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(dpa, picture alliance) Die Grünen werden sich neue Forderungen auf die Fahnen schreiben müssen.

Die Grünen - Was kommt nach dem Atomausstieg?

Die Bundesregierung bekennt sich zum Atomausstieg und die Chancen auf einen breiten Konsens über Parteigrenzen hinweg stehen gut. Schon treten die ersten Mahner auf: Den Grünen drohe jetzt zwangsläufig eine Glaubwürdigkeitskrise. Das muss nicht sein.

Ende Juni wird im Bundestag über die Erneuerung des Atomausstieges abgestimmt. Was seitens der Regierung Merkel als Einsicht in die Notwendigkeit getrieben von der Angst vor dem Votum des Wählers daherkommt, müsste vor allem für die Grünen ein innerer Triumph sein. Natürlich könnte der Ausstieg noch schneller kommen, letztlich bestätigt die CDU/CSU/FDP-Regierung die lange bekämpfte Berechtigung und die Richtigkeit grünen Ausstiegsbestrebens. Die Programmatik der Dagegen-Partei wird zum inneren Kompass von Merkel und Co.

Und doch stehen die Grünen in der Kritik, sie müssten nun Merkels Plänen zustimmen, da sonst die Partei an Glaubwürdigkeit einbüße, so etwa der Spiegel. Aber selbst wenn sie zustimme, würde sie an Glaubwürdigkeit verlieren, da nicht die gesamte grüne Basis vom Ausstiegskonzept Merkels überzeugt sei. Und völlig unabhängig davon fehle der grünen Bewegung sodann das mobilisierende Thema, getreu dem Motto: Ausstieg erledigt, Bewegung tot. Abgesehen davon, dass CDU und SPD seit Jahren ohne mobilisierendes Thema auskommen, werden die Grünen kaum in eine Sinnkrise verfallen. Und dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen.

Von der Glaubwürdigkeit in der Politik

Zuvorderst steht hier der Glaubwürdigkeitsvorsprung der Grünen. Der leitet sich gerade aus dem jahrzehntelangen Kampf gegen die Atomkraft ab und nicht aus der Zustimmung zu einem Ausstiegsgesetz der – als unglaubwürdig geltenden – Kanzlerin. Vielmehr begründet sich im Vertrauensverlust der anderen Parteien ein entscheidender Vorteil der Grünen im politischen Wettbewerb. Denn nach dem Atomausstieg ist vor der Energiewende – und die wird vor allem den Grünen als ehrliche Makler einer solchen Politik zugetraut.

Die Parteien des alten bürgerlichen Lagers stehen indes unter dem Generalverdacht der Lobbyabhängigkeit. Die schwarz-gelbe Hotelierssteuer, der Ausstieg aus dem Atomausstieg, der offensichtliche CDU-Filz im Zusammenhang mit Stuttgart21 und Mappus‘ EnBW-Deal haben das Vertrauen in die Regierungsparteien im Bund nachhaltig beschädigt. Es waren auch diese Eskapaden, die den Grünen bürgerliche Wähler zuströmen ließen.

Die Ankunft der Grünen im bürgerlichen Lager

Zentral aber ist, dass die Kanzlerin mit ihrer, wenn auch symbolischen, Klimapolitik in den Jahren der Großen Koalition die Akzeptanz grüner Themen bis weit in die bürgerlichen Schichten verbreitert hat. Schließlich war es die Umweltpolitik, die in der Großen Koalition die höchsten Zustimmungswerte in der Bevölkerung erhielt.

Diese Zustimmung aber hatte die Kanzlerin mit dem Ausstieg aus dem Ausstieg verspielt. Vielmehr hatte sie so den Weg vieler bürgerlicher Wähler zu den Grünen erst geebnet. Und angesichts der Orientierungslosigkeit von Union und FDP – gleiches gilt aber auch für die sich selbst suchende Sozialdemokratie, erst recht für die Linke – stellt sich die Frage, warum diese Wähler zurückkommen sollten, nachdem sie von der Union erst von der Notwendigkeit staatlicher Klimapolitik überzeugt wurden und dann im Herbst der Entscheidungen im Regen stehen gelassen worden sind. Auch deshalb verfing die Rhetorik von der Dagegen-Partei nur insofern, als dass sie den Grünen zu helfen vermochte.

Ferne Krisen und konkrete Ängste

Trotzdem wäre es nach wie vor zu kurz gegriffen, allein auf den Atomausstieg und auf Fukushima zu setzen, um den langfristigen grünen Aufstieg zu erklären. Zur Erinnerung: Der grüne Höhenflug setzte nicht nur mit dem Wiederaufkommen der Atomfrage ein, sondern auch parallel zu den sich 2010 voll auswirkenden Krisenwahrnehmungen in weiten Teilen der Bevölkerung. Der Verlust von Sicherheit im Rahmen von Euro-, Finanz- und Umweltkrise ist zum Signum der Zeit geworden.

Und jener Verlust von Sicherheit manifestiert sich eben nicht allein in der abstrakten German Angst vor dem Fallout inmitten der Bundesrepublik, sondern viel konkreter in finanziellen und gesundheitlichen (Umwelt-)ängsten in Folge von Ölkatastrophen, Dioxin-Skandal bis hin zu EHEC. Schließlich ist der Wähler auch Verbraucher. Und eine der unbestrittenen Kernkompetenzen der Grünen liegen im, mit der jetzigen Berliner Bürgermeisterkandidatin Renate Künast weithin verbundenen, Verbraucherschutz.

Hinzu kommt, dass in den aufgewühlten Zeiten von Euro-, Umwelt- und Bankenkrisen eine Sehnsucht nach Sicherheit, Ruhe und Zuordnung existiert. Die Erwartungen neuer grüner Wähler decken sich jedenfalls nicht mehr mit den Euphorien der Leistungsgesellschaft des vergangenen Jahrzehnts, rekurrieren nicht mehr nur auf die soziale Frage, sondern auf Generationengerechtigkeit als nachhaltig-ökologische Aufgabe. Es sind Indizien eines Wertewandels, der den grünen Aufstieg zementieren könnte.

Nicht zuletzt sind die Grünen, mindestens in den urbanen Zentren, aber eben auch im ländlichen Raum mit dieser Spielart des Konservatismus in eine von der Union nicht mehr ausgefüllte Bedeutungslücke eingedrungen. Die neuen Kerngruppen der Gesellschaft, die jungen, gut verdienenden, oftmals weiblichen Eliten, die neuen Leistungsträger jenseits des Finanzsektors, sammeln sich jedenfalls mittlerweile hinter den Grünen.

Und jene neuen Eliten sind, anders als der derzeit laufende Diskurs, dezidiert proeuropäisch. Denn der Lebensalltag vieler junger Akademiker, einer immer wieder nachwachsenden Kernklientel der Grünen, ist gekennzeichnet von Erasmus-Studienaufenthalten in Europa, von internationalen Praktika und daraus resultierenden Freundschaften rund um den Globus. Auch hier haben die Grünen einen wichtigen Vorsprung gegenüber den hadernden und der populistischen Versuchung bisweilen erliegenden Parteien.

Die neue Sehnsucht nach Vernunft, Glaubwürdigkeit und Sicherheit

Die Grünen jedenfalls beantworten derzeit am ehesten eine zentrale Nachfrage an die Politik, die über die Frage des Atomausstiegs hinaus reicht. Nach den Krisen der letzten beiden Jahre herrscht eine große Sehnsucht nach Ruhe und Orientierung. Und diese Orientierung mag das grüne Versprechen eines ökologischen Umbaus der Wirtschaft in Verbindung mit den darin liegenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt, bei gleichzeitigem Ernstnehmen der Bedenken der Bevölkerung, liefern zu können. Es ist dies keine einfach umzusetzende Politik. Aber die simplen Politikentwürfe der Parteien der Maßlosigkeit, sei es der liberale Markt- und Steuersenkungsfetischismus oder die von der Linken eingeforderte Überdehnung des Sozialstaates, sind seit 2009 auf dem Rückzug.

Profitieren konnten davon die Grünen. Die Ökologie als – inzwischen – vernünftige, zugleich verheißungsvolle Leiterzählung einer künftigen Gesellschaft dürfte auch nach dem Atomausstieg weiter tragen. Denn die Grünen haben mit dem Atomausstieg zwar ein wichtiges Thema verloren, dafür aber an Seriosität durch die Einspeisung originärer Politikinhalte in einen Allparteienkonsens hinzugewonnen.

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