
- „Darin sitzt der Keim für einen weiteren massiven Vertrauensverlust“
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will Vorsitzender der CDU werden. Im Interview erklärt er, warum der UN-Migrationspakt in dieser Form nicht unterschrieben werden sollte, weshalb seine Partei unbedingt einen Neustart braucht und warum die Grünen nicht bürgerlich sind
Herr Spahn, warum wollen Sie Vorsitzender der CDU werden?
Weil ich mir das zutraue. Und weil ich finde, dass meine Generation einen Auftrag hat. Wir sind in einer offenen Gesellschaft aufgewachsen. Frei, gleichberechtigt, weltoffen. Diese Freiheit müssen wir verteidigen. Und die ist von linken Moralisten und rechten Radikalen im Innern, aber auch von Fundamentalisten von außen bedroht. Um dieser Aufgabe gewachsen zu sein, braucht die CDU einen echten Neustart, kein „Weiter so“ und keine Nostalgie. Ich will ernsthafte und breite Debatten über die Zukunftsthemen führen, nicht nur über die Frage, was innerhalb der nächsten drei Jahre in der Großen Koalition passieren soll. Es geht vor allem darum, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Dafür stehe ich.
Was können Sie, was Ihre Mitbewerber Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz nicht können?
Nach einer langen Zeit unter einer Vorsitzenden, der wir in der Tat viel zu verdanken haben, brauchen wir einen Generationenwechsel. Um Angela Merkel zu zitieren: Die Partei muss „wieder laufen lernen“. Ich biete einen anderen Blick auf die Probleme der Zukunft. Dabei geht es mir nicht um Jung gegen Alt, wir brauchen in der CDU alle Generationen. Aber es wäre ein Zeichen für Aufbruch und Erneuerung. Mit dem Generationenwechsel verbinde ich eine offenere und debattierfreudigere Art, Politik zu machen. All das kommt zusammen in einer längerfristigen Perspektive, die über vier Jahre hinausreicht. Ich habe eigene Themenschwerpunkte – so, wie andere Kandidaten auch ihre haben.
Wie ging es Ihnen, als Friedrich Merz mit seiner Kandidatur plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen schien?
Ich dachte: Schön, dass er nach all den Jahren wieder aktiv wird. Das war zwar unerwartet, aber der ganze Prozess tut der Partei gut. Wir alle spüren das bei Veranstaltungen in allen Teilen der Republik: Da herrscht eine Aufbruchstimmung, viele Mitglieder haben große Freude daran, Themen breit zu diskutieren und Alternativen gegeneinander abzuwägen. Sie lernen ihre CDU neu kennen und schätzen. Auch über Migration wird heute ganz anders geredet als noch vor ein paar Monaten. Über viele Aussagen, für die ich noch vor kurzem als rechtsaußen abgestempelt wurde, können wir in der Partei endlich offen diskutieren. Ich freue mich, dass Annegret Kramp-Karrenbauer heute über Doppelpass und Grenzschutz ähnlich denkt wie ich. Die Freude ist besonders groß, weil vor zwei, drei Jahren, als diese Themen eher unerwünscht waren, Gleichgesinnte noch rar waren. Strittige Debatten dann führen, wenn sie auch mal wehtun, und nicht erst, wenn sie mehrheitsfähig sind, das ist der Weg zum Erfolg. Ich hatte erst letzte Woche Gespräche mit zwei Geschäftsführern von Unternehmen, die mir sagten: ,Herr Spahn, wir kommen zurück zur CDU!‘ Einer der beiden war aus der CDU ausgetreten, der andere kommt von der AfD zurück. Diese Aufbruchstimmung müssen wir erhalten, das darf keine Momentaufnahme werden.
Warum wurde die Debatte denn nicht geführt?
Ich erinnere mich an Präsidiumssitzungen, da durfte im Kontext der Migration nicht einmal das Wort „Begrenzung“ verwendet werden, weil es zu sehr an „Grenze“ erinnerte. Wissen Sie, dieses Politikverständnis ist nicht meines. Probleme lösen sich nicht durch Wegschweigen oder Wegducken. Wir müssen die Probleme klar benennen und dann anpacken. Bestimmte Debatten wurden unmöglich gemacht. Ich selbst habe vor drei Jahren von „einer Art Staatsversagen gesprochen“ und wurde dafür massiv kritisiert. Aus heutiger Sicht muss ich davon kein Wort korrigieren. Aber diese mangelnde Fähigkeit zur vernünftigen Debatte betraf ja nicht nur das Thema Migration. Auch bei der Wehrpflicht war das so – und ich nehme mich selbst da nicht aus. Darüber hat der Parteitag damals nach 15 Minuten entschieden – nach nur einer Gegenrede! Ähnlich war es bei der Energiewende oder der Eurorettungspolitik. Daraus müssen wir für die Zukunft lernen. Für die Migrationsfrage heißt das: Wie finden wir die richtige Balance zwischen Humanität und der Wahrung der Interessen und der Kontrolle unseres Staates?