Özdemirs Süßigkeiten-Werbeverbot - Schokolade ist kein Cannabis

Agrarminister Cem Özdemir will Kinder und Jugendliche vor gesundheitlichen Gefahren schützen, indem er umfassende Werbeverbote für Süßigkeiten erlässt. Sind die Grünen am Ende etwa doch eine Verbotspartei?

Eine Gefahr für Kinder? / dpa
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Felix Huber studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin.

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Ein hagerer Mann mit weißem Kittel steht in einem Büro. Auf seinen Kittel ist das Logo von Nutella gedruckt, und in seiner Hand hält er ein Glas der Nuss-Nougat-Creme. Während er sich in an einen Tisch setzt, erklärt er dem Zuschauer, dass man Nutella nicht mit Konkurrenzprodukten vergleichen könne. Schließlich habe Nutella erhebliche Mengen der Lebensbausteine Kalzium, Eisen und Eiweiß. „Nutella, Lebensbausteine für jeden Tag.“

Solche Werbespots, wie diesen aus den 1980er-Jahren, sollen wir bald nicht mehr sehen, wenn es nach Bundesernährungsminister Cem Özdemir geht. Der Grünen-Politiker stellte diese Woche seinen Gesetzentwurf für ein Süßigkeiten-Werbeverbot vor. Mit diesem möchte er seinem langfristigen Ziel, dem Schutz von Kindern vor ungesunder Ernährung, näherkommen.

Keine Werbung für Kinder

Özdemir möchte die Werbung für alle Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt einschränken. Faustregel: Alles, was einen Kindergeburtstag zu einem guten Kindergeburtstag macht, ist betroffen. Özdemir betonte am Montag, dass dieser konkrete Vorstoß noch nicht innerhalb der Ampel-Regierung abgestimmt sei. Der Gesetzentwurf sieht ein umfassendes Verbot vor, das laut Özdemir in „allen für Kinder relevanten Medien“ gelten soll. Betroffen wären Plakatwerbung in 100 Metern Entfernung von Schulen, Kindergärten, Spielplätzen und allen anderen auf Kinder ausgelegten Einrichtungen. Auch im Fernsehen soll es zwischen 6 und 23 Uhr keine Werbung mehr für ungesunde Lebensmittel geben. Sogar Radiosendungen, Youtube-Videos und Kooperationen von Influencern dürften sich nicht mehr an Kinder unter 14 Jahren richten.

Risiken von Übergewicht

Der Gedanke ist hierbei durchaus verständlich. Immerhin sind in Deutschland rund 10 Prozent aller Kinder und Jugendlichen übergewichtig, sechs Prozent sogar adipös. In der Jugend entstandenes Übergewicht bleibt häufig das gesamte Erwachsenenleben bestehen. „Im Kindesalter wird das Ernährungsverhalten für das weitere Leben entscheidend geprägt. Lebensmittelwerbung hat hier einen nachhaltigen Einfluss bei Kindern“, so Özdemir. Das Risiko für entzündliche Krankheiten, Herzprobleme und Diabetes steigt mit zu hohem Gewicht drastisch an. Eine gesunde und leistungsfähige Gesellschaft erwächst natürlich auch aus ausgewogener Ernährung.

 

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Was ist ungesund?

Einige praktische Fragen drängen sich trotzdem sofort auf. Welche Lebensmittel sind ungesund? Die WHO-Richtlinien, die Özdemir hier anlegen möchte, wurden zu Recht schon von FDP-Fraktionsvize Carina Konrad kritisiert. Schließlich dürfte danach künftig auch keine Milch und kein Honig mehr beworben werden. Das Süßigkeiten-Werbeverbot ist zwar im Koalitionsvertrag verabredet worden, allerdings ohne die strengen WHO-Kriterien.

Das zweite Problem: Welche Süßigkeitenwerbung richtet sich denn überhaupt ganz klar an Kinder? Hier kommt vor allem aus der Industrie Kritik. Diese Unklarheiten und inhaltlichen Schwächen in Özdemirs Entwurf wird die Süßwarenbranche natürlich nutzen, um Schlupflöcher zu finden und zu klagen. Diversen Großkanzleien dürfte damit geholfen werden, Kindern jedoch erst einmal nicht. Entgegen Özdemirs Aussage würde man hier schließlich doch auf ein allgemeines Werbeverbot zusteuern.

