- Miriam Gruß: „Die FDP muss demütig sein“
Die familienpolitische Sprecherin Miriam Gruß galt bislang neben dem männlichen Triumvirat Philipp Rösler, Daniel Bahr und Christian Lindner als weibliche junge Hoffnung der FDP. Im Interview spricht sie über Demut und mitfühlenden Liberalismus.
Frau Gruß, lassen Sie uns zuerst über den Umgang in der
Koalition nach der personellen Neuaufstellung der FDP reden.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist mit dem neuen
Vizekanzler und FDP-Parteichef Philipp Rösler kürzlich Essen
gegangen. Anschließend hat er als gemeinsames Ergebnis verkündet:
Konsolidierung des Haushalts habe Vorrang vor Steuersenkungen. Darf
sich die FDP einen solchen Umgang gefallen lassen?
Das war kein guter Stil, und das hat Rösler auch öffentlich
deutlich gemacht. Vertrauliche Gespräche sollte auch Herr Schäuble
vertraulich behandeln, gemeinsame Ergebnisse sollte man auch
gemeinsam verkünden und nicht einseitig interpretieren, ohne den
Partner zu fragen. Klar ist für uns, Haushaltskonsolidierung ist
dringend notwendig. Man sieht ja, was in anderen Ländern passiert,
deren Haushalte nicht in Ordnung sind. Deutschland ist als größtes
EU-Land selbstverständlich in der Pflicht. Trotzdem wollen wir
möglichst bald Steuererleichterungen durchsetzen. Die Konjunktur
gibt das her. Wir werden das zweite Mal in Folge ein
Wirtschaftswachstum von über drei Prozent haben.
Wolfgang Schäuble hat Rösler als „liebenswürdig“
bezeichnet. Das ist in der Politik eine höfliche Bezeichnung für
harmlos. Kann der FDP-Chef mit Schäuble, Merkel und Seehofer auf
Augenhöhe verhandeln?
Ich finde die Äußerung des Bundesfinanzministers sehr fragwürdig.
Ich kann Herrn Schäuble und der Union insgesamt nur raten, Herrn
Rösler nicht zu unterschätzen.
Nach seiner Wahl zum FDP-Parteivorsitzenden hat Philipp
Rösler versprochen: Ab jetzt wird geliefert. Was eigentlich
genau?
Wir müssen unsere Eigenständigkeit innerhalb der Koalition
deutlicher machen. Bislang hat uns die Union zu wenig Luft
gelassen.
Waren Sie nicht eher zu eigenständig? Die FDP wird
innerhalb der Koalition nicht gerade als Partei wahrgenommen, die
mit der Union im Ehebett liegt und Küsschen gibt....
Die Erfolge, die wir errungen haben, konnten CDU und CSU in der
öffentlichen Wahrnehmung für sich verbuchen. Dazu gehört
beispielsweise das Thema Aussetzung der Wehrpflicht. Als wir
verkündeten, wir wollten die Wehrpflicht abschaffen, war Herr zu
Guttenberg noch mit einem Buch unterwegs, mit dem er ständig
untermauerte, warum die Wehrpflicht ganz wichtig sei. Dann kam ja
bekanntlich alles anders und die Wehrpflicht wurde tatsächlich
abgeschafft. Den Erfolg konnte zu Guttenberg am Ende allein auf
sein Konto buchen. Wir kamen gar nicht mehr vor.
Frau Gruß, Sie galten neben dem männlichen Triumvirat
Philipp Rösler, Daniel Bahr und Christian Lindner bisher als junge,
weibliche Hoffnung innerhalb der FDP-Fraktion. Vor zwei Wochen
haben Sie Ihren Sitz als stellvertretende Fraktionschefin verloren.
Was war passiert?
Es war völlig überraschend für mich, dass Martin Lindner gegen mich
antrat. Unterschiedlicher können Kandidaten gar nicht sein. Ich bin
eine Frau, er ist ein Mann. Ich bin Sozialpolitikerin, er ist
Wirtschaftsliberaler. Außerdem hatte ich mich kritisch zur Arbeit
des Fraktionsvorstandes geäußert und auch den Unmut vieler
bayerischer Kreisvorsitzender zur Arbeit der Fraktionsvorsitzenden
Birgit Homburger vorgetragen.
