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Münster - Stadt des leisen Lagerwahlkampfs

Im westfälischen Münster ist das Rennen um das Direktmandat knapp. Wer holt am Sonntag die meisten Erststimmen: SPD-Kandidat Christoph Strässer oder CDU-Kandidatin Sybille Benning? SPD und CDU schielen auf die Stimmen von Grünen- und FDP-Anhängern

Autoreninfo

Bachelor in Politik- und Kommunikationswissenschaft. Studiert Internationale Beziehungen im dänischen Aarhus.

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Christoph Strässer reicht es. Mehrmals ist ihm der Moderator der Podiumsdiskussion in der Aula am münsterschen Aasee ins Wort gefallen. „Sie sind weniger Moderator als Diskussionsteilnehmer“, schießt Strässer in Richtung Moderator. Das saß. Beifall im studentischen Publikum. Strässer ist SPD-Direktkandidat im Bundestagswahlkreis Münster. In einem Hörsaal der Universität Münster diskutiert der 64-Jährige mit den Kandidaten der anderen Parteien über Wahlthemen der Studenten.

CDU-Kandidatin Sybille Benning teilt Strässers Unmut. Ab und an verdreht die Frau mit schnittiger Kurzhaarfriseur und braunem Blazer die Augen. Hohe Erwartungen an die Diskussion hatte die 52-Jährige nicht: „95 Prozent der Zuschauer heute haben doch schon ihre Wahl gemacht“, sagt sie.

Trotzdem: Präsenzzeigen ist Pflicht. Spannender war der Endspurt vor der Bundestagswahl in Münster selten. Wer die 300.000-Einwohner-Stadt in Westfalen in Berlin direkt vertritt, ist - anders als im unionsdominierten Umland - alles andere als ausgemacht. Derzeit liegt Benning knapp vorne: Laut einer Umfrage der Universität kommt sie auf 38 Prozent Zustimmung unter den wahlberechtigten Münsteranern. SPD-Kandidat Strässer steht bei 36 Prozent. Weil die Großen so eng beieinander liegen, schielen sie auf die Erststimmen der Kleinen, auf Grüne und Liberale.

Für Benning geht es bei der Wahl um alles oder nichts: Während Strässer und die Kandidaten von FDP, den Grünen und der Linkspartei gut auf den nordrhein-westfälischen Landeslisten abgesichert sind, wird der 52-Jährigen Platz 31 auf der CDU-Landesliste nicht in den Bundestag helfen. Es wäre das erste Mal seit 1949, dass die CDU Münster nicht mit einem Abgeordneten in Berlin vertreten wäre. Möglichst viele Erststimmen. Darum geht es Benning.

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Benning soll die Nachfolge von Ruprecht Polenz antreten


Sie ist die erste Frau, die der christdemokratische Stadtverband in einen Bundestagswahlkampf schickt. Im November 2012 setzte sich die Landschaftsplanerin und vierfache Mutter gegen vier Mitbewerber als Direktkandidatin durch. Benning ist das Gesicht einer großstädtischen CDU: Für bessere Kinderbetreuung, für das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Die Familienunternehmerin, die mit ihrem Mann einen mittelständischen Landschaftsbaubetrieb führt, soll die Nachfolge des CDU-Außenpolitikers Ruprecht Polenz antreten. Dieser holte 2009 das Direktmandat im Wahlkreis zurück, nachdem Christoph Strässer es 2002 und 2005 für die SPD gewonnen hatte.

Außenpolitik-Experte Ruprecht Polenz gilt in Münster und darüber hinaus als Institution. In seine Fußstapfen will Benning auch gar nicht treten. „Ich ziehe mir meine eigenen Schuhe an“, sagt sie mit fester Stimme. SPD-Kandidat Strässer weiß die Beliebtheit des CDU-Urgesteins zu nutzen. „Polenz hat einfach Benchmarks gesetzt“, sagt der Jurist, nicht ohne Hintergedanken. „Und daran messe ich natürlich Frau Benning.“ Jetzt will es der Menschenrechtspolitiker nach der „bitteren Niederlage“ 2009 noch einmal wissen.

