FDP nach der Berliner Wahlniederlage - „Rot-grünem Quatsch klare Grenzen setzen“

Die FDP hat in Berlin ihre fünfte Niederlage in Folge bei einer Landtagswahl kassiert. Der liberale Bundestagsabgeordnete Max Mordhorst zieht daraus die Konsequenz, dass seine Partei ihren Partnern in der Ampel-Koalition mehr Kontra geben muss. Auch beim für April angekündigten Atomausstieg sei das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Max Mordhorst, 26 Jahre, ist der jüngste FDP-Abgeordnete im Bundestag / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Max Mordhorst, geboren am 10. April 1996 in Neumünster, ist Mitglied des Landesvorstandes der FDP Schleswig-Holstein. 2021 zog er als jüngster Abgeordneter der Liberalen in den Bundestag.

Herr Mordhorst, die fünfte Niederlage in Folge bei einer Landtagswahl – was bedeutet das für die FDP auf Bundesebene?

Ich bin persönlich immer noch emotional betroffen. Die Wahl zeigt, dass die FDP in der Ampelkoalition, die offensichtlich bei den Wählern nicht hoch im Kurs steht, anders agieren muss, anders kommunizieren muss.

Inwiefern?

Wir müssen mehr „FDP pur“ vermitteln und die Leute daran erinnern: Wir sind der kleinste Partner in dieser Koalition. Aber wenn ihr mehr davon wollt, dann geben wir euch Gründe, uns zu wählen. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir die Widersprüchlichkeiten, die wir in den letzten Monaten ertragen haben, nicht länger durchgehen lassen dürfen.

Sie haben diesbezüglich in der Bild von „rot-grünem Quatsch“ gesprochen, den die FDP mitgetragen habe. Was gehört denn zu diesem „Quatsch“?

Wir reden von Klimaschutz und lassen dreckige Kohlekraftwerke weiterlaufen, denken aber nicht an die Kernkraft. Übrigens unter Verantwortung des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck. Wir hören immer wieder, wie toll irgendwelche Symbolmaßnahmen sein sollen – das Tempolimit zum Beispiel –, schaffen es aber nicht, konkrete Verbesserungen bei der aktuellen Technologie zu erreichen, damit CO2 gespeichert wird. Und dann erleben wir auch noch persönliche Angriffe von Koalitionspartnern auf FDP-Minister, weil wir eine unideologische und mehrheitsfähige Politik machen.

Welche Angriffe meinen Sie?

Auf Marco Buschmann und Volker Wissing. Gegen Marco Buschmann gab es Angriffe wegen des Mietrechts, das übrigens im Berliner Wahlkampf ein großes Thema war. Also ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Der Angriff kam aus der SPD. Das geht unter Koalitionspartnern nicht, vor allem, wenn man selbst dafür verantwortlich ist, dass beispielsweise in Berlin nicht genügend Wohnungen gebaut werden und deswegen die Mieten immer weiter steigen.

Sie haben das Thema Weiterbetrieb der Kernkraftwerke angesprochen, mit dem die FDP sich in den vergangenen Monaten profiliert hat. Nun hat Bundeskanzler Olaf Scholz die klare Ansage gemacht, dass im April alle verbleibenden Kraftwerke „endgültig“ abgeschaltet werden. Hat Ihre Partei diesen Kampf verloren?

Aus meiner Sicht ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Denn sowohl der Kanzler als auch Robert Habeck wissen, dass wir unsere CO2-Bilanz kaputt machen, indem wir dreckige Kohlekraftwerke weiterlaufen lassen, aber bei der sicheren Kernkraft aus ideologischen Gründen blockieren. Das ist aus meiner Sicht so ein rot-grüner Quatsch, bei dem die FDP klare Grenzen setzen muss.

Olaf Scholz hat in seiner Ankündigung keinen Interpretationsraum gelassen. Warum sollte er in den kommenden zwei Monaten plötzlich doch eine Verlängerung in Aussicht stellen?

Ich habe keine Glaskugel. Ich kann nur sagen, dass es die klare Überzeugung der FDP ist, dass die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert werden müssen. Das muss für uns eines der ganz großen Themen sein, weil viele Menschen das von uns erwarten – insbesondere jene mit kleinen Einkommen, die unter den Energiepreisen leiden.

Momentan hat das Thema Straßenbau die Atomkraftfrage ein bisschen abgelöst. Wie ist da Ihre Sicht auf den Stand der Dinge?

Ähnlich wie bei der Atomkraftfrage. Wir reden über Engpassbeseitigung und darüber, dass Menschen im Stau stehen – was wie die Kohlekraftwerke immer mehr CO2 kostet. Die Grünen blockieren den Ausbau aber, weil sie glauben, dass alle Menschen in naher Zukunft auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen können. Ich bin selbst in einem Dorf aufgewachsen mit 700 Einwohnern – das ist völlig unrealistisch. Vor diesem Hintergrund die mehrheitsfähige Position der Bevölkerung durchzusetzen, dass auch Straßen schneller gebaut werden, ist vollkommen notwendig. Planungsbeschleunigung bedeutet für uns Stromleitungen und Schiene, aber genauso die Straße.

Die Grünen stehen wie Sie zu Ihrem Pro-Ausbau fest zu ihrem Kontra.

Klar, das macht es schwierig. Aber ich glaube schon, dass die Bevölkerung von uns erwartet, diese Position der Mitte in der Regierung zu vertreten und nicht in zwei, drei Wochen mit einem faulen Kompromiss um die Ecke zu kommen, nur um der Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Wenn man als kleinster Partner regiert, muss man bestimmte Punkte durchsetzen. Das hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun.
 

