FDP in der Krise - Liberale Unschärfe

Die FDP streitet und leidet in der Ampel. Aber hinzu kommt auch die innere Zerrissenheit der Liberalen – zwischen klassischem und Zeitgeist-Liberalismus. Was wird nun das einigende Band?

Eine schillernde Figur: Christian Lindner / Foto: Nikita Teryoshin
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Wer die heutige Krise der FDP verstehen will, muss auf Ende September 2021 zurückblicken. Damals zirkulierte ein Selfie im Internet. Es zeigte die Verhandlungsführer von FDP und Grünen: Lindner, Wissing, Habeck und Baerbock. Die Botschaft war eine doppelte: Man wollte sich in den Koalitionsverhandlungen demonstrativ unterhaken – gegen die SPD. Und das Bild sollte persönliche Nähe symbolisieren und beim Wahlvolk Vertrauen stiften. Die SPD griff den Spin auf, und alle drei Ampelparteien versammelten sich euphorisch hinter dem Slogan einer „Fortschrittskoalition“. Alles sollte besser werden: der Stil des Regierens, der Schutz des Klimas, die Modernisierung der Wirtschaft und die Entschlackung des Staates. Es roch nicht nur nach Euphorie, es roch nach Zukunft. 

Die heutigen Frustrationen sind aber bloß enttäuschte Erwartungen. Je höher man sich selbst die Latte legt, desto wahrscheinlicher ist es, sie am Ende auch zu reißen. Und genau das ist eines der Probleme der heutigen FDP. Weder alle Mitglieder noch alle Wähler der Liberalen waren begeistert vom Eintritt in die Ampel. Nichts belegt dies dieser Tage besser als eine Mitgliederbefragung von Ende 2023 darüber, ob man die Ampelkoalition überhaupt noch fortsetzen solle. Nur 52 Prozent von ihnen wollen das, 48 Prozent hingegen lieber aussteigen. Und auch die Umfragewerte haben sich halbiert. 

Von Euphorie ist in der Partei also längst nichts mehr zu spüren. Auch wenn die digitalen Medien zur dauerhaften Selbstinszenierung einladen: Man wird mitunter die Bilder nicht mehr los, die man selbst produziert hat. Das gespaltene Umfrageergebnis zur Mitarbeit in der Ampel spiegelt auch die Debatten im Inneren der FDP. Die Farbe Gelb in der Ampel leuchtet mindestens in zwei unterschiedlichen Tönen. Manche sehen die Farbenkombination Rot-Gelb-Grün als Signallicht in Richtung einer neuen Politik, andere doch eher als Warnzeichen. 

Eine politische Wundermaschine

Wohl nichts bringt die tragische Lage der Ampel dabei so sehr auf den Punkt wie der Streit um das sogenannte Klimageld, das im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Denn das Klimageld wäre so etwas wie eine politische Wundermaschine aus dem Hause Horst Schlämmers gewesen: Sozialismus und Kapitalismus schließen Frieden miteinander, um einmütig den Planeten zu retten. Die Idee dieser Maßnahme war, dass die Einnahmen aus der Erhöhung des CO2-Preises auch wieder an die Bürger ausgeschüttet werden. So hätten die Grünen ihren Klimaschutzeffekt bekommen, die Sozialdemokraten ihre Umverteilung realisiert und die Liberalen den Selbstbestimmungsaspekt betont, durch die geschaffene finanzielle Freiheit für die Bürger. 

Doch der dreifarbige Weltrettungsmotor springt nicht an. Er ist wie ein Sinnbild für den Anfangszauber der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ und ihren Absturz. Tatsächlich hätte das Klimageld die Akzeptanz der Bevölkerung für den Klimaschutz in ungeahnte Höhen treiben können. Heute sieht es allerdings nicht danach aus, als würde das Klimageld in dieser Legislaturperiode überhaupt noch eingeführt. Dafür gibt es einerseits technische Gründe. Aber das ist nicht das Hauptproblem. Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung sind längst ausgegeben – um den Strompreis zu stützen und für allerlei Subventionen. Aus einer Umverteilung von oben nach unten ist im Grunde das Gegenteil geworden. Es sind ja gerade nicht Menschen mit niedrigem Arbeitslohn, die ihr privates Einfamilienhaus mit einer Solaranlage für 30.000 Euro ausstatten wollen oder überhaupt können. Das Klimageld hätte die große Erzählung der Ampelregierung werden können. Das ist nun vorbei. 

Einen politischen Elfmeter verschossen

Christian Lindner wirkt aufgeräumt und fast entspannt, als er Cicero im Bundesfinanzministerium zum Gespräch empfängt. Dass die Lage für seine Partei – wieder einmal – nicht einfach ist, will der FDP-Chef gar nicht bestreiten. Keine der Ampelparteien leidet in den Umfragen so sehr wie die Liberalen. Ein bisschen merkt man seinem Gesicht auch die Verzweiflung darüber an, dass das Klimageld bis heute nicht existiert. Es ist im Grunde so, als hätte die Ampel einen politischen Elfmeter verschossen, während der Torwart gerade austreten war.

