Fast ein Roman» doch in die Irre, jedenfalls wenn er als Gattungsbezeichnung gemeint sein sollte. Es handelt sich bei «Glänzende Zeiten» um reines, um klassisches, um großartiges Feuilleton, das hohen Lesegenuss bietet, aber immer wieder auch verstört. Der Glanz der glänzenden Zeiten, in denen wir leben, ist kalt. Politik, Medien und Wirtschaft propagieren tagaus, tagein, man möge dem Fortschritt mit schwanzwedelndem Frohsinn begegnen. Da folgt man gern einem wie Soboczynski in eine der letzten Rückzugshöhlen, in denen noch getrunken und geraucht werden darf. Hier kann man ermessen, wie ungeheuerlich es ist, was die allerneueste Moderne uns zumutet.  


Adam Soboczynski
Glänzende Zeiten. Fast ein Roman
Aufbau, Berlin 2010. 202 S., 16,95 €

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