Oppositionsführer - Ist Merz der Richtige, um Scholz Paroli zu bieten? 

Bei den Beliebtheitswerten schneidet Olaf Scholz regelmäßig besser ab als Friedrich Merz. Um bei der Bundestagswahl gewinnen zu können, wird der Ruf nach einem moderaten Kandidaten mit Zeitgeistorientierung daher sogar aus der CDU laut. Doch dieser taktische Gedanke ist grob falsch.

Friedrich Merz gelingt das Austarieren zwischen den Polen seiner Partei derzeit äußerst gut / picture alliance
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Markus Karp ist an der Technischen Hochschule Wildau Professor für Public Management und Staatssekretär a.D.

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Laut „ZDF-Politbarometer“ steht die Union bei der Sonntagsfrage mit 29% deutlich besser da als die SPD, welche nur 21% erzielt. Bei den Beliebtheitswerten von Kanzler und Oppositionsführer ist es umgekehrt: Hier schneidet Olaf Scholz sehr viel besser ab als Friedrich Merz.  

Zugleich rumpelt und rumort es fortwährend in der Regierungskoalition. Teile der SPD-Fraktion leiden an der Zeitenwende. Der FDP wurde durch serielle Landtagswahlniederlagen schmerzlich ins Bewusstsein gerufen, was ihre Wählerschaft von ihr erwartet. Die Grünen grämen sich, weil der FDP ihr Programm wieder eingefallen ist, welches sie nun mit Verve umzusetzen versucht. Enttäuschung und Frust werden freimütig artikuliert. Insbesondere Vizekanzler Robert Habeck und seine Grünen präsentieren ihre Verletztheit öffentlich. Zudem sieht sich die Ampel der wahren Herkulesaufgabe gegenüber, der multiplen Krisen Herr zu werden.

Manche davon, wie der russische Angriffskrieg, kommen von außen über die Bundesrepublik. Andere sind hausgemacht und oftmals Folge des langjährigen Reformstaus und der aufgezehrten Substanz als Hinterlassenschaften der Regierungszeit Angela Merkels. Aber je mehr die ewige Kanzlerin ins Historische hinübergleitet, desto schlechter lässt sich nach fast zwei Jahren Ampelregierung begründen, weshalb ihre Ära noch immer für alle Probleme verantwortlich sein soll.

Kandidat mit Zeitgeistorientierung wäre falsch

Es könnte sich also der Gedanke aufdrängen, die nächste Bundestagswahl würde für die Union „a g’mahte Wies’n“ sein, wie das bayerische Sprichwort sichere Erfolge umschreibt, die mit wenig Aufwand eingefahren werden können. Der eine oder andere christdemokratische Funktionär mag sich durchaus ausrechnen, dass mit einer weniger kantigen Figur als dem jetzigen Parteivorsitzenden die ganze Sache sogar noch ein wenig leichter werden würde. Gerade jetzt, wo die Grünen so unverhohlen öffentlich leiden und lamentieren, könnte die Union mit einem in diesem Milieu anschlussfähigeren Spitzenkandidaten an die Zeit Angela Merkels anknüpfen und Scholz quasi zur Anomalie im Kanzleramt reduzieren, so das Kalkül. Das hat aber einen Haken: Es ist falsch. 

Dies hat verschiedene Gründe. So kann die Tatsache, dass die Union besser dasteht als die SPD, aber Scholz beliebter ist als Merz, als gegenwärtige Variante des Normalzustands betrachtet werden. Die SPD hat eben eine lange und demokratisch große Tradition von Staatschefs, die in der Partei nicht gerade für Euphorie, sondern bisweilen sogar für heftigen Widerstand sorgen. Zugleich handeln sie aber nach dem Credo „Zuerst die Staatsräson, dann die Partei“ und genießen gerade deshalb in der Bevölkerung Anerkennung und Popularität – weit über die Sphäre der Sozialdemokratie hinaus.

 

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Die Union ist eine Sammlungspartei, die das historische Versagen von Konservativen und Liberalen durch ein breites demokratisches und überkonfessionelles Bündnis überwinden konnte. Als originäre Volkspartei sind die C-Parteien damit strukturell meist stärkste Kraft. Ihre Kanzler waren aber in ihrer aktiven Zeit in der Regel weniger populär als ihre Partei. Dennoch können sie sich darauf verlassen, dass ihnen ihre Partei das Leben nicht schwer macht, solange die Regierungsmacht sicher ist. Das ist das klassische Muster.