Doch wenn man den Zustand der Ampel auf die inhaltliche Qualität der Regierungsarbeit zurückführen will, widerspricht Lindner energisch: „Ich kann mit jedem Gesetz, das wir bisher beschlossen haben, entweder leben oder finde es richtig.“ Die FDP habe dem Land quasi als „Fortschrittsmotor“ eine neue Richtung gegeben. Er sei zwar als Liberaler längst noch nicht dort, wo er eigentlich hinwolle. „Aber ohne uns gäbe es heute keine Entlastung bei der Einkommensteuer, keinen Bürokratieabbau und weniger Technologieoffenheit bei der Bekämpfung des Klimawandels“, sagt er. Doch die schlechten Umfragewerte belasten die Stimmung in der FDP überall, in Berlin und anderswo. Das kann auch Lindner nicht wegzaubern.
 

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FDP-Bundesvorstandsmitglied René Domke sitzt in Schwerin, und auch ihm macht die Performance der Ampel zu schaffen. Eigentlich ist er Finanzbeamter, aber seit die FDP bei der zurückliegenden Landtagswahl wieder in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern eingezogen ist, führt er deren Fraktion als Vorsitzender an. Domke hat sich schnell Respekt und Anerkennung als Widersacher von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erworben. Er kämpft im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss um die Aufklärung der deutschlandweit bekannt gewordenen „Klimaschutzstiftung“

Ausgezahlt hat sich Domkes Fleiß im Ausschuss bisher nicht. Inzwischen steht die FDP im Nordosten in Umfragen wieder bei drei Prozent. Die negative Stimmungswelle des Bundes hat die Liberalen unter die Wasseroberfläche gedrückt. Natürlich habe es die FDP als eine Partei von Leistung und Verantwortung schwerer in der Kommunikation als andere Parteien, sagt Domke. „Wir gelten immer automatisch als dieser unsympathische Besserwisser“, so der Liberale aus dem Norden. Doch es steckt für ihn mehr dahinter. Als einen Grund für die Krise seiner Partei benennt er die ungeklärte Grundsatzfrage: Was ist ein moderner Liberalismus? Die einen plädierten für den klassischen bürgerlichen Freiheitsgedanken, die anderen eher dafür, sich dem Zeitgeist ein Stück weit anzupassen: Klima, Kampf gegen Rechtsextremismus und Geschlechterpolitik zum Beispiel. Wohin will die FDP?

Ohne Schaum vor dem Mund

Linda Teuteberg war früher einmal Christian Lindners Generalsekretärin, bis er sie durch den heutigen Bundesverkehrsminister Volker Wissing ersetzte. Seit Jahren gebe es eine latente Auseinandersetzung in der FDP über den „richtigen“ Liberalismus, bestätigt sie die These. Das sagt sie ganz ohne Schaum vor dem Mund und mit Respekt gegenüber jener Position, die sie selbst nicht teilt. Es gebe da eben den „klassischen bürgerlichen Liberalismus“, dem sie sich auch selbst zuordnet: eine auf Eigenverantwortung und Leistung gegründete starke Wirtschaft gepaart mit der Verteidigung individueller Freiheitsrechte – und zwar gerade gegen den Staat. Und es gibt einen Zeitgeist-Liberalismus innerhalb der FDP, der erhebliche inhaltliche Überschneidungen mit dem rot-grünen Milieu aufweist. Das betrifft vor allem lebensweltliche Fragen. 

Auf dem Zeitgeist-Liberalismus beruht nicht zuletzt die Ampelfähigkeit der Liberalen. Die weiche Gesellschaftspolitik und damit die kulturelle Hegemonie von links waren überhaupt von Beginn an der eigentliche Kitt dieser „Fortschrittskoalition“. Aber dieser Zeitgeist-Liberalismus habe ein „Problem“. So sieht es jedenfalls Linda Teuteberg: „Die für eine freiheitliche Demokratie fundamentale Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft wird ausgehöhlt.“ Man begreife den Staat vielmehr umgekehrt als Instrument zur Durchsetzung pluraler Lebensformen. FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann will es beispielsweise als Ordnungswidrigkeit geahndet wissen, wenn jemand, der sein rechtliches Geschlecht per Sprechakt geändert hat, noch mit seinem ehemaligen Namen angesprochen wird. Der Staat als Toleranz-Erzwingungsmaschine also. Man muss kein Anhänger des klassischen Liberalismus sein, um das komisch zu finden. 

