
- Entspannt Euch!
Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß will das Gendern in staatlichen Verwaltungen untersagen. Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, widerspricht ihm. Sie findet, dass sich die Veränderung der Sprache nicht verbieten lässt.
Sprache ist in Bewegung, verändert sich mit den Menschen, die sie verwenden und prägen. Wenn ich mich, unterwegs im Berliner Wahlkampf, mit jüngeren Menschen unterhalte, merke ich, dass sie meist sehr selbstverständlich mit geschlechtergerechter Sprache umgehen. Ich bin noch anders aufgewachsen, meine Texte sind leidlich gegendert, manchmal ist mir auch die Debatte über inklusive Sprache zu konfrontativ. Aber fühle ich mich dem Diskurs deshalb ausgeliefert oder von einer Gedankenpolizei kontrolliert? Nein.
Erst vor Kurzem habe ich mich auf einem Parteitag der Berliner Grünen selbst so ausgedrückt, dass sich Menschen davon diskriminiert fühlen konnten. Es ging um die Ureinwohner*innen Amerikas. Darauf wurde ich hingewiesen und habe meine Äußerung in einer ohnehin geplanten Rede zum Thema Rassismus eingeordnet: Wir können durch erlernte Sprachmuster andere verletzen – warum also nicht auf diese Worte verzichten? Damit war die Sache für mich erledigt. Denn beim sensiblen Umgang mit Sprache geht es ja gerade darum, reflektiert mit eigenen Sprachmustern und Schubladen umzugehen, die wir alle haben. Einen solch gelassenen Umgang mit diskriminierungssensibler und auch mit geschlechtergerechter Sprache wünsche ich mir. Die Aufregung, die danach medial losbrach, zeigt allerdings, dass ich offenbar auf ein Kampffeld geraten war, auf dem ganz andere Dinge verhandelt werden als der Umgang mit Sprache. Woher kommt soviel Aufregung?
Lustige Stilblüten
Gendergerechte Sprache mag ungewohnt sein. Aber das waren viele Anglizismen auch, die wir heute sehr selbstverständlich benutzen. Zweifellos treibt der Versuch, gendergerecht zu sprechen, manchmal lustige Blüten, Stilblüten. Darüber kann man lachen – am besten gemeinsam. Aber wer stattdessen von Sprachterror spricht oder von Gedankenpolizei und suggeriert, die gendersensible Sprache sei ein Angriff auf die bürgerlichen Freiheiten, den treiben offenbar andere Ängste um als die Sorge um die Schönheit der deutschen Sprache. Oder schlimmer: Der befeuert die Ängste derjenigen, die glauben, durch eine Sprache, die die Bedürfnisse von Minderheiten berücksichtigt, würde ihnen etwas weggenommen.
Christoph Ploß spricht davon, dass wir mehr Empathie in unserer Gesellschaft brauchen und die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Ja, genau. Und dann ist doch der kleinste gemeinsame Nenner, dass ich mich bemühe, so zu sprechen, dass ich niemanden beleidige, herabsetze oder ausgrenze. Und dazu gehört, im Sinne von Empathie und gegenseitigem Wohlwollen, dass ich mich um ein Sternchen bemühe, weil es für eine Trans*Person jeden Tag ein Problem ist, sich in den bestehenden Ausdrucksformen ausreichend wiederzufinden. Oder dass ich verstehe, dass junge Ingenieurinnen sich in der Gruppe mit männlichen Kollegen als Ingenieur*innen verstehen und nicht als eine Gruppe von Ingenieuren. Es geht um Sichtbarkeit und um angemessene Repräsentanz, die sich halt auch durch bewusste und reflektierte Sprache ausdrückt.
