Deutsche und französische Soldaten stehen auf dem Exerzierplatz der Robert-Schuman-Kaserne / dpa

Soldaten in Deutschland und Frankreich - Taugen Staatsbürger in Uniform als Helden?

Der Krieg in der Ukraine zwingt Deutschland zur Auseinandersetzung mit militärischer Gewalt. Die Debatte zum Verhältnis der Deutschen zu ihren Soldaten kommt bisher zu kurz. Ein Kulturvergleich zwischen Deutschland und Frankreich.

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Ein ARD-Film fragte kürzlich: „Können wir Krieg?“. General Ben Hodges, langjähriger Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa, verneinte das in dem Beitrag, der Stimmen aus dem In- und Ausland zu Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine für die Bundeswehr versammelte. Anlagen seien zwar vorhanden, so Hodges, er habe mit exzellenten deutschen Soldaten zusammengearbeitet. Deutschland fehle aber die entsprechende Kultur. „Die haben sie noch nicht.“

Deutschlands Kultur im Umgang mit Streitkräften und Krieg unterscheidet sich aber nicht nur von dem in den USA, das zeigt der Vergleich mit dem wichtigsten europäischen Verbündeten Deutschlands, Frankreich. Auch dort hat der russische Überfall zwar viele Gewissheiten erschüttert. Die Russlandpolitik Präsident Macrons ist gescheitert, und die militärische Führung wurde von der Dimension des Angriffs überrascht. Sie stellte offen infrage, ob die französischen Streitkräfte vergleichbaren Angriffen standhalten könnten. Während Deutschland am 24. Februar 2022 „in einer anderen Welt aufwachte“ (Annalena Baerbock), mussten weder Frankreich noch die Vereinigten Staaten aufwachen, um zu erkennen, dass militärische Gewalt auch im 21. Jahrhundert Teil der politischen Realitäten auf dem europäischen Kontinent bleibt.

Der Analyst Michael Shurkin hat diesen entscheidenden Unterschied vor Kurzem zugespitzt: Auf die Frage, was französische Soldaten in den Augen ihrer US-Verbündeten auszeichne, antwortete er: „Im Gegensatz zu den Deutschen haben Franzosen den Einsatz von militärischer Gewalt in ihrer politischen Kultur erhalten: Man kann töten und getötet werden.“ Eine der prominentesten Stimmen in der französischen Debatte zum Ukraine-Krieg, Oberst Michel Goya, hat seine eigenen Erfahrungen in einem Buch mit dem Titel „Unter Feuer. Der Tod als Arbeitshypothese“ beschrieben. Vergleichbare Kommentatoren gibt es in Deutschland nicht. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat diesen Unterschied 2015 in seinen Beobachtungen zur „postheroischen“ deutschen Gesellschaft beschrieben. Und seit dem erneuten russischen Angriff auf die Ukraine findet diese deutsche Eigenheit im Ausland neue Beachtung.

Selbstbewusste Franzosen

Nirgendwo zeigt sich der Unterschied zwischen Deutschland und seinen Verbündeten deutlicher als in der deutsch-französischen Kooperation. Beide Staaten arbeiten seit Jahrzehnten eng zusammen. 1989, im Jahr des Mauerfalls, wurde eine binationale Brigade geschaffen, Hunderte Offiziere lernen Jahr für Jahr das Partnerland kennen und sollen zum Entstehen einer „gemeinsamen strategischen Kultur“ beitragen. Dass sich die Kulturen der Nachbarländer stark unterscheiden und Soldaten in Deutschland und Frankreich nicht den gleichen gesellschaftlichen Status haben, ist kein Geheimnis. In einem Flyer der Bundeswehr, der für die Ausbildung an der Offiziersschule des französischen Heeres in Saint-Cyr wirbt, wird von Bewerbern „Interesse an einer fremden Kultur“ gefordert und der Wille, „sich so weit wie möglich zu integrieren“. Mit der Frage, was „so weit wie möglich“ bedeutet, setzen sich Jahr für Jahr junge deutsche Offiziere auseinander.
 

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Denn Frankreichs Militär ist fest in der Gesellschaft verankert und strahlt ein historisch gewachsenes Selbstbewusstsein aus. Einen vergleichbaren Bruch wie mit dem Nationalsozialismus in Deutschland gibt es nicht. Im Gegenteil: Der Gründungsmythos der Fünften Französischen Republik beruht auf der Erzählung, die Kapitulation und Kollaboration des Vichy-Regimes seien Anomalien der französischen Geschichte gewesen. Die Tradition französischer Soldaten ist deshalb ungebrochen, reicht weit über die republikanisch-demokratische Geschichte hinaus.

Viele dienen nicht zuerst der Republik, sondern ihrem Vaterland – ein bedeutender Unterschied im Selbstverständnis und entscheidend für das Verhältnis zum zivilen Staatsapparat. Mit Charles de Gaulle war der erste Präsident der Fünften Republik zudem ein General, der in Krisen wie dem Algerien-Krieg den Anzug gegen die Uniform tauschte. Ein kritisches Geschichtsverständnis oder eine Vergangenheitsbewältigung wie in Deutschland hat es in Frankreich nie gegeben.

Die Ausbildung in Saint-Cyr stellt das Selbstbewusstsein der deutschen „Staatsbürger in Uniform“ auf eine harte Probe. Der unreflektierte Blick vieler französischer Soldaten auf die Geschichte, das Pathos und die Heldenverehrung in der Ausbildung – all das muss deutschen Offizieren auffallen, die während der schulischen und militärischen Ausbildung im kritischen Umgang mit der eigenen Vergangenheit geschult worden sind. Die Auseinandersetzung mit Begriffen wie Mut, Ehre, Patriotismus und Diskussionen um charakterliche Eigenschaften eines Offiziers, auch in Abgrenzung zur Zivilgesellschaft, fällt ihnen schwer. Ein hoher deutscher Offizier sagt, halb im Scherz, deutsche Saint-Cyrianer müssten nach der Rückkehr nach Deutschland „resozialisiert werden“.

Selbstkritische Deutsche

Die Konfrontation mit dem französischen Offiziersbild kann Rückversicherung und Quelle des Stolzes auf die eigenen Werte und Prinzipien wie die Innere Führung sein. Sie kann diese Werte aber auch nachhaltig ins Wanken bringen und Zweifel am eigenen Soldatenbild nähren. Viele deutsche Soldaten entscheiden sich für die Ausbildung in Saint Cyr, weil sie die „gewachsene Militärtradition“ Frankreichs fasziniert und sie neben der hochwertigen militärischen Ausbildung vermutlich auch von dem elitären Habitus französischer Offiziere und traditionsreichen Zeremonien während der Ausbildung angezogen sind. Als 2009 erstmals deutsche Offiziersanwärter in Saint Cyr aufgenommen wurden, sagte einer von ihnen über die sogenannte Grande Uniforme, die er zu dieser Gelegenheit trug, diese „muss man sich verdienen“.

Vielen deutschen Soldaten wird in Frankreich in aller Deutlichkeit bewusst, wie einzigartig der deutsche Umgang mit allem Militärischen ist. Dass sich die französische Grande Uniforme zum Beispiel in einer feierlichen Zeremonie verdient werden muss, steht im krassen Kontrast zum Bemühen der Bundeswehr, die Ausbildung von jeglichem Pathos frei zu halten. Seine Erfahrungen in Saint Cyr stellt ein deutscher Offizier der Uniformausgabe in der Kleiderkammer der Bundeswehr entgegen und vergleicht letztere in ihrer Nüchternheit und Beliebigkeit mit einer „Supermarktkasse“.
Unterschiede im Umgang mit Liedgut werden deutschen Soldaten spätestens während der Zeremonie zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs klar, wenn sie gemeinsam mit französischen Kameraden „Verdun La Victorieuse“ singen, ein antideutsches Lied: „Flieht, Barbaren und Lakaien. Dies ist das Tor von Frankreich, und ihr werdet es nie passieren“.

Platz in der Gesellschaft

Nicht nur die soldatische Identität wird im Ausland auf die Probe gestellt, sondern auch der Platz des Soldaten in einer demokratischen Gesellschaft. Dass, wie amerikanische Beobachter wie Shurkin oder Hodges andeuten, der gesellschaftliche Umgang mit einer möglichen Finalität des Soldatenberufes, töten und getötet werden, in Deutschland vollkommen anders ist als in den meisten anderen Ländern, wird deutschen Offizieren in Frankreich schnell klar. Viele nehmen an Zeremonien und Militärparaden teil, die sie am 14. Juli bis auf die Champs-Elysée führen können. Frankreich feiert sein Militär und seine Soldaten, deren Ansehen nach den Terroranschlägen von 2015 noch deutlich gestiegen ist.

Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Soldatenberufs und dem Platz in der Außen- und Sicherheitspolitik werden kaum gestellt. Französische Soldaten sind nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fast ununterbrochen in Kampfeinsätze geschickt worden. Dass allein im Rahmen der Barkhane-Mission im Sahel 58 französische Soldaten im Einsatz gefallen sind, gehört dazu. Regelmäßig finden Zeremonien im Invalidendom statt, die die Gefallenen und ihren Beitrag zur Sicherheit Frankreichs würdigen. Dieser Umgang mit Krieg und Tod mag aus deutscher Sicht befremdlich wirken. Französische Soldaten haben aber ein klares Bild ihres Auftrags, den sie im Zusammenspiel mit Politik und Gesellschaft erfüllen. Und das französische Militär wird in Umfragen regelmäßig als die Institution genannt, der eine Mehrheit der Franzosen größtes Vertrauen schenkt – weit vor dem Parlament, politischen Parteien oder den Medien.

Sich der Debatte stellen

Der Krieg in der Ukraine zwingt Deutschland, sich im Umgang mit den eigenen Soldaten ehrlich zu machen. Der Blick auf unseren Verbündeten macht deutlich, dass die deutsche Kultur im Umgang mit Krieg und Gewalt weiterhin von Tabus geprägt und dabei ausgesprochenen unehrlich ist. Davon können alle Soldaten berichten, die Ausbildungen im Ausland durchlaufen haben. Marcel Bohnert, Johannes Clair und andere Soldaten der „Generation Einsatz“ haben ihre Erfahrungen teils ausführlich öffentlich aufgearbeitet. Sie wollten eine Debatte anstoßen und dem Leitbild der „Inneren Führung“ und der „Parlamentsarmee“ Bundeswehr gerecht werden .

Diese Debatte hat die deutsche Öffentlichkeit auch im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine bisher verweigert. Das ist umso unverständlicher, als sie gleichzeitig den heroischen Widerstand der ukrainischen Soldaten feiert. Es stünde Deutschland gut zu Gesicht, in Zukunft genauer hinzuhören, wenn wohlgesonnene Beobachter wie Hodges oder Shurkin oder unsere französischen Verbündeten auf die Widersprüche im deutschen Umgang mit Militär und Krieg hinweisen. Die Frage, ob es eine „vollständig postheroische Armee“ geben kann oder ob diese ein „Widerspruch in sich“ ist, wie Marcel Bohnert gefragt hat, stellt sich heute dringlicher denn je.

Jacob Ross ist Research Fellow mit dem Schwerpunkt deutsch-französische Beziehungen im Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen. Dieser Beitrag ist zuerst hier erschienen. 

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Christoph Kuhlmann | Sa., 22. Juli 2023 - 15:22

Das Militär ist ohne Tradition undenkbar. Die Bundeswehr wurde Mitte der 50er Jahre von erfahrenen Wehrmachtsgeneralen aufgebaut. Die Politik bis weit in die 70er von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren, EK und Ritterkreuzträgern geprägt. Erst seit den 90ern wurde die Bundeswehr von Politikern problematisiert, die keinen Bezug zum Dienst mit der Waffe hatten. Der rationale Pragmatismus Gorbatschows überzeugte viele davon, das Leben sei ein Ponyhof. 30 Jahre Sparpolitik und Soldaten sind Mörder Polemik reichten aus, um aus einer der schlagkräftigsten Armeen Europas ein Rudiment ohne Munition und vielen Fähigkeitslücken zu werden. Eigentlich hätten wir spätestens 2014 erkennen müssen, dass die Freiheit nicht am Hindukusch oder sonst wo verteidigt wird, sondern ein paar hundert Kilometer östlich unseres Staatsgebietes. Aber man fühlte sich seit 2000-2010 wie ein einsamer Rufer in der Wüste, insbesondere wenn man selbst keinen sozialen Bezug zur Landesverteidigung hat und wunderte sich.

@Herr Kuhlmann, Ex-Kanzlerin Merkel ließ durch Minister vuzG handstreichartig die Wehrpflicht abschaffen, versprach die Einhaltung des 2%-Ziels und erkannte nach eigener Aussage schon 2014, dass die Ukraine zur Vorbereitung auf einen russischen Angriff noch Zeit brauchte. Gemäß dieser Logik wurde ihr mit Recht die höchste deutsche Auszeichnung verliehen.