Haben sie seitdem mit Birgit Homburger
gesprochen?
Ein Gespräch hat sich nicht ergeben.
Der Nachfolger von Birgit Homburger, die ihren
Fraktionsvorsitz aufgeben musste, heißt Rainer Brüderle. Steht er
für einen neuen Aufbruch der FDP? Ist seine Außendarstellung
besser?
Ich gehöre sicherlich nicht zu den Vertrauten von Rainer Brüderle
und in manchen politischen Fragen sind wir unterschiedlicher
Meinung. Aber wir sind eine Partei, in der sich die ganze
Gesellschaft und verschiedene politische Strömungen widerspiegeln,
in der sich auch andere Generationen wiederfinden müssen. Unser
Fraktionschef kann als versierter Politiker viel Gewicht in die
Waagschale werfen. Er ist zäh im Verhandeln und ein erfahrender
Haudegen, dem manch anderer nicht so einfach das Wasser reichen
kann.
Insgesamt hat der wirtschaftsliberale Flügel bei dieser
Rochade einen ordentlichen Machtzuwachs erhalten hat. Rainer
Brüderle, Martin Lindner und Volker Wissing, neuer
Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz und stellvertretender
Fraktionsvorsitzende, gehören dem einflussreichen Schaumburger
Kreis an, einem Zusammenschluss von Wirtschaftsleuten in der FDP.
Wird der mitfühlende Liberalismus, wie ihn Generalsekretär
Christian Lindner propagiert, in der FDP da nicht zur
unerreichbaren Utopie?
Partei und die Fraktion tun gut daran, die Themen des mitfühlenden
Liberalismus nicht außen vor zu lassen. Das hat uns im Jahr 2009
und 2010 stark gemacht. Wir waren breit aufgestellt. Ich betrachte
die neue Entwicklung und die Machtverschiebung sehr sorgfältig. Es
kann jedenfalls nicht heißen, dass wir wieder zu einer FDP werden,
die nur auf Wirtschaftsfragen und Steuersenkung verengt ist.
Mitfühlender Liberalismus ist viel mehr: Freiheit beispielsweise
ist kein Wert, der die Menschen trennt, sondern der sie verbindet.
Selbstverantwortung heißt auch nicht, von der Gesellschaft allein
gelassen zu werden, sondern bietet die Chance auf
Selbstverwirklichung. Vielfalt bedeutet gesellschaftliche
Anerkennung statt Ausgrenzung. Diese Ansätze und dieses
Lebensgefühl werden wir in Zukunft stärker vermitteln.
Früher war die FDP innerhalb des bürgerlichen Lagers die Partei, die gesellschaftspolitisch modern dachte. Das hat sich verändert. Beim Thema Datenschutz verkämpft sich Justizministerin Sabine Leutheusser –Schnarrenberger mit der CSU. Wie vor zwanzig Jahren sieht sie im Staat den Hauptfeind, der persönliche Daten speichert. Die Gefahren, die durch das Internet ständig lauern, nimmt sie nicht ernst. Das geht der Union, lapidar formuliert, mächtig auf den Wecker...
Selbstverständlich muss man Internetanbietern wie Facebook, Google oder Apple sagen: bis hierher und nicht weiter. Auf der anderen Seite liegt es aber auch in der Verantwortung eines Einzelnen, wie viel Daten er überhaupt Preis geben möchte. Dann kann man sich später nicht beschweren, wenn Daten auch genutzt werden. Man muss als Bürger schon eigenverantwortlich handeln und seine persönlichen Daten schützen.
Nächstes Beispiel: Die CSU vollzieht eine komplette
Wende in der Atompolitik und beschließt den Ausstieg für 2022 und
stellt sich innerhalb der Koalition an die Spitze der Bewegung. Die
FDP hingegen agiert zaghaft.
Man erlebt immer wieder, dass die CSU sich dreht und populistisch
auftritt. Bei der Pendlerpauschale und beim Nichtraucherschutz war
das ebenso. Die CSU steht nicht mehr für langfristige
Verlässlichkeit.
Ich finde, wir sind nicht unmodern, sondern realistisch.
