Öko-Partei vor der Spaltung? - Der grüne Albtraum

Mit der erste Regierungsbeteiligung der Grünen verschwanden die sogenannten Fundis in der Versenkung. Nun tauchen sie wieder auf. Der Albtraum der Grünen, eine radikale grünalternative Parteigründung, nimmt am politischen Horizont Gestalt an.

Gründungsparteitag der Grünen im Januar 1980 in Karlsruhe / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es gab mal eine Zeit – die Älteren unter uns erinnern sich noch –, da gab es bei den Grünen die Realos und die Fundis. Die Realos waren bereit, von radikalen umweltpolitischen Forderungen abzurücken. Teils aus ehrlicher Überzeugung, teils aus strategischen Überlegungen, um über parlamentarische Kompromisse Regierungsfähigkeit herzustellen und so die Gesellschaft langfristig in die gewünschte ökologische Richtung zu verändern.

Spätestens mit dem Eintritt der Grünen in die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder 1998 war der sogenannte Fundi-Flügel marginalisiert. Unter dem „Autokanzler“ Schröder und dem Ober-Realo Fischer als Vizekanzler gelang es, die Fundis teils machtpolitisch einzubinden, teils in die Bedeutungslosigkeit zu drängen.

Doch eine Partei ist eben nur eine Partei, also ein Teil (lat. pars) der Gesellschaft. Und das bedeutet, dass radikalere Strömungen zwar innerhalb einer Partei übergangen werden können, nicht jedoch in der Gesamtgesellschaft. Also formierte sich außerhalb der Grünen eine radikale Umweltschutzbewegung, die sich von den nunmehr etablierten Parteifunktionären in drei Dingen unterschied: Sie war jünger, kultivierte eine andere Ästhetik als die grüne Gründergeneration und verengte das Thema Umweltschutz radikal auf das Klima. Wie alle radikalen Polit-Strömungen betrieb sie damit eine Komplexitätsreduktion und macht ihr Anliegen damit kampagnenfähig. Die Auftritte der Schwedin Greta Thunberg im Sommer 2018 gaben dieser Bewegung zudem ein Gesicht: Fridays for Future und ihr nochmals radikalerer Ableger Extinction Rebellion waren geboren.

Von einer hysterischen Dringlichkeitsmanie getrieben

Kurzfristig trieben der Aktionismus von Fridays for Future und die wohlwollende mediale Begleitmusik auch die Umfragewerte der Grünen nach oben. Klima wurde zu einem Lifestylethema. Doch spätestens mit dem Regierungsantritt der Grünen im Dezember 2021 zeigt sich das strategische Dilemma, in dem sich die Grünen Realos auf einmal befanden: Eingebunden in eine Koalition mit der FDP, die regelmäßig staatsinterventionistische und autoritäre Politprojekte der Umweltschutzpartei kannibalisierte, konnten die Grünen nicht einmal alle realpolitisch machbaren Projekte durchsetzen – von den utopistischen ganz zu schweigen. Was nun?

Das Dilemma der Grünen ist offensichtlich: Auf der einen Seite die politisch Radikalen bis Verblendeten von Last Generation, FfF und Extinction Rebellion, die medialen Aktivisten in den Zeitungsredaktionen und Sendeanstalten und der vorpolitische Raum des Zeitgeistes. Auf der anderen Seite die bittere Realität, die ökonomischen Tatsachen, die Mehrheit der Bürger, klar denkende Experten und sehr häufig einfach die Gesetze der Naturwissenschaften.

 

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So ist jedem halbwegs nüchtern denkenden Menschen klar, dass die Energiewende, so wie von den Grünen und ihrem klimaaktivistischen Vorfeld gefordert, nicht funktionieren kann. Das ganze Projekt scheitert schon an der nicht vorhandenen Speichertechnik, die ein Industrieland wie Deutschland dringend braucht, wenn es vollständig auf Energien setzt, die wie Sonne und Wind nicht konstant zur Verfügung stehen. Zumindest konnte noch kein Grüner erklären, wie man auch nur einen Tagesbedarf Deutschlands an Strom (etwa 10,4 Terawatt) speichern soll. Das aber wäre eine Grundvoraussetzung. Und da haben wir von all den anderen technischen, ökologischen und ökonomischen Schwierigkeiten noch gar nicht gesprochen.

Damit sitzen die Grünen in der selbstgebastelten Falle. In den letzten Jahren wurden nicht nur Projekte imaginiert, die technisch nicht im Ansatz umsetzbar sind (und umsetzbare Techniken wie Kernkraftwerke der vierten Generation abgewürgt), sondern zugleich ein politisches und alltagskulturelles Meinungsklima geschaffen, das von einer hysterischen Dringlichkeitsmanie getrieben den Blick für das Machbare vollkommen verloren hat.

Auch in der Migrationsfrage droht eine Zerreißprobe

Symptomatisch die Reaktionen von Luisa Neubauer auf den Kompromiss des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Sie sprach von einem „schlechten Witz“ und einer „Entkernung des GEGs“, das das „Heiligtum der Klimadiplomatie“, das Pariser Klimaabkommen, gefährde, und positionierte sich als Verschwörungstheoretikerin, fabulierte von Machenschaften der „fossilen Lobby“ und einer Kampagne der „Gaslobby“. Die Kritik an Robert Habeck und den Regierungsgrünen war überdeutlich.

Doch das Thema GEG ist kaum vom Eis, da droht neues Ungemach: eine kontroverse Diskussion über den EU-Asylkompromiss auf dem heutigen Länderrat der Grünen in Bad Vilbel. Die grüne Parteijugend fordert massive Nachbesserungen, die Parteilinke einen förmlichen Distanzierungsbeschluss. Auch hier sitzen die Grünen in der Falle zwischen dem politisch Machbarem und den steilen Forderungen, die man im grünen Soziotopen seit Jahren kultiviert hat.

Es braucht nicht viel Fantasie, um sich eine radikale Parteigründung jenseits der Grünen vorzustellen. Im Grunde braucht es nur noch ein symbolisches Reizthema und eine Art linksalternativen Bernd Lucke, der bereit ist, die Aktivisten unterschiedlicher Couleur organisatorisch unter einem Dach zu vereinen. Das politische Potential für diesen Schritt ist vorhanden. Es wäre der Albtraum für die Grünen.

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