Für den Wahlsieg wirbt der SPD-Kandidat unverblümt um die Erststimmen von Grünen-Anhängern. In der Studenten- und Beamtenstadt haben die Grünen eine starke Basis: Vor vier Jahren holten sie 17 Prozent der Zweit- und annähernd 13 Prozent der Erststimmen. „Strässer wählen - ohne rot zu werden“, heißt es deshalb an Münsters Laternenpfählen. Die Grünen tolerieren die Erststimmenkampagne des Wunschkoalitionspartners. Für die Grünen-Direktkandidatin und Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink ist der Richtungswechsel auf Bundesebene wichtig. Das Ziel laute Rot-Grün. Sie konzentriert sich deshalb schon seit Wahlkampfbeginn auf die Zweitstimmen.

Im schwarz-gelben Lager ist die gegenseitige Wahlkampfhilfe weniger offensichtlich. Am Montag hatte FDP-Chef Philipp Rösler gesagt, die FDP habe in Münster der CDU angeboten, auf Erststimmenwerbung zu verzichten und dafür um Zweitstimmenwerbung gebeten. Eine solche Übereinkunft wäre brisant, stemmt sich die Unionsführung doch vehement gegen Leihstimmen für den Koalitionspartner. „An der Nachricht ist nichts dran“, heißt es dann auch von der CDU Münster. Abgesprochen sei nichts, die CDU werbe in der Stadt nur intensiver um die Erststimme,weil Benning keinen aussichtsreichen Listenplatz habe.

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Die FDP ruft nicht zur Wahl Bennings auf


Und die Liberalen? Der erneute Einzug in den Bundestag ist nicht sicher. „Die FDP Münster lässt sich am Zweitstimmen-Ergebnis messen“, sagt Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, der als bekanntes Gesicht für die FDP in Münster antritt. Er wirbt in den Tagen vor der Wahl offensiv um Zweitstimmen in der Westfalenstadt. Zur Wahl von Sybille Benning rufe der Kreisverband aber nicht auf, fügt er hinzu.

Weil Bahr in der ganzen Republik unterwegs ist, lässt er sich auf der studentischen Podiumsdiskussion in der Aasee-Aula durch den Kreisvorsitzenden der FDP Münster, Jörg Berens, vertreten. Die Aula, einer der größten Hörsäle der Universität Münster, ist für die vorlesungsfreie Zeit gut besucht. Egal ist die Wahl den Studenten offenbar nicht.

Mittlerweile sammeln die Moderatoren Antworten der Kandidaten im Themenblock Wohnen. Es ist das Thema in Münster. Preiswerter Wohnraum ist knapp. Die Stadt gehört zu den am schnellsten wachsenden Orten in Nordrhein-Westfalen. 2030 sollen fast 17 Prozent mehr Menschen in Münster wohnen als 2011, prognostiziert das Statistische Landesamt.

Münster zieht Menschen nach Westfalen. Nicht zu groß, nicht zu klein ist die Fahrrad- und Forschungsstadt. Auf dem Wochenmarkt vor dem imposanten Dom knabbern gutbürgerliche Westfalen und zugezogene Hipster gleichermaßen an den Gratisschnittchen. Nach dem Studium bleiben einige Absolventen dann gleich ganz da.

Ein Gummitierchen unterbricht Benning


Die Mieten steigen deshalb in der Stadt seit Jahren. Private Investoren, die Wohnraum schaffen, gibt es zwar, doch viele können sich die neuen Wohnungen nicht leisten. Eine Schlüsselrolle spielt bei der Schaffung von neuem Wohnraum die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, kurz Bima. Die Anstalt verkauft in Münster Gebäude, in denen bis vor Kurzem in der Stadt stationierte britische Streitkräfte wohnten. Die Bima soll die Gebäude im Auftrag des Bundes zu möglichst hohen Preisen verkaufen.

