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SRF/Daniel Winkler

Delia Mayer - Im Wechselstrom

Der Luzerner Tatort will das Schweiz-Bild der Zuschauer bedienen. Keine leichte Aufgabe für Delia Mayer, die die Kommissarin Liz Ritschard spielt. Denn die Zürcherin passt so gar nicht in dieses Bild. Eigentlich in keines

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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Wenn elektrischer Strom aus der Steckdose flutet, geschieht Magisches: bunt blinken Lichter auf, röhrend erwachen Geräte, mal springt ein Funke blau aus der Wand. Hinter der Zauberei verbirgt sich der unstete Wechselstrom. Vom Pluspol zum Minuspol und zurück. Delia Mayer elektrisiert. Ihre Energie wird erzeugt vom Sicht-Nicht-Festlegen, vom Pendeln – zwischen Gegensätzen, plus und minus.

Wenn sie spricht, funkelt in ihren Augen das graue Blau eines Bergbaches. Wenn sie lächelt, trägt sie bunt – obwohl heute über ihrem grauen Poncho ein schwarz-weißer Schal liegt. Wenn sie ihre Geschichte erzählt, sieht man dabei zu, wie die zweijährige Delia in Hongkong Katzen am Schwanz zieht, lässt mit einer 23-Jährigen gleich zu Beginn der Schauspielstunde in New York die Hosen herunter, um der Scham keine Chance zu geben.

Eher nicht Nein sagen als entscheiden


Die 47-Jährige hält mit dem Fahrrad vor einem schicken Zürcher Restaurant, in dem zwischen anderen Anzugmenschen ein bekannter rechtskonservativer Publizist sitzt. Zu einem Mann mit dieser Geisteshaltung müsse man sich ja nicht setzen. Kurz darauf rutscht Delia Mayer im Café gegenüber auf einem Barhocker hin und her. Eine Strähne ihrer dunklen Locken hat sich aus dem Dutt gelöst, spitzelt hinter ihrem Ohr hervor. „Ich bin ein physischer Typ“, sagt sie lächelnd. Wischt mit ihrer Elle in einem weiten Halbkreis über den Café-Tisch und erklärt dabei die Bandbreite ihres beruflichen Lebens, die sie so schätzt. Zeigt dann über den Tellerrand hinaus, dorthin, wo Reibung Inspiration erzeugt. „Gewisse Dinge findet man nicht vor der Haustür.“

Zuhause war Delia Mayer zunächst in Hongkong. Dann zogen die Eltern mit der zweijährigen Tochter in die Schweizer Heimat, nach Rüschlikon am Zürichsee. Von dort fuhr sie mit ihrem Vater Vali Mayer, einem weltbekannten Kontrabassisten, im VW-Bus zu seinen Auftritten. Anders zu sein, einen Papa mit langen Haaren zu haben, war nicht einfach, die Konterrevolution deshalb keine Überraschung. Als Jugendliche wollte Mayer Meeresbiologin werden. Etwas zum Anfassen. Naturgesetze. Normalität.

Doch die Sehnsucht nach Ferne und Kunst war zu groß. Mit 20 zog sie nach Wien, um Schauspiel, Tanz und Gesang zu studieren. „Ich konnte diesen Zug nicht stoppen“, sagt Mayer heute. Es sei keine Entscheidung gewesen – eher „ein Nicht-Nein-Sagen“.

Sich festzulegen, ist nicht ihre Stärke. Schauspielunterricht in New York, Theater in Amsterdam, 2006 ein mehrsprachiges Debütalbum, Filmdrehs in Polen. Mayer sagt, ihr Leben sei eine Mischrechnung. Es entspreche ihr nicht, Dinge voneinander zu trennen.

