Landtagswahl am 8. Oktober - In Hessen geht wohl nichts gegen die CDU

Wenige Tage vor der Landtagswahl spricht alles dafür, dass sich die hessische CDU aussuchen kann, ob sie Schwarz-Grün fortsetzen oder auf Schwarz-Rot setzen will. Eine Ampel nach Berliner Vorbild ist höchst unwahrscheinlich. Und überhaupt keine Chance hat Nancy Faeser.

Die Drei, aber nicht von der Zankstelle: Die hessischen Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir (Grüne), Nancy Faeser (SPD) und Boris Rhein (CDU) würden theoretisch alle miteinander können / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

So erreichen Sie Hugo Müller-Vogg:

Anzeige

Hessen ist langweilig geworden, jedenfalls politisch. Einst stand das Wort „hessische Verhältnisse“ für überaus hart geführte politische Auseinandersetzungen zwischen der jahrzehntelang regierenden SPD und der oppositionellen CDU. „Hessische Verhältnisse“ beinhalteten den Schulkampf der SPD gegen das Gymnasium, die bundesweit erste rot-grüne Landesregierung mit einer gegen die chemische Industrie, die Atomkraft und den Flughafenausbau gerichteten Politik. Unter „hessischen Verhältnissen“ galt der Landtag in Wiesbaden als das „härteste Parlament“ in Deutschland. 

In Hessen war die CDU mit Alfred Dregger, Walter Wallmann und Roland Koch konservativer als im Bund, die SPD linker als die Bundespartei. Die Grünen hingegen wurden von ihrem einstigen Star Joschka Fischer früher als andere Landesverbände auf Realo-Kurs getrimmt. 2008 schien sogar für kurze Zeit die erste rot-grün-rote Regierung in einem der alten Bundesländer für möglich. 

Tempi passati. Seit 2013 wird das Land von Schwarz-Grün regiert. Volker Bouffier, der als Innenminister unter Koch den Ruf als „schwarzer Sheriff“ pflegte, schlug mit Tarek Al-Wazir ein neues Kapitel der Landespolitik auf. Im Mai letzten Jahres machte Bouffier den Weg frei für Boris Rhein, einst Wissenschaftsminister und später Landtagspräsident. Rhein war nicht Bouffiers Wunschkandidat. Doch in der Tradition der sich in Hessen als „Kampfverband“ verstehenden CDU machte Bouffier rechtzeitig den Weg frei, damit der Nachfolger mit einem Amtsbonus in die Wahl gehen konnte. 

In der Wirtschaftspolitik fehlen Leuchtturmprojekte

Das einstige „rote Hessen“ wird nunmehr seit fast einem Vierteljahrhundert von der CDU regiert. Es ist dem Land insgesamt nicht schlecht bekommen. Beim Bruttoinlandsprodukt je Einwohner liegt Hessen hinter Bayern und Baden-Württemberg auf Platz drei unter den Flächenländern, bei der Pro-Kopf-Verschuldung stehen von den westdeutschen Ländern ebenfalls nur die Bayern und die Baden-Württemberger besser da. Beim wichtigsten Indikator für die Finanzkraft eines Landes, beim Länderfinanzausgleich, liegt Hessen weit vorn – auch hier nur übertroffen von den beiden südlichen Nachbarn.  

CDU und Grüne rühmen sich im Wahlkampf, wie könnte es anders sein, ihrer Erfolge: Eine hohe Aufklärungsquote bei Straftaten, die höchste Zahl von Beschäftigten aller Zeiten, so viele Lehrer wie noch nie, viel Geld für den Klimaschutz und das hessische Schüler- und Seniorenticket als Vorreiter für das 49-Euro-Deutschlandticket. Natürlich sehen das nicht alle so: Elternverbände klagen über Stundenausfall, die Polizei über ihre chronische Unterbesetzung, die Wirtschaft über das zu geringe Tempo bei der Digitalisierung. Dass den Oppositionsparteien SPD und FDP alles nicht schnell genug geht und nicht alles gut genug ist, versteht sich von selbst.  

Zwei Schwachpunkte sind allerdings unübersehbar – in der Wirtschaft und bei der Bildung. In der Wirtschaftspolitik fehlen Leuchtturmprojekte. Zudem blieb das Land in den vergangenen Jahren beim Wachstum knapp unter dem Bundesdurchschnitt. Das hängt auch damit zusammen, dass der Einbruch während der Pandemie stärker ausfiel als in anderen Ländern. Da zeigte sich die große Abhängigkeit des Standorts vom Frankfurter Flughafen Fraport.  

Verbesserungsfähig ist auch die Bildungspolitik. Im „Bildungsmonitor“ des Instituts der deutschen Wirtschaft belegt das Land nur Platz sieben unten den 16 Bundesländern. Die Schwachpunkte laut der Studie: Unterdurchschnittliche Schulqualität, wenig Fremdsprachenunterricht an Grundschulen, wenige Forscher. 

