Parteitag der SPD - Eine vertane Chance

Der Bundeskanzler hat auf dem Bundesparteitag angeblich die Seele der SPD gestreichelt. Wahrscheinlich stimmt das sogar – und ist deswegen ein umso verheerenderes Signal. Denn Olaf Scholz sprach eigentlich nur über Umverteilung. Von Leistung war hingegen keine Rede.

Keine Feierstunde der Politik: Der SPD-Parteitag / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Im Großen und Ganzen sind sich die journalistischen Beobachter einig: Mit seiner Rede auf dem SPD-Bundesparteitag habe Olaf Scholz „die Seele seiner Partei gestreichelt“ und die verunsicherten Genossen miteinander „versöhnt“. Diese Sichtweise mag zutreffen (wenngleich zumindest die sächsische Juso-Vorsitzende sich offenbar nicht einlullen lassen wollte), und das ist auch schon das eigentlich Verstörende an diesem sozialdemokratischen Familientreffen vom Wochenende. 

Hier waren also die Vertreter und Funktionäre der größten Regierungspartei versammelt, denen man offenbar vom Kanzleramt aus keine harten Realitäten zumuten kann oder will. Stattdessen erging sich Scholz fast eine Stunde lang in paternalistischer Umverteilungsprosa, als befände sich die Bundesrepublik noch in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts – und als gäbe es keine Haushaltskrise, wie sie das Land in seiner jüngeren Geschichte noch nicht erlebt hat. War da was? I wo, Papa Scholz und seine Truppe werden es schon richten. „Wir sind für euch da“, deklamierte er denn auch im Brustton der Überzeugung.

Deplatzierter Ton

Der ganze Ton in Scholzens Rede wirkte vollkommen deplatziert, weil die Menschen (und hoffentlich auch ein paar klar denkende Genossinnen und Genossen) sehr wohl wissen (oder zumindest spüren), dass in unserem Land etwas ins Rutschen geraten ist und dass drohende Wohlstandsverluste keineswegs nur von verirrten „Marktradikalen“ (Originalton SPD-Chef Lars Klingbeil) als Menetekel an die Wand gemalt werden. 

Die „Zeitenwende“, jene vom Kanzler nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ausgerufene Neujustierung der Verteidigungspolitik, geht ja weit über militärische Fragen hinaus. Sie umfasst nämlich die Frage, wie sich Wirtschaft und Gesellschaft auf die Globalisierung und auf die neuen geopolitischen Machtverhältnisse einstellen müssen, um nicht zu den Verlierern dieser neuen und überaus ungemütlichen Zeit zu werden. Stadionsprüche wie „You’ll never walk alone“ sind hierauf keine adäquate Antwort, sondern Tranquilizer für eine Bevölkerung, der man eine schonungslose Bestandsaufnahme nicht zutraut – geschweige denn, dass man sie mit einer Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede nach Churchill'scher Manier aus dem vermuteten Tiefschlaf zu rütteln gedenkt.

Interessenvertretung der Abgehängten

Knapp eine Stunde lang sprach da also der Regierungschef einer ins Straucheln geratenen Industrienation, und die meiste Zeit ging es um Transferleistungen für unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen. Dass die soziale Absicherung gerade für die SPD ein Kernanliegen ist, versteht sich von selbst. Aber das von Scholz als sakrosankt behandelte Bürgergeld etwa schafft in einer unter massivem Arbeitskräftemangel leidenden Volkswirtschaft eben auch Fehlanreize, die zu benennen und zu unterbinden ebenfalls vornehmste Aufgabe einer sozialdemokratischen Partei wäre. Es sei denn, diese verstünde sich inzwischen nur noch als Interessenvertretung der Abgehängten und der Subsidienempfänger.
 

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Mit keiner Silbe ließ dieser Bundeskanzler anklingen, dass der Umverteilungskuchen an anderer Stelle überhaupt erst gebacken werden muss; der Fokus von Olaf Scholz richtete sich ausschließlich auf das Reservoir der Leistungsempfänger. Die Leistungserbringer – von der Kassiererin im Supermarkt bis hin zur Unternehmerin, die hohe persönliche Risiken eingeht, um Arbeitsplätze zu schaffen und Wertschöpfung zu erbringen – fanden schlicht keine Erwähnung. Wer so redet, muss sich nicht wundern, wenn die eigene Partei zum Abstiegskandidaten wird.

„Zuversicht“ als Synonym für Umverteilung

Er wolle „um Zuversicht kämpfen in schwierigen Zeiten“, behauptete Scholz während seiner Parteitagsrede. Nur leider war davon nicht ansatzweise etwas zu erkennen. Wenn „Zuversicht“ aus Perspektive der SPD inzwischen zum Synonym für Umverteilung geworden ist, dann ist etwas vollkommen aus dem Lot geraten. Denn nie wäre es wichtiger gewesen, ein ganz anderes Signal zu setzen: Jetzt ist Ärmelhochkrempeln angesagt, wir nehmen die Herausforderung an, machen wir uns gemeinsam an die Arbeit! 

Es wäre sozusagen eine positive Wendung der Merkel'schen Sottise von wegen „Wir schaffen das!“, es hätte die sozialdemokratische Lesart einer inhaltsleeren Floskel der Amtsvorgängerin von Olaf Scholz werden können. Aber auch dieser Bundeskanzler hängt weiterhin dem Irrglauben an, man könne die sich auftürmenden sozialen, gesellschaftlichen und ökonomischen Probleme einfach nach Merkel-Manier wegbeschwichtigen.

Es ist einfach unfassbar frustrierend, wie der Mehltau, der sich schon lange über dieses Land gelegt hat, von einer politischen Elite immer weiter gezüchtet und verkleistert wird. Ein machtbewusster Instinktpolitiker wie Gerhard Schröder hätte spätestens an diesem Parteitagswochenende seine Chance genutzt, um endlich einen neuen Kurs und das Schiff unter Volldampf zu setzen. 

Sein ehemaliger Generalsekretär Scholz hingegen pflegt da eher den akademischen Angang, indem er auf allerlei Soziologen verweist, die dieses oder auch jenes analysieren. Und kommt dabei doch auf keinen grünen Zweig. Vielleicht, weil es ihm einfach an Format fehlt, um ein Land durch eine derart tiefe Krise zu führen, wie wir sie derzeit erleben. Jedenfalls ist diese Krise zu tief, als dass sie sich gewissermaßen an der Bevölkerung vorbei aus den Hinterzimmern der Macht heraus irgendwie managen oder administrieren ließe.

Behaupteter Zukunftsoptimismus

Der in seiner Rede behauptete Zukunftsoptimismus des Bundeskanzlers beruht auf vagen Konzepten, die sich schon bisher zumindest mittelfristig als nicht tragfähig erwiesen haben. Fachkräftezuwanderung, Energiewende, Transformation: Dass diese Begriffe inzwischen bei einem Großteil der Bevölkerung nicht nur Skepsis, sondern einen regelrechten Widerwillen auslösen, ist auch dem Versagen der Ampelregierung geschuldet. 

Hier wird, so empfinden es viele, die Zukunft nicht mit den Menschen gestaltet, sondern von oben herab gegen sie oktroyiert. Wie daraus Optimismus erwachsen soll, bleibt das Geheimnis des obersten Schweigers im Kanzleramt, dem womöglich einfach nur nicht einfällt, wie er sein Volk adressieren könnte. Es ist eigentlich eine kolossale Respektlosigkeit gegenüber dem Souverän – ausgehend ausgerechnet von jenem Mann, der seinen Bundestagswahlkampf mit genau diesem Wort bestritten hat: „Respekt“.

Knapp eine Woche nach den abermals verheerenden Ergebnissen der Pisa-Studie, und der Bundeskanzler umschifft das Thema Bildung weiträumig. Ganz so, als handele es sich um eine Petitesse, die im föderalen Deutschland ohnehin „nur“ Ländersache ist. Dabei entscheidet sich auch und gerade auf diesem Feld die Zukunft nicht nur unseres Wohlstands, sondern eben auch des sozialen Zusammenhalts.

Wären Bildung und das damit verbundene Aufstiegsversprechen nicht gerade für einen sozialdemokratischen Regierungschef der exakt richtige Ausgangspunkt für ein positives Zukunftsversprechen? Wäre es nicht an der Zeit, dass ein SPD-Kanzler endlich die bildungspolitische Zeitenwende ausruft, anstatt es der zweiten Reihe sozialdemokratischer Funktionsträger zu überlassen, einfach immer noch mehr Geld für ein System zu verlangen, das offensichtlich grundlegender Reformen bedarf? Ganz nebenbei würde sich das auch wohltuend auf die Politik selbst auswirken, wo sich der Fachkräftemangel besonders schmerzhaft bemerkbar macht. Expertise entsteht halt nicht immer nur in Parteigremien.

Keine Feierstunde

Nein, dieser Parteitag mit Scholzens umjubeltem Auftritt war keine Feierstunde der Politik – und auch keine der Sozialdemokratie. Zu erleben war eine Organisation, die sich selbst dafür feiert, dass sie auf die Rezepte von gestern setzt und dabei von einer Zukunft träumt, die es so nicht geben wird.

Die Leute spüren das – und sind frustriert. Da hilft nicht einmal die aufgesetzt wirkende antifaschistische Rhetorik des Vorsitzenden Klingbeil weiter. Denn warum sollte man eine Partei wählen, deren Konzepte dafür sorgen, dass die eigene Klientel scharenweise in Richtung der AfD desertiert? Wahrscheinlich muss es erst noch schlimmer werden, bis es irgendwann wieder besser wird. Auch mit der SPD.

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