Deutschland wird als Folge des Ausstiegsszenarios Debatten zu
höheren Energiepreisen, Versorgungssicherheit und Abwanderung von
Arbeitsplätzen bekommen. Im Vergleich zu anderen europäischen
Ländern sind wir in Deutschland mit dem Thema ohnehin sehr
aufgeschreckt umgegangen.
Aber auch in der Familienpolitik, in ihrem Fachgebiet,
verfolgen Sie keine klare Agenda. Sie sind gegen die Frauenquote,
obwohl in der Fraktion und Parteispitze Frauen unterrepräsentiert
sind. Zudem bleiben Ihnen die Wählerinnen weg. Jetzt drehen Sie mit
der Absage an das Elterngeld der Mittelschicht den Rücken zu. Vor
kurzem haben sie noch für die Ausweitung der Vätermonate beim
Elterngeld gestritten. Wieso der Stimmungsumschwung?
Mit dem Elterngeld sollte unter anderem erreicht werden, dass sich
gut ausgebildete Frauen nicht nur für Karriere, sondern auch für
Kinderentscheiden. Dieser Effekt ist nicht eingetreten. Positiv ist
jedoch die Tatsache, dass Männer das Elterngeld in Anspruch nehmen
und sich dadurch Rollenbilder langsam verändern. Vier Milliarden
Euro Elterngeld sind aber dennoch eine Menge Geld. Wir wollen das
Elterngeld nicht ersatzlos streichen, aber wir wollen Änderungen
diskutieren. Muss der Höchstsatz wirklich bei 1800 Euro monatlich
liegen oder reichen nicht auch 1500 Euro? Ich fände es wichtig,
gerade die Menschen, die knapp über der Bedürfnisschwelle liegen,
im Fokus zu haben. Insgesamt müssen die Leistungen im
Familienbereich auf den Prüfstand und man muss schauen, wie man das
Geld gerechter und sinnvoller verteilt. Es geht um 187 Milliarden
Euro insgesamt. Wichtig ist mir, dass die Familien selbst die
Freiheit haben zu entscheiden, wie sie Betreuung ihrer Kinder und
berufliches Fortkommen regeln wollen. Sie sehen also, dass ich sehr
wohl eine klare Agenda verfolge.
Wenn Sie so sozial argumentieren, warum halten Sie dann
am Ehegattensplitting fest, das Ehepaare ohne Kinder gegenüber
Paaren mit Kindern steuerlich stark bevorzugt?
Alle familienpolitischen Leistungen werden derzeit evaluiert. Das
ist gut so, geht mir aber noch nicht schnell genug. Dazu gehört
auch das Ehegattensplitting. In der Tat ist es angesichts der
Veränderung in den Familien schwer einzusehen, dass Ehepaare ohne
Kinder jährlich von Steuererleichterungen in Höhe von 20 Milliarden
Euro profitieren, ohne ein Kind groß zu ziehen. Auch wenn es
weiterhin den besondere Schutz der Ehe geben soll, darf sich allein
der Trauschein nicht so auswirken, dass Menschen die Kinder
erziehen und nicht verheiratet sind benachteiligt werden. Wo liegt
da die Logik? Nicht das Ehepaar ohne Kind sondern das Paar mit Kind
vollbringt eine gesamtgesellschaftliche Leistung. Die Geburtenrate
in Deutschland ist auf 1,3 Prozent gesunken. Wenn wir
Familienpolitik, Förderung von Kindern und Verteilung der Mittel
ernst nehmen, müssen wir anerkennen, das es immer mehr
unverheiratete Eltern gibt. Die dürfen wir nicht länger
bestrafen.
Ein Wort zum Schluss. Alles, was die FDP in den letzten
Wochen gemacht haben, gleicht lediglich einem halbherzigen
Neustart. Wie soll die Partei überleben?
Wir müssen demütig sein. Wie müssen hart arbeiten. Wir müssen
Themen umsetzen. Wir müssen Glaubwürdigkeit und Vertauen wieder
gewinnen. All das geht nur Schritt für Schritt. Ich finde, dass
Philipp Rösler der richtige Parteivorsitzende ist. Er hat einen
anderen Ton als Guido Westerwelle. Aber leiser zu sprechen bedeutet
ja nicht, sich nicht durchsetzen zu können. Der, der am lautesten
schreit, hat am Ende womöglich keine Stimme mehr im Konzert.
Das Interview führte Annette Rollmann
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