Ein auf diese Weise „gängelnder Staat“ stecke übrigens auch im geplanten „Demokratiefördergesetz“. Teuteberg findet es „skurril“, dass der Staat erwachsene Menschen „zur Demokratie erziehen“ will. Die Legitimationskette des Staates in einer Demokratie verlaufe nämlich genau andersherum, von unten nach oben. Am liebsten wäre es Teuteberg daher, dieses Gesetz würde nie beschlossen. Aber es steht im Koalitionsvertrag. Es ist ein Teil des gesellschaftspolitischen Bindemittels der Ampel.

Aber all dies, so Teuteberg, könnte für die FDP Folgen haben. Der staatszentrierte Lebenswelt-Liberalismus sei nämlich kein Alleinstellungsmerkmal. Das gebe es auch bei SPD und Grünen. Klassische liberale Wähler würden so aber nicht angesprochen, häufig sogar verschreckt, fürchtet Teuteberg. Auch so erklärt sie sich die im Moment schwachen Umfragewerte für ihre Partei: „Es wäre naiv zu glauben, man könnte Kulturkämpfe ignorieren. Sie sind längst da. Wenn die Kultur der Freiheit bedroht ist, kann ich als Liberale nicht an der Seitenlinie stehen bleiben. Das ist eine Frage gerade eines ganzheitlichen Liberalismus.“ Es wäre daher ein Fehler, Themen nicht anzupacken aus Furcht davor, als nicht „fortschrittlich genug“ zu gelten. „Die identitätspolitisch sortierte und quotierte Gesellschaft ist kein fruchtbarer Boden für Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft“, ist die Bundestagsabgeordnete überzeugt.

Zeitgeist und Liberalismus

Die These, einen programmatisch beliebigen „Zeitgeist-Liberalismus“ zu vertreten, weist der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel entschieden zurück. Er hatte vor ein paar Jahren mit seinem Fraktionskollegen Konstantin Kuhle einen viel diskutierten Essay unter dem Titel „Zeitgeist und Liberalismus“ geschrieben. „Damals ging es uns nicht darum, dass sich der Liberalismus nach dem jeweiligen Zeitgeist richten soll, sondern dass er auf die großen Herausforderungen der Gegenwart immer eigene Antworten geben muss: Wirtschaftswende, Migration, Demografie, Klimawandel zum Beispiel“, sagt Vogel. „Liberalismus ist weder links noch rechts, sondern er hat ein ganz eigenes Angebot nach vorne.“ Es reiche für eine erfolgreiche FDP eben nicht aus, einfach bloß die gut gemeinten Slogans der Vergangenheit zu wiederholen. Der Liberalismus müsse sich immer zukunftstauglich halten. 

Der These, dass wirtschaftlicher Erfolg und Wohlstand auf der einen und bürgerliche Freiheitsrechte auf der anderen Seite die beiden großen Leitthemen der FDP seien, stimmt Vogel zu. Wirtschaftlich haben sich aber längst dunkle Wolken über Deutschlands Himmel zusammengezogen. Die Industrieproduktion ist rückläufig, vor allem in energieintensiven Bereichen. Genau darin sieht der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende das Kernproblem nicht nur für das Land, sondern auch für die Liberalen. 

FDP-Politikerin Teuteberg / Foto: Peter Rigaud

Mit der Wirtschaft klappt es bisher nicht so gut. Also bleiben noch die Freiheitsrechte. Wenn es um den Kampf für die gesellschaftliche Akzeptanz verschiedener Lebensentwürfe geht, passt meist kein Blatt zwischen die Koalitionspartner. Das verbindende Element: Weltoffenheit.

Bisher hat hierzu – in der öffentlichen Wahrnehmung – auch der „Kampf gegen rechts“ gehört, also der Kampf gegen die Feinde der Weltoffenheit. Dafür zuständig im FDP-Fraktionsvorstand ist der Abgeordnete Konstantin Kuhle. Wenn man mit ihm spricht, besteht er auf einer wesentlichen Differenzierung. Der „Kampf gegen rechts“ finde nicht seine Unterstützung, sagt er. „Rechts“ sei ebenso wie „links“ zunächst bloß ein Sammelbegriff für Positionen eines bestimmten politischen Spektrums. Der Staat dürfe aber nicht rechte oder linke, sondern nur „extreme“, also verfassungsfeindliche Bestrebungen bekämpfen. Kuhle sagt das auch und besonders mit Blick auf das aktuell diskutierte Demokratiefördergesetz.

Anfangs waren es nur ein paar Millionen, bereits im Jahr 2015 ganze 40. Und bis zum Jahr 2024 hat sich die entsprechende Summe in rund zehn Jahren noch einmal auf 200 Millionen Euro verfünffacht. Deshalb sei die Debatte um das Demokratiefördergesetz auch eher ein „politisches Symbol“. Eigentlich müsste man stattdessen eine „kritische Debatte“ über die ohnehin ausfinanzierten