Gut für den Bundeshaushalt, schlecht für Münster, das auf einigen Flächen gerne Sozialwohnungen gebaut hätte. CDU-Frau Benning redet sich warm. Stadtplanung, das ist ihr Thema – und sie ist dafür, dass die Bima mehr Wert auf den sozialen Wohnungsbau legt. Eine solche Reform ist in der schwarz-gelben Bundesregierung umstritten. Eine Gesetzesvorlage aus der Opposition mit ähnlichen Forderungen lehnte die Regierung im vergangenen Jahr noch ab.

Benning muss deshalb die richtige Balance finden. Doch die Moderatorin quietscht mit einem Gummitierchen dazwischen, die Redezeit ist aufgebraucht. Nachfragen und Gegenantworten erlaubt das starre Regelwerk nicht. „Ich hoffe, dass es so nicht in Ihren Seminaren an der Uni zugeht“, entfährt es Benning und wendet sich kopfschüttelnd ab.

Die Themenliste der Diskussion ist lang. Von Bundestagskandidaten wird erwartet, dass sie zu allen Themen eine Position haben. Beim Thema Asylpolitik pariert SPD-Kandidat Strässer, menschenrechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion und Mitglied der deutschen Delegation beim Europarat, in der Zuschauerfragerunde Kritik aus dem Publikum. Die SPD hat den Asylkompromiss von 1992/93 mitgetragen. Ob er denn trotzdem für das Asylrecht vor 1993 sei, will ein Student wissen. „Wenn Sie wollen, bringe ich gerne einen solchen Antrag ein“, sagt Strässer.

Benning fehlt hier das Detailwissen. Auf die Frage antwortet sie vor den Studenten ausweichend. Anschließend sagt die CDU-Politikerin, mit dem Asylkompromiss von 1992/93 habe sie sich noch nicht intensiv beschäftigt. Sie werde sich aber besser informieren. Der erfahrene Strässer findet trotzdem, dass Benning sich hätte besser vorbereiten können.

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Leiser Lagerwahlkampf


Der Kampf um das Direktmandat ist für den Sozialdemokraten und die Christdemokratin ein Vollzeitjob. Die Kandidaten werben nicht nur auf Podien, sondern auch auf Münsters kopfsteingepflasterten Straßen für sich und ihre Partei.

Einen Tag nach der Hochschuldiskussion stehen Christoph Strässer und sein Team in der Fußgängerzone unter einem rot-weißen SPD-Zelt. Ein Wahlkampfhelfer duelliert sich wortreich mit einem aufgebrachten Mittfünfziger, der Peer Steinbrücks Umgang mit der Schweiz für unmöglich hält.

Christoph Strässer selbst sieht ein wenig müde aus. Morgens hat er mit Schülern über Politik diskutiert, später will er noch in einen Vorort, um Bürgerfragen zu beantworten. Wie in anderen Städten auch, haben er und sein Team an zahlreichen Haustüren geklingelt.

Plötzlich läuft Winfried Nachtwei, langjähriger Grünen-Bundestagsabgeordnete, am SPD-Stand vorbei. Strässer und Nachtwei begrüßen sich herzlich. „Einer der Besten“, sagt Strässer schmunzelnd als Nachtwei den Stand in Richtung Prinzipalmarkt verlässt, wo Katrin Göring-Eckardt für starke Grüne wirbt.

Rot und Grün verstehen sich in Münster. Schwarz und Gelb kommen sich zumindest nicht in die Quere. Strässer oder Benning, SPD oder CDU? Am Sonntag hängt viel davon ab, wie viele Grünen- und FDP-Anhänger taktisch und damit Rot-Grün oder Schwarz-Gelb wählen. Genau drei Tage bleiben beiden Lagern noch, sie davon – ob mit oder ohne Absprachen –  zu überzeugen. In Münster tobt leise der Lagerwahlkampf.

 

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