Anders war es für die Union nur unter Angela Merkel, die noch weit anschlussfähiger und beliebter als ihre Partei war und sogar dort Ansehen genoss, wo die Schwarzen keinen Fuß auf den Boden bekommen. Für die CDU/CSU hat sich das aber nicht ausgezahlt. Je größer die Kanzlerin wurde, desto mehr verkümmerten die Parteien in ihrem Schatten. Die Erfolge Angela Merkels waren nicht zwangsläufig die der Union. 

Die Strategie, einen maximal moderaten Kandidaten mit strenger Zeitgeistorientierung gegen Olaf Scholz aufzubieten, gab es außerdem ja schon. Das ist die Versuchsanordnung des Bundestagswahlkampfs 2021, den Armin Laschet nominell knapp, für Unionsverhältnisse aber krachend verloren hat. Ein neuer Armin Laschet müsste sich obendrein noch gegen einen sehr viel stärkeren Olaf Scholz durchsetzen. Einen mit Amtsbonus, der bewiesen hat, dass er nicht schweigt, um die Windrichtung zu prüfen. Sondern der seinem Motto „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“ am liebsten dann gerecht wird, wenn keiner (mehr) damit rechnet.

Olaf Scholz: das Bild des Anführers

So gelingt es dem Kanzler, ein Bild von sich zu prägen, welches ihn weder als Opportunist noch als Getriebenen, sondern als Anführer erscheinen lässt, der im Hühnerhaufen letztlich ein Machtwort spricht, wenn es ihm zu bunt wird. Ob Zeitenwende, AKW-Laufzeit, Verteidigungsministerpostenbesetzung, Waffenlieferungen oder grüner Verbrenner: Der Kanzler hat prägende Entscheidungen stets so gefällt, dass jene, die ihn drängen wollten, vorher abgeperlt sind und die Kritiker hinterher. Gegen dieses hart erarbeitete Macherimage von Scholz ist mit reiner politischer Konzilianz und inhaltlicher Beliebigkeit kein Ankommen.  

Womit sich die Frage stellt, ob Friedrich Merz trotz mäßiger demoskopischer Popularität doch die richtige christdemokratische Führungsfigur für die kommenden Jahre sein könnte. Der Sauerländer schafft es gegenwärtig sehr gut, die gespaltene CDU zusammenzuhalten. Denn es gelingt ihm, einen Ausgleich zwischen Basis und Konservativen auf der einen Seite und dem grünenaffinen Funktionärsmittelbau der Partei sowie dem politischen Mainstream der Bundesrepublik auf der anderen Seite zu finden. Dass er sich von der einen wie der anderen Seite öfters scharfer Kritik und enttäuschter Vorwürfe ausgesetzt sieht, spricht dafür, dass er sich von keiner Seite vereinnahmen lässt oder sich ihr anbiedert. Ähnlich wie Olaf Scholz kann er sich so als unabhängiger Geist und Führungsfigur präsentieren, geleitet von Sachlogik anstatt von Twitter und volatilen Umfrageergebnissen.

Eine Frischzellenkur für die konsensträge Mitte

Deshalb gilt auch: Wer seine Programmatik von vornherein nur auf Koalitionsfähigkeit ausrichtet, hat den Nimbus der authentischen Führungsfigur schon verspielt. Im Englischen gibt es die gebräuchliche Wendung „Only Nixon could go to China“. Soll heißen, dass nur der als konservativer Finsterling verschriene Nixon die Verständigung mit dem ideologischen Gegner suchen konnte, weil es ihm nicht als Verrat ausgelegt wurde. So wie es Olaf Scholz beim Schmieden einer sozialliberalen Koalition nicht geholfen hätte, in vorauseilendem Gehorsam mit Steuersenkungen Wahlkampf zu treiben, so wird es für einen Unionskandidaten nicht leichter, wenn er seine Agenda von vornherein auf Grünenkompatibilität trimmt. Dies wäre auch nicht weniger schädlich als der Abbruch aller koalitionären Brücken.  

Friedrich Merz gelingt dieses Austarieren zwischen den Polen seiner Partei derzeit ziemlich gut. Zugleich lassen seine Positionierungen Überzeugungen erkennen und sind nicht nur auf einfachen, aber kurzlebigen Applaus ausgerichtet. Ähnliches lässt sich vom Kanzlerstil sagen. Ein Duell der beiden dürfte deshalb nicht nur eine Frischzellenkur für ihre Parteien, sondern auch für die konsensträge Mitte der Berliner Republik sein.  

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