Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Steffi Lemke souffliert den Grünen Claudia Roth und Cem Özdemir

Politikerportrait - Steffi Lemke, die grüne Dompteuse

Die Grünen-Politikerin Steffi Lemke liebt ihren Job. Schon seit neun Jahren ist sie die Bundesgeschäftsführerin der Partei – länger als alle anderen vor ihr. Ein Portrait

Im Foyer einer Hamburger Anlegerbank stehen sich an einem Sommerabend zwei recht gegensätzliche Frauen gegenüber: Julia Klöckner, rheinland-pfälzische CDU-Chefin, kurvig, knallroter Lippenstift, Kostümchen, bombenfeste Föhnfrisur, süßlich lächelnd. Ihr gegenüber Steffi Lemke, Bundesgeschäftsführerin der Grünen, hager, ungeschminkt, Wuschelhaar, Hosenanzug, Flipflops, einen Fuß burschikos ins Geländer gestemmt.

Minuten vor der Podiumsdiskussion – die beiden sollen debattieren, über Schwarz-Grün oder so, genau will sich da keiner festlegen – bekippt der Kellner Lemke mit einem Safttablett, gelbe Plörre ergießt sich über ihr Hemd.

„Scheiiiii … benkleister“, fängt sie sich wieder. Das grüne Oberteil wird vom Veranstalter flugs gegen ein schwarzes gewechselt, kein Thema. Als Pointe des wort- und farbspielreichen Abends wird der Moderator den beiden Damen später zwinkernd attestieren, ihre einzige Gemeinsamkeit sei die Abneigung gegenüber Gelb, der FDP.

In diesem Herbst ist das Malheur nicht gelb, sondern rot: In Berlin hat Klaus Wowereit sein grünes Accessoire ebenfalls mal kurz gegen das kleine Schwarze getauscht. Zu Steffi Lemkes Aufgaben als Bundesgeschäftsführerin gehört es nun, ihre empörte Basis für die Bundestagswahlen weiter auf rot-grünem Kurs zu halten. „Rot-Grün ist nicht an drei Kilometern Autobahn gescheitert, sondern an Klaus Wowereit“, twittert sie nach den Wahlen. Keine vier Wochen später hat sie mit Andrea Nahles, ihrem Gegenpart bei der SPD, bereits das „Denkwerk Demokratie“ gegründet, einen Think-Tank zur Erarbeitung künftiger rot-grüner Projekte, effektiv ein Bügeleisen zur Einebnung politischer Differenzen vor einem möglichen Machtwechsel im Bund.

Zufrieden sitzt sie nun in ihrem Büro, das so aussieht, wie man sich das Zimmer einer grünen Chefmanagerin immer vorgestellt hat: Fahrrad in der Ecke, Kaktus und Steine um den Tisch drapiert, eine Ethno-Holzbox als Briefbeschwerer, und das alles in der Parteizentrale, einem sanierten Altbau mit efeubewachsenem Innenhof, der ohnehin an eine Kreuzberger WG erinnert. Von hier aus dreht Lemke die Schräubchen im Getriebe einer Partei, der es mit ihrer exaltierten Doppelspitze und zwei medienpräsenten Parteichefs nicht an Rampensäuen mangelt. Viel wichtiger ist daher Lemkes Funktion als Dompteuse und Mittlerin nach innen, insbesondere bei einer Parteibasis, die ausufernden Gebrauch von ihren Mitspracherechten macht.

Mehr über Lemkes Kindheit in der DDR, auf der nächsten Seite

Seit bald neun Jahren hält die 43-jährige Parteilinke aus dem Osten bisher ihr Amt, länger als jeder andere Geschäftsführer einer Bundestagspartei. Nicht, dass es Lemke inzwischen nicht auch mal wieder an Deck, in den Bundestag, gezogen hätte. Ihr letztes Mandat hielt sie bis 2002, sie scheiterte 2009 beim Versuch, per Listenplatz wieder einzuziehen. Ob sie immer noch an die Front will? „Ich bin froh, dass kaum einer weiß, wie geil der Job ist, den ich gerade mache“, sagt sie. Der grüne Apparat brummt: „In den letzten zwölf Monaten sind 10000 neue Mitglieder zu uns gekommen. Unser Ziel ist es, bis zum Jahresanfang die 60000er-Marke zu knacken. Strukturell stehen wir durch dieses Wachstum vor riesigen Herausforderungen. Zumal wir die Neumitglieder von Beginn an beteiligen wollen – auch dafür suche ich nach neuen Wegen“, sagt Lemke. „Na klar haben wir uns früh mit der Frage beschäftigt, wie wir das packen. Aber wenn es jemand kann, dann unser engagierter Laden.“ Sie strahlt.

Steffi Lemke wächst in der DDR auf, als Kind unkritischer Eltern, die sie in sozialistischen Jugendverbänden in guten Händen glauben. Sie ist Musterschülerin, trotzdem wird sie nicht zum Abitur zugelassen. „Vielleicht, weil ich mal den Mund zu weit aufgemacht habe.“ So ganz versteht sie es bis heute nicht. „Über diesen Bruch hab ich mich politisch komplett neu und eigenständig ausgerichtet“, sagt sie. Als Zootechnikerin lernt sie Kühe melken – und hasst es. Anschließend jobbt sie als Postbotin.

Kurz vor der Wende landet Lemke in einer Dessauer Bürgerinitiative, die von der Stasi überwacht wurde, und wird 1989 schließlich zur Mitgründerin der Dessauer Grünen: Ohne klares Programm, ohne Telefon, ohne Kopierer. „1989 war mit nichts vergleichbar“, sagt sie. „Das war eine revolutionäre Situation, wenn auch für uns mit unklarem Ausgang. Viele haben lange für einen dritten Weg gekämpft. Das Wichtigste war für uns nicht der Anschluss an die alte BRD, sondern die Idee, eine bessere Gesellschaft zu bauen. Das ist für mich der Geist, der 1989 mit dem, wofür ich heute kämpfe und in Zukunft kämpfen werde, verbindet.“

Ginge es nach ihr, muss es auch zukünftig nicht zu Schwarz-Grün im Bund kommen. „Für den ökologischen Umbau der Wirtschaft mag das früher ja vielleicht noch Sinn gemacht haben, aber die Zeiten sind vorbei. Und auf die Frage, wie der Staat auch in Krisen noch soziale Sicherheit und Chancen für alle bieten kann, sehe ich in der Union noch nicht mal den Versuch einer Antwort.“

In den Neunzigern ging Lemke einige Male zu den Gründungstreffen der „Pizza Connection“. Das war ihr schon damals suspekt. „Ich glaube, da fehlte der Gleichklang im Wertefundament. Die CDUler auf diesen Treffen sind mir damals kulturell fremd gewesen und zum Teil auch geblieben.“ 

Constantin Magnis ist Reporter bei Cicero und Herausgeber des Buches „Generation Credo“

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.