Das Ganze mal umdrehen
Und es geht darum anzuerkennen, dass die Gesellschaft sich verändert hat und die Sprache mit ihr. Denn natürlich drückt sich in einer veränderten Sprache auch eine veränderte Realität aus. Er Arzt, sie Krankenschwester – das ist einfach nicht mehr 2021. Oder, um den saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans zu zitieren: „Wenn Sie vor einer Gruppe von Studierenden der medizinischen Fakultäten, die teilweise zu 90 Prozent aus jungen Frauen bestehen, nur in der männlichen Form sprechen, dann geht Ihnen plötzlich ein Licht auf.“
Ich lade hier Herrn Ploß und alle anderen Gegner des Genderns zu einem einfachen Test ein: Sie berufen sich darauf, dass das männliche Generum neutral sei und Frauen in der männlichen Form mitgemeint seien. Dann drehen wir das Ganze mal um: Wenn der saarländische Ministerpräsident das nächste Mal vor einer Gruppe von Studierenden spricht, dann sollte er sie vielleicht einfach mal alle als „Studentinnen“ ansprechen. Die zehn Prozent der männlichen Studierenden sind selbstverständlich mitgemeint! Und wer sich über diesen Vorschlag empört, der sollte sich zumindest eingestehen, dass Sprache eben doch nichts Neutrales ist, sondern Bewusstsein prägt und Bewusstsein deshalb auch verändern kann.
Machtfrage steckt hinter der Aufregung
Sprache ist aber natürlich nicht alles. Bei Dax-Vorständen, katholischen Klerikern und der Zusammensetzung der Parlamente in diesem Land hilft das Gendern nichts. Hier braucht es eine andere Verteilung der Macht. Und vielleicht ist es ja doch diese konkrete Machtfrage, die hinter der Aufregung steckt. Die geschlechtergerechte Sprache spiegelt, dass unsere Gesellschaft sich verändert hat, und das macht denjenigen Angst, die vorher ungefragt Privilegien genossen haben, die plötzlich in Frage gestellt sind.
Bei Herrn Ploß schrillen „sämtliche Alarmglocken“, wenn Lehrkräfte den Kindern in Schulen nahelegen zu gendern. Ich kann ihn an einer Stelle beruhigen: Novellen aus der Frühromantik oder Gedichte aus dem Barock werden auch in Zukunft nicht gegendert. Sie sind Ausdruck ihrer Zeit, und gerade das Sperrige an ihnen kann unser Interesse wecken. Aber Schule soll Kinder und Jugendliche auch zum Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt befähigen. Wenn Lehrer*innen das tun, indem sie geschlechtergerechte Sprache vermitteln, tun sie nur ihren Job. Alarmglocken schrillen bei mir allerdings, wenn Sprache verboten werden soll. Herr Ploß will der Verwaltung verbieten zu gendern. Damit ist der Hamburger CDU-Chef übrigens der Einzige in der Debatte, der etwas verbieten möchte. Ein Veränderungsverbot für die Verwaltung quasi. Veränderung lässt sich aber nicht verbieten.
Rat zur Gelassenheit
Mein Fazit ist: Wer die Spaltung der Gesellschaft an der geschlechtergerechten Sprache festmachen will, betreibt selbst Spaltung. Wir haben es mit gesellschaftlicher Veränderung zu tun, die immer auch Verunsicherung mit sich bringt. Damit müssen wir umgehen. Ich rate dabei zu Gelassenheit und mehr gegenseitigem Verständnis. Viel schöner, als ich es kann, hat das Carolin Emcke neulich formuliert, Publizistin und einer der klügsten Menschen, die ich kenne.
Auf die Frage, was sie den viel zitierten, „verunsicherten Männern“ denn raten würde, antwortete sie: „Ich würde zunächst mal sagen: Ich finde das ja auch verunsichernd. Und vielleicht muss man nur sagen: Ihr müsst nicht dauernd schon vorher wissen, was geht und was nicht geht. Woher auch? Es gibt da eben keine Gewissheit, sondern, man kann sich nur gemeinsam vortasten. Birgt das die Möglichkeit, dass einem jemand sagt: ,Das mag ich jetzt nicht‘? Ja! Die ganze Zeit. Und dann muss man sich was Neues ausdenken. Oder eben auf etwas verzichten.“