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Ist das Selbstbestimmungsgesetz „rot-grüner Quatsch“?

Das kommt darauf an, wie es am Ende im Detail wird. Als Liberaler ist für mich klar, dass jeder selbst entscheiden können soll, wie er sich orientiert oder wie er sich identifiziert. Kritisch werde ich, gerade unter Rücksicht auf Minderjährige, wenn physische Aspekte nicht verantwortungsbewusst kommuniziert werden. Eine Operation ist nichts, was man verharmlosen sollte.

Es heißt immer wieder, das Selbstbestimmungsgesetz betreffe nicht die physische Geschlechtsangleichung, schließlich handelt es sich nur um eine Personenstandsänderung.

Na ja, das Selbstbestimmungsrecht soll das Transsexuellengesetz ablösen. Das halte ich für richtig. Dennoch ist auch eine Debatte über die Verharmlosung auch von Veränderungen der biologischen Realität, beispielsweise durch Operationen, entbrannt. Ich empfehle uns, gerade bei Minderjährigen vorsichtig zu sein und Freiheitspositionen abzuwägen. Die Frage betrifft nur einen kleinen Personenkreis. Aber ähnlich wie bei Abtreibungsregeln ist sie ein Symbol dafür, wie sich eine Gesellschaft entwickelt.

Die Hälfte der FDP-Abgeordneten soll gesellschaftspolitisch auf einer Ebene mit den Grünen sein. Wie sehen Sie die Kräfteverhältnisse in Ihrer Partei?

Da wird gerne eine Spaltung herbeigeredet, die ich nicht sehe. Dass es graduelle Unterschiede gibt, ist klar. Ich glaube aber, selbst der bei uns noch am weitesten rechts Stehende ist immer noch gesellschaftlich liberaler als die CDU. Und andersherum ist der am weitesten links Stehende bei uns immer noch wirtschaftsliberaler als SPD oder Grüne. Von daher glaube ich, dass wir die graduellen Unterschiede untereinander nicht noch stärker hervorheben müssen.

Eines der großen Reizthemen ist die Migrationspolitik. Inwiefern soll sich da die FDP von SPD und Grünen unterscheiden?

Wir haben als Ampelkoalition beim Thema Migration und innere Sicherheit eine offene Flanke. Das bedeutet, dass wir als FDP den Auftrag haben, reguläre Migration zu fördern und irreguläre Migration zu reduzieren. Und da SPD und Grüne nicht diejenigen sind, die bei der Abschiebungsoffensive vorangehen werden, wird das unsere Aufgabe sein. Wir haben mit Joachim Stamp jemanden zum Beauftragten für Migrationsabkommen ernannt, der darin Erfahrung hat. Jetzt wollen wir das Ganze auch in die konkrete Umsetzung bringen. Wer keinen Aufenthaltsstatus hat, der gehört schnellstmöglich abgeschoben. Leider sieht man auch in meinem Heimatland, Schleswig-Holstein, wo es zu der Gewalttat in einem Regionalzug kam: Oft sind die Gewalttäter Menschen, die hier gar nicht mehr sein sollten. Und das kann so nicht weitergehen.

Um nochmal auf die Berlin-Wahl zurückzukommen: Christian Lindner hat am Montag implizit Marie-Agnes Strack-Zimmermann wegen ihrer Karnevalsrede für die Schlappe mitverantwortlich gemacht. Sehen Sie das auch so?

Die Karnevalsrede hat mir nicht gefallen, aber ich glaube, sowohl Christian Lindner als auch alle anderen sind sich einig, dass die Rede als monokausale Erklärung für die Wahlniederlage unterkomplex ist.

Aber wenn Lindner am Montag nach der Wahl Frau Strack-Zimmermann kritisiert und sagt, die Rede sei „nicht hilfreich“ gewesen, schwingt da ja schon eine Botschaft mit.

Ob er das nun genauso in einer internen Sitzung gesagt hat, möchte ich weder bestätigen noch dementieren. Ich glaube, es empfiehlt sich für die Freien Demokraten – insbesondere, wenn es um launige Veranstaltungen geht –, mit etwas mehr Selbstironie und Witz zu argumentieren als mit persönlichen Angriffen. Außer Zweifel steht, dass Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine wichtige Persönlichkeit für unsere Partei ist und in der Mitte der Partei steht, genauso wie Wolfgang Kubicki übrigens. In öffentlichen Debatten sind beide wichtige, profilierte Köpfe für uns – und ich glaube, es ist nicht an einer Rede festzumachen, ob jemand verantwortlich ist für ein Wahlergebnis oder nicht.

Ihr Kollege, Finanzexperte Frank Schäffler, meint: „Es ist wie im Fußball. Wenn man über eine längere Zeit alle Spiele verliert, muss man die Mannschaftsaufstellung überdenken.“ Hat er Recht?

Ich halte Personaldebatten immer für müßig, wenn man nicht sagt, um wen es konkret geht und was die Alternativen sind. Sonst bleibt es eine Forderung im Ungefähren, die nur vortäuscht, dass sich ja irgendwas ändern müsse, ohne wirklich konkret zu sagen, was das sein soll. Ich halte die Führungsmannschaft für sehr gut aufgestellt. Ich glaube, wir haben generell ein Kommunikationsproblem als Freidemokraten. Wir brauchen mehr Strack-Zimmermann und mehr Kubicki, nicht mehr von dem einen oder weniger von dem anderen. Wir müssen die Öffentlichkeit suchen mit unseren Themen, wir müssen die Menschen erreichen und ihre Sprache sprechen.

Die Fragen stellte Ulrich Thiele.

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