Cem Özdemir bei der Vorstellung seines Entwurfs / dpa

Cannabis und Schokolade

Wer entscheidet eigentlich über die Graubereiche? Ginge es nach Cem Özdemir, wahrscheinlich er selbst – er, der verstanden hat, was gesunde Ernährung und was gut für die Menschen ist.

Während die Grünen Kinder und Jugendliche nun also vor Fett und Zucker schützen wollen, setzen sie sich gleichzeitig lautstark für die Legalisierung von Cannabis ein. Özdemir selber sagte im Dezember 2021: „Niemand soll sich die Birne wegkiffen, aber ich freue mich, dass der Irrsinn des Cannabis-Verbots endlich endet.“ Er bringt also 18-Jährigen, die die Droge künftig legal konsumieren und ihrem Gehirn irreparable Schäden zufügen können, sehr viel Vertrauen entgegen. Den Eltern von Süßigkeiten liebenden Kindern oder Teenagern dagegen recht wenig.

Gesunder Umgang

Dabei weiß jeder, dass Kinder am liebsten die Dinge machen, die ihnen ausdrücklich verboten wurden. Die Jugendlichen aus meinem Freundeskreis, die im wohlbehüteten Glaskäfig aufwachsen mussten, haben beim ersten Anflug von Freiheit überdreht. Denn wer nie gelernt hat, dass vier Bier genug für ihn sind, der wird eher acht trinken. Wer nie gelernt hat, dass vier Stunden Zocken reichen, wird die ganze Nacht vor der Konsole verbringen, sobald er es darf. Und wer eben nie gelernt hat, dass ihm nach vier Schokoriegeln schlecht ist, wird eher acht essen, als nach dem zweiten aufzuhören. Ein gesunder Umgang mit Lebensmitteln muss das Ziel sein, keine Verbote und auch kein Versteckspielen in der Werbung. Der Kindergeburtstag ohne Pommes und Chips ist ein schlechter Kindergeburtstag, dafür kann am nächsten Tag ein gesundes Pausenbrot geschmiert werden.

Das Spiel mit der Mündigkeit

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass sich der Staat weitestgehend aus der Kindererziehung heraushalten sollte. Eltern sollten erst einmal allein entscheiden, wie viele und welche Süßigkeiten ihr Kind essen darf oder was es anzieht. In solchen intimen Bereichen des Lebens muss sich die Politik zurückhalten und wenn, eher Angebote machen statt zu diktieren. Cem Özdemirs Ansatz, etwas zu verändern, halte ich für richtig, seine konkrete Idee für blinden Aktionismus. Bestimmt wissen manche Eltern nicht, Grenzen zu setzen oder welche Lebensmittel gesund sind. Aber mit einem Eingriff in die Fernsehwerbungen für Kinder bekämpft man nicht die wahren Probleme. Die Kaufentscheidung treffen immer noch meistens die Eltern, deswegen muss man ihnen Angebote machen. Kostenlose Workshops über gesundes Kochen, Inhaltsstoffe, Zutatenlisten und die Gefahren von ungesunder Ernährung sollten längst Normalität sein. Dieses Wissen kann dann in den Familien zielgerichtet auch an Kinder weitergegeben werden.

Verbote gegen Symptome

Generelle Aufklärung, die auch Menschen in bildungsfernen Schichten einen gesünderen Umgang mit Lebensmitteln näherbringt, ist Verboten immer vorzuziehen. Beim Thema Cannabis-Legalisierung vertreten die Grünen selbst diesen Standpunkt, bei Süßigkeiten hört der Spaß dann aber anscheinend auf. Solange ungesunde Lebensmittel in Supermärkten so präsent ausliegen und die Quengel-Regale an der Kasse noch Bestand haben, bekämpft man mit Werbeverboten höchstens die Symptome. Eine chronisch ungesunde Gesellschaft aber kann man sich auch nicht mehr schön kiffen.

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