Gunther Freiherr von Künsberg | Sa., 22. Juli 2023 - 17:57

Antwort auf von Christoph Kuhlmann

Herr Kuhlmann, leider haben sie völlig recht. Selbst die französische Fremdenlegion darf sich auf Historisches berufen, was man der Bundeswehr verweigert indem man alles was an Zeiten erinnert, die nicht demokratisch waren, wozu auch die Kaiserzeit (?) gehört, als Nazielement diffamiert, ungeachtet aus welcher Zeit und auch ungeachtet mit welchen Grundlagen das historische Element gelebt wurde. An die Streitigkeiten bezüglich der Namensgebung von Kasernen sei an dieser Stelle erinnert. Ich sehe nur eine Korrekturmöglichkeit, ein sog. Soziales Jahr für junge Männer und Frauen, das sowohl bei der Freiwilligen Feuerwehr, in Sozialeinrichtungen wie Altenheimen oder in Krankenhäusern aber auch durch Freiwilligendienst in der Bundeswehr abgeleistet werden kann. Dies würde nicht nur viele Personalprobleme lösen sondern auch für Viele die Möglichkeit eröffnen sich mit Institutionen zu identifizieren, deren Sinn und deren Notwendigkeit man oft erst durch die Mitarbeit erfasst.

Achim Koester | Sa., 22. Juli 2023 - 16:15

mokiert sich darüber, dass in der Bundeswehr "die entsprechende Kultur" fehle, dabei sollte er bedenken, wer es war, die uns diese "Kultur" seit 1945 abgewöhnt haben, meiner Meinung nach zu Recht. Erst jetzt, wo man nützliche Idioten braucht, soll diese wiederbelebt werden?

Henri Lassalle | Sa., 22. Juli 2023 - 19:59

stolz auf ihr Militär, es sind hochprofessionelle und kriegstaugliche Armeen. Ich selbst, eher als kühl-denkender Mensch bekannt, war gerührt, stolz und begeistert, als ich dieses Jahr am 14. Juli der Militärparade auf den Champs-Eyseée erleben konnte. Auch die Atom-Bombe, la force de frappe, ist notwendig, sie ist die Lebensversicherung Frankreichs. Ich habe den Eindruck, die Deutschen werden nicht nur ihren Hitler nicht los, sondern werden immer noch von den psychologischen Folgen des 2. Weltkrieges überschattet. Das braucht Zeit - und vielleicht Gelegenheiten, um eine neue Identität zu finden.

Uli | So., 23. Juli 2023 - 09:08

"Taugen Staatsbürger in Uniform als Helden?"
Wer für die Sicherheit andere Länder sein Leben einsetzt, hat höchste Ehren verdient. Seitdem wir, dank grüner Politik, wieder aktiv an Kriegen teilnehmen, sind hunderte Soldaten an der Front gestorben. Jeder davon ist ein Held und sobald Frauen an der Front sterben, auch Heldinnen.

Ernst-Günther Konrad | So., 23. Juli 2023 - 09:38

Ich las gestern in der BILD, dass der Geheimdienst nicht mehr hinterher kommt, die Soldaten zu überprüfen. Es sollen 70000 Überprüfungen auf Halde liegen. Ach wirklich so viel? Wahrscheinlich viele "Facharbeiter" aus dem Ausland, die bei der BW Karriere machen. Und mit was sollen die auch kämpfen? Ein Teil der Logistik ist in der Ukraine, der Rest funktioniert nicht, reicht kann man als Soldat auch nicht werden und für andere und gar das "Vaterland" sterben, dürfte kaum Motivationsschübe bei den jungen Menschen auslösen. Wer will denn noch eine "harte" Ausbildung, Dienst an der Waffe und militärischen Drill, wenn man als Influencer oder Politiker bei den GRÜNEN schnell und sicher in Ämter kommt bei sehr gutem Salär. Und darf man denn noch Nationalstolz haben, für D überhaupt eintreten, wenn es doch gilt, überall in der Welt die Völker vor dem Untergang zu retten? Tradition ist doch bäh, gefährlich gar Nazi" und ein falsches Bild in einem Chat, dann ist man schnell weg vom Fenster.

Straub Klaus Dieter | Mo., 24. Juli 2023 - 08:32

Vor der Trikolore verneige ich mich immer. Frankreich hat kein Problem, trotz Kolonialkriege mit hundert tausend Tode. Auch Deutschland hatte Helden. Die napoleonischen Kriege, der erst und auch der zweite Weltkrieg. Namen könnte ich aufzählen , aber lassen wir das. Mein Großvater (14-18) sagte immer stolz. Ich will nichts schlechtes über meine französischen, britischen und russischen Kameraden hören. Auch wir sollten wieder unsere Soldaten/innen in Uniform achten! Aber Soldaten sind Mörder und Bullen sind Schweine klingt mir immer noch von Linken und Grünen, in den Ohren. Man mag sich ändern, doch daran glaube ich nicht!!!