Delia Mayer deutet mit ihrer Reif-behangenen Hand auf eine dunkle Limonadenflasche auf dem Café-Tisch vor ihr. „Ist das braun?“, fragt sie. Und gibt selbst die Antwort: „Das kommt auf die Perspektive an.“ Vielleicht ist es dieses unaufhörliche Hinterfragen, das Mayer davon abhält, sich auf eine Sache festzulegen. Vielleicht auch die „Sehnsucht, sich selbst zu überraschen“. Oder ihr Anspruch, sich nicht mit dem Oberflächlichen zufrieden zu geben – ein Aufdeckungsdrang, der an den eines Detektivs grenzt.

Delia Mayer schaut selbst nicht Tatort


Mit dieser Rolle ist Mayer immer wieder konfrontiert. Sie spielte bei 'Soko Köln', ermittelte bei 'die Cleveren', landete nach einer Tatort-Nebenrolle Ende der Neunziger schließlich 2012 beim Tatort Luzern. Der versucht, das Schweiz-Bild der Deutschen zu bestätigen: In den Fällen spielen kleine Privatbanken tragende Rollen, urige Bergbauern mit Schweizer Akzent verankern den Tatort regionalkulturell in den Alpen. Delia Mayer ermittelt in dieser nur scheinbar heilen Bergwelt als burschikose, kühle Liz Ritschard an der Seite des Kommissars Reto Flückiger.

Wie kam sie überhaupt zum Tatort? Sie habe einfach vorgesprochen, sagt sie lächelnd. Und warum wagte sie sich überhaupt an dieses Format, das so viele Kritiker zerfetzen? Im Schweizer Tatort könne sie ihre Wurzeln spüren, die sie doch irgendwie in der Schweiz habe, erklärt Mayer. Auf der anderen Seite macht sie Kunst für eine Welt, die über den sich nach Sicherheit sehnenden Schweizer Kulturraum hinausreicht. Die man in ihrem Lebenslauf nicht findet.

Delia Mayer als Tatort-Kommissarin in Luzern© SRF/Daniel WinklerSehr wohl aber in dem ihrer neunjährigen Tochter, die eine Kindheit lebt, die der der Mutter so gar nicht entspricht. Keine Filmsets, keine Busfahrten zu Konzerten. Sie habe ein wenig Angst, dass ihre Tochter „zu viel Normalität“ abbekommt, sagt Mayer lachend. Sie selbst hat Druck verspürt als Kind. Ihre Tochter solle dagegen ihren ganz eigenen Weg finden. Und dennoch bezeichnet Mayer sich selbst als „Kontroll-Freak“.

Sie trägt beides in sich: Loslassen und Festhalten. Wenn sie an einem Liederabend oder für ein Theaterstück auf die Bühne steigt, dann singt oder spielt nicht Delia Mayer. Dann fließe etwas durch sie hindurch. Dann „tut es“, wie sie es nennt. Aber vor dem Auftritt wird jedes Detail geprobt, bis es unverrückbar sitzt. Bevor sie vor die Tatort-Kameras tritt, fühlt sie sich in die Kommissarin hinein. Sie will volle Kontrolle über Liz Ritschard, möchte sich vor den Kameras möglichst unbeeinflusst in sie verwandeln können. Sie will nicht wissen, wie andere vor der Kamera auf ähnliche Situationen reagieren. Deshalb sieht sie sich selbst keine anderen Tatorte an.

Nachdem sie in dem Zürcher Café wie einem guten Bekannten Intimes aus ihrem Leben erzählt hat, fordert sie, vor der Veröffentlichung noch einmal den gesamten Text zur Überarbeitung zugesandt zu bekommen. Klare Linien für die Autorisierung, um deren Verschiebung der in seine Rolle zurückgeworfene Journalist mit ihr ringen muss.

Am Ende gibt sie nach und hat sich heute damit selbst überrascht. Sie hofft, dass sie es weiterhin tun wird. Immer weiter. Vom Pluspol zum Minuspol und zurück.

Am heutigen Ostermontag wird der neue Luzerner Tatort „Zwischen zwei Welten“ (Bild) ausgestrahlt. Liz Ritschard und Reto Flückiger ermitteln in einem Todesfall einer alleinerziehenden Mutter.

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