Grüne, SPD und FDP bringen es zusammen gerade mal auf 40 Prozent

Für die schwarz-grüne Regierung spricht, dass sie das Land gut durch schwierige Zeiten geführt hat – während der Pandemie und auch angesichts steigender Energiepreise. Vor allem hat sie, im Gegensatz zur Ampel in Berlin, geräuschlos zusammengearbeitet. CDU und Grüne waren sich von Anfang an bewusst, dass dieses Bündnis beiden Seiten Kompromisse abverlangt. Dementsprechend haben beide Seiten manche Kröte geschluckt: Die Grünen beim dritten Terminal am Flughafen oder beim von den Umweltverbänden bekämpften Ausbau der Autobahn 49, die CDU bei manchem schulpolitischen Experiment oder der Aufnahme von Flüchtlingen.   

Die neuen hessischen Verhältnisse haben mit den alten nichts zu tun. Volker Bouffier hatte alles vermieden, was nach Polarisierung aussah, war in die Rolle des Landesvaters geschlüpft. Boris Rhein wiederum, der als Landtagspräsident an Statur gewonnen hatte, regiert eher präsidial. So meidet er konsequent Talkshows, in denen er zwangsläufig die Berliner Ampel einschließlich der Grünen attackieren und Positionen der Bundes-CDU übernehmen müsste. Anders als sein Parteivorsitzender Friedrich Merz sieht er in den Grünen eben nicht den „Hauptgegner in der Bundesregierung“, sondern einen respektablen Koalitionspartner.  

 

Mehr von Hugo Müller-Vogg:

 

Für Schwarz-Grün zahlt sich ebenfalls aus, dass Tarek Al-Wazir als stellvertretender Ministerpräsident darauf verzichtet, auf die Bundespolitik der Grünen Einfluss zu nehmen. Als Wirtschafts- und Verkehrsminister agiert er eher pragmatisch. Zu der Art und Weise, wie sein Parteifreund Robert Habeck mit dem Heizungsgesetz große Teile der Bevölkerung gegen sich aufgebracht hat, ging er auf Distanz. Allerdings müssen er und seine Partei sich dafür kritisieren lassen, dass trotz Regierungsbeteiligung der Grünen Hessen beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht gerade Vorreiter ist. 

Wenige Tage vor der Wahl spricht alles dafür, dass gegen die CDU keine Regierung gebildet werden kann. Al-Wazir präsentiert sich auf Plakaten als potentieller Ministerpräsident. Seine Hoffnung, eine Ampel nach Berliner Vorbild anführen zu können, sind freilich geplatzt. Die schlechten Umfragewerte der Berliner Regierungsparteien trüben die Aussichten ihrer hessischen Parteifreunde. Grüne, SPD und FDP bringen es zusammen gerade mal auf 40 Prozent. Dabei ist gar nicht sicher, ob die Liberalen den Sprung über die 5-Prozent-Hürde schaffen. 

Faeser Wahlkampf ist geprägt von Pleiten und Pannen

Keine Chance, in die Staatskanzlei einzuziehen, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die langjährige hessische Oppositionsführerin von der SPD. Als der Wahlkampf in der Mitte des Jahres allmählich auf Touren kam, lag die SPD bei 22 Prozent. Inzwischen ist sie auf 16 bis 17 Prozent abgestürzt. Das liegt nicht zuletzt an der Spitzenkandidatin, die die Wähler von Anfang an wissen ließ, an Hessen interessiere sie allein die Staatskanzlei; anderenfalls bleibe sie lieber in Berlin. 

Das allein erklärt nicht ihre schwindenden Aussichten auf ein wenigstens respektables Ergebnis. Faeser irrlichtert durch diesen Wahlkampf, wie man das von dieser erfahrenen Politikerin nicht erwartet hätte. In der Flüchtlingskrise macht sie alles andere als eine überzeugende Figur. Zudem hängt ihr die Affäre um den unter obskuren Umständen geschassten Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm, an.  

Obendrein ist Faeser Wahlkampf geprägt von Pleiten und Pannen. Ihr Vorstoß, Flüchtlingen schon nach sechs Monaten das Wahlrecht einzuräumen, entpuppte sich als angeblicher redaktioneller Fehler; im Wahlprogramm hätte „sechs Jahren“ stehen müssen. Ihre Schnapsidee, Hessen durch einen zusätzlichen arbeitsfreien Feiertag für Fachkräfte attraktiver zu machen, rief in der Wirtschaft nur Kopfschütteln hervor.  

Vollends lächerlich machte sich die SPD, als sie vor einer Frauenveranstaltung mit Faeser die Medien aufforderte, keine männlichen Berichterstatter zu entsenden. Schließlich kamen die Sozialdemokraten noch auf die Idee, ein Video ins Netz zu stellen, das der CDU unterstellt, nach der Wahl mit der AfD kooperieren zu wollen. Rhein nannte das im Streitgespräch mit Faeser „ganz widerwärtig“ und „ehrabschneidend“. Die konnte nur noch darauf hinweisen, dass sie den Spot zurückgezogen habe: „Es tut mir leid.“ 

Wenn die Meinungsforscher nicht völlig daneben liegen, sieht es so aus, als könnten Rhein und die CDU nach dem 8. Oktober auswählen, ob sie Schwarz-Grün fortsetzen oder künftig auf Schwarz-Rot setzen. Rhein hält sich beide Möglichkeiten offen. Eine CDU, die möglicherweise nach der Wahl von Grünen und Sozialdemokraten heftig umworben wird, das sind wirklich ganz neue hessische Verhältnisse. 

Anzeige