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(picture alliance) „Designed in Germany“ kann schon bald wichtiger werden als „Made in Germany“

Deutsche Wirtschaft - Verzweifelte Suche nach der „kreativen Klasse“

Kreativität bedeutet für die deutsche Wirtschaft inzwischen das kostbarste Gut – das haben die Firmen wie die Regierenden längst erkannt. Doch diese Ressource kann allzu leicht knapp werden – und die Suche nach kreativem Nachwuchs trägt verzweifelte Züge

Der konjunkturelle Sommer war lang und warm. Nun neigt er sich dem Ende zu für die deutsche Wirtschaft. Schlechte Zahlen ziehen wie drohende Gewitter über das Land: Siemens und Thyssen-Krupp hat der Blitz des Niedergangs schon getroffen. Wir ahnen längst, dass dies erst der Anfang ist. Bundeskanzlerin Merkel hat seit Jahren ein Credo für eine rosige Zukunft der deutschen Wirtschaft. „Wir müssen so viel besser sein, wie wir teurer sind.“

Das sagt sich leicht, sofern die Zahlen gut sind. Doch in wirtschaftlich rauen Zeiten  bedeutet ein solches Motto allergrößte Anstrengung. Denn teurer als die Billiglohnländer wird die deutsche Produktion immer bleiben. Es wird daher nicht einmal ausreichen, die weltweit besten Ideen zu haben, um den Wirtschaftsstandort Deutschland führend zu halten. Deutschland hat schon viel erfunden, das andere Länder verkauft haben. Vor über 50 Jahren wurde hier der Computer geschaffen, vor einem Jahrzehnt dann der MP-3-Player. Das große Geld damit machen jedoch die USA. Warum? Weil dort Kreative, also Designer und Marketingfachleute, die Idee am erfolgreichsten verpacken und verkaufen. Kreativität bedeutet für Deutschland inzwischen das kostbarste Gut – das haben die Firmen wie die Regierenden längst erkannt. Doch diese Ressource kann allzu leicht knapp werden.

Vor zehn Jahren schrieb der amerikanische Ökonom mit dem sonnigen Namen Richard Florida über „The rise of the creative class”. Es war eine Hymne über den Aufstieg einer „kreativen Klasse“, die nur in hochentwickelten Wirtschaftsnationen entstehen kann. Eine florierende Wirtschaft ziehe kreative Menschen an, die wiederum die Wirtschaft am Laufen halte, mutmaßte Florida.

Das leuchtete dem Deutschen Bundestag dermaßen ein, dass er vor vier Jahren hochamtlich einen neuen Wirtschaftszweig definierte: „Kreativwirtschaft“. Das ist ein Sammelsurium aus insgesamt elf Branchen, von denen etliche pessimistisch gestimmt sind: Ob nun Presse, Rundfunk, Buchmarkt, Film oder Musik – keiner dieser Branchen geht es derzeit uneingeschränkt gut. Auch Werbung, Design, Architektur, Darstellende Kunst und Kunst klagen. Einzig die vom Bundestag definierte Untergruppe „Software/Games“ hat keine Zukunftssorgen.

Insgesamt gibt es eine Million Beschäftigte in der deutschen Kreativwirtschaft. Sie produzieren jedes Jahr einen Güterwert von enormen 60 Milliarden Euro. Das ist mehr als die deutsche Autoindustrie schafft. Die Kreativwirtschaft entwirft, gestaltet, und komponiert all das, was die Welt von uns kaufen soll. Ihr Stellenwert steigt. „Designed in Germany“ kann schon bald wichtiger werden als „Made in Germany“, da immer mehr Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern.

Deutschland hat den Titel Exportweltmeister an China verloren, das weiß inzwischen jeder. Doch was landläufig kaum bekannt ist: Im Export des deutschen Designs ist Deutschland führend. Kein anderes Land exportiert so viele Produkte, die auch hier gestaltet werden. Das moderne Industrie-Design hat bei uns seinen Ursprung. Vor 170 Jahren hatte in Boppard, einem Ort in Rheinhessen, der Tischler Michael Thonet ein mechanisches Verfahren entdeckt, um Holz zu schichten und zu biegen. Der sogenannte Bugholz-Stuhl gilt als Beginn des industriellen Designs.

Heute hat die Suche nach Kreativen schon verzweifelte Züge. Ein großer Musikkonzern zog von Hamburg nach Berlin wegen des „kreativen Umfelds“. Weltunternehmen, ob Autohersteller, Pharmariese oder Medienkonzern, sie alle spüren wie mit der Wünschelrute nach der kreativen Klasse. Wo lebt sie? Und noch wichtiger: Wie will sie gern leben? Womit lässt sie sich mehren?  An Plätzen, die emsige Stadtvordere fördern, wie dem „Beta-Haus“ in Berlin-Kreuzberg? Oder dem „Gründerhaus“ in Frankfurt am Main? Oder doch nur im Netz, wo Woche für Woche 8000 Apps entstehen?

Seite 2: Ist die kreative Klasse eine Chimäre?

Es ist sehr die Frage, ob eine „kreative Klasse“ nicht nur eine Chimäre ist, der die Unternehmen hinterher jagen. Vor allem in der Verlagswelt stellt sich mancher Vorstand die „digitale Boheme“ vor als lässige Hipster, die vornehmlich in Berliner Ladenwohnungen leben; Leute im 80er-Look mit iPad zum Soja-Latte von der Bar. Dabei kann auch sein, dass sich so nur inszeniert, wer zur kreativen Klasse zählen will. Jedenfalls gaben in einer Studie des Berliner Senats 70 Prozent der erfolgreichen Kreativen an, nie im Café zu arbeiten.

Vielleicht ist das alles ein großes Missverständnis, das es früher nicht gab. Immer stand der Künstler im Gegensatz zum Erwerbsbürger. Der Bohemien sah sich selbst sogar bewusst gern als wirtschaftlich erfolglos an. Langfristig erfolgreiche Künstler lebten häufig arm. Sie suchten nicht nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der aus Kunst das große Geld macht.

In der Gegenwart scheint das bestätigt zu werden. So hat das „Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung“ die deutsche Start-Up-Szene erforscht. Im neusten manager magazin stellt es fest, dass von 150.000 Firmen, die jedes Jahr in Deutschland neu gegründet werden, „die wenigsten deutliche Wachstumsziele“ verfolgten. Ernüchternd heißt es:  „Vor allem in der Kreativwirtschaft beschränkt sich der unternehmerische Einsatz oft auf das Erwirtschaften des Lebensunterhalts für den Gründer.“ Das mag in jedem Einzelfall sympathischer sein als ein geldgieriger Jungunternehmer. Aber nach einer goldenen Zukunft eines 80-Millionen-Volks klingt das nicht.

Wo und wie auch immer der kreative Nachwuchs angeblich wohnen und wirken will: Das größere Problem könnte sein, dass kaum ein Betrieb an seiner Spitze Kreative hat. Dass in allen Vorständen der Autofirmen zwar Betriebswirte und Ingenieure sitzen, aber keine Gestalter. Dass die Marketingabteilungen der Unternehmen als erstes sparen müssen. Und dass Werbe-Agenturen immer schwerer Nachwuchs finden, weil sie in den demographisch fetten Jahren ihr Arbeitgeberimage ruiniert haben: ewige Praktika, schlechter Verdienst, nur projektbezogene Beschäftigung. Wer nichts mehr bringt, fliegt. Vor allem dieser Satz kann auch für ein ganzes Land gelten.

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