Streit ums Schonvermögen - Glaubwürdigkeit des Sozialstaats steht auf dem Spiel

Während der Corona-Pandemie war es sinnvoll, Hartz-IV-Empfängern ein hohes Schonvermögen zu belassen: Schließlich sollte, wer von Lockdowns wirtschaftlich betroffen war, nicht auch noch seine Altersvorsorge aufzehren müssen. Jetzt will die Ampel diese Sonderregelung für das neue Bürgergeld übernehmen und ein Schonvermögen bis zu 150.000 Euro nicht antasten. Der Preis dafür wäre zu hoch.

Braucht jemand mit Mercedes und 150.000 Euro auf dem Konto wirklich Bürgergeld? / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Das ist natürlich die Karikatur eines Sozialfalls: Ein Familienvater mit zwei Kindern hat 150.000 Euro auf dem Konto, zwei Autos, ein Eigenheim mit einer Wohnfläche von 130 Quadratmetern oder eine Eigentumswohnung mit 120 Quadratmetern, dazu noch Verträge für Riester- oder Rürup-Renten – und gilt als so arm, dass er vom Staat Bürgergeld bekommt.

Ein so hohes Schonvermögen soll nach den Vorstellungen der Ampel-Regierung in den ersten zwei Jahren des Bürgergeldbezugs erlaubt sein, Das heißt, der Betroffene muss in diesen 24 Monaten nicht einen einzigen Euro seines eigenen, überdurchschnittlich hohen Vermögens zu seinem eigenen Lebensunterhalt beisteuern. Diese Regelungen gilt freilich bei Neuanträgen auf Hartz IV schon seit März 2020. Damals wurde der Zugang zu Hartz IV von der Großen Koalition wegen der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie erleichtert. Diese Regelung läuft Ende dieses Jahres aus.

Die Grenzen für das Vermögen, das ein Transfergeldempfänger nicht antasten muss, wurden 2020 mit Blick auf viele Selbstständige bewusst großzügig bemessen. Dahinter steckte ein durchaus richtiger Gedanke: Wer als Folge von Lockdown und anderen nachteiligen Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben plötzlich nichts mehr verdient, sollte nicht ausgerechnet Rücklagen angreifen müssen, die er unter anderem fürs Alter angespart hat. Bei Hartz IV blieb bis dahin – je nach Lebensalter – allenfalls ein Schonvermögen bis zu 60.300 Euro unangetastet.

Hinter dem Konzept des Schonvermögens steckt eine simple Überlegung: Wer viel Geld auf der hohen Kante hat, soll nach Auslaufen der regulären Arbeitslosenunterstützung (ALG I) erst einmal darauf zurückgreifen, ehe er die Hilfe der Allgemeinheit in Anspruch nimmt. Zugleich soll nicht bestraft werden, wer während seines Arbeitslebens sparsam war, und nicht belohnt werden, wer alles ausgegeben hat. Der besondere Schutz der für die Altersvorsorge angesammelten Mittel macht noch aus einem anderen Grund Sinn: Wer die Altersvorsorge aufzehrt und somit dem Staat aktuell Transferleistungen erspart, ist im Alter dann mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Grundsicherung angewiesen, landet also wieder beim Staat.

Das mittlere Geldvermögen liegt bei rund 17.000 Euro pro Person

Über die Frage, bis zu welcher Höhe vorhandenes Vermögen geschont werden soll, lässt sich trefflich streiten. Das mittlere Geldvermögen liegt bei uns bei rund 17.000 Euro pro Person; in einer Familie mit vier Mitgliedern wären das – statistisch – 78.000 Euro. Die „Schongrenze“ von 150.000 Euro liegt also fast doppelt so hoch. Allerdings dürfte es nur wenige Arbeitslose geben, die mit 150.000 Euro auf der hohen Kante vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II, also Hartz IV, wechseln müssen.

Solche Vermögen können aufgrund von Erbfällen vorhanden sein. Auch ist zu unterscheiden, ob der Bürgergeld-Empfänger lange berufstätig war oder nur für kurze Zeit. Wer die Vermögensverhältnisse überprüfen will, müsste eigentlich die Kontenbewegungen im Jahr vor der Beantragung der „Stütze“ untersuchen. Vorhandenes Geld lässt sich ja relativ einfach auf Verwandte übertragen, ehe man es offenlegen muss.

 

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Relativ hohe Vermögen sind wohl bei Familienclans zu vermuten, also bei aus Einwanderern bestehenden Großfamilien, deren Mitglieder in Berlin oder anderen Metropolen bisweilen in Luxuskarossen bei der Arbeitsagentur vorfahren. Dass das Auto auf den Namen eines „Cousins“ zugelassen ist, soll häufig vorkommen. In diesen Fällen dürfte es besonders schwierig sein, die Quellen des Vermögens nachzuverfolgen.

Der Staat steht hier also in einer besonderen Verantwortung. Einerseits kann er nicht auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler Menschen finanziell unterstützen, die sich für eine gewisse Zeit durchaus selbst helfen könnten. Andererseits kann der Staat kein Interesse daran haben, dass Menschen mit niedrigen Einkommen aufs Sparen bewusst verzichten, um im Fall des Falles sofort hilfeberechtigt zu sein.

Aus der zweijährigen Karenzzeit würde eine Dauereinrichtung

Eines liegt auf der Hand: Wer, wie die Ampel es plant, auf die Vermögensüberprüfung in den ersten zwei Jahren des Leistungsbezugs mehr oder weniger ganz verzichtet, der öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Selbst bei einer geringen Zahl von „reichen“ Bürgergeldbeziehern ist jeder einzelne Fall einer zu viel. Was aber noch schlimmer wäre: Wenn solche Fälle öffentlich werden, fühlen sich Millionen von Steuerzahlern – zu Recht – vom Staat übervorteilt.

Noch aus einem anderen Grund wäre es gefährlich, die Corona-Ausnahmen beim Schonvermögen ins neue Bürgergeld zu übernehmen. Nach den Plänen der Ampel soll die großzügige Regelung samt Verzicht auf Überprüfung für die ersten zwei Jahre des Bezugs gelten. Und dann? Wird dann das Amt das Bürgergeld wieder streichen, solange die 150.000 Euro noch auf dem Konto sind? Und falls das die Absicht sein sollte: Wie viel Geld wäre dann auf dem Konto wohl noch da? Da muss man kein Prophet sein: Aus der zweijährigen Karenzzeit würde über kurz oder lang eine Dauereinrichtung.

Ob mit der hohen „Schongrenze“ in den vergangenen Jahren Missbrauch getrieben wurde oder nicht, ist nicht bekannt. Die Jobcenter hatten gar keine Zeit, dies genau zu verfolgen. Aber die Verlängerung einer Sonderlösung wegen Corona in „normalere“ Zeiten wäre eine Umkehrung des Sozialstaatsprinzips: nämlich denen zu helfen, die sich nicht helfen können – und nicht denen, die der Hilfe eigentlich nicht bedürfen.

Hier geht es nicht darum, wie viele Millionen oder Milliarden ein solcher Systemwechsel den Staat kosten würde. Der wahre Preis wäre viel höher: Der Systemwechsel würde das Vertrauen von Millionen Menschen in einen halbwegs gerechten „Vater Staat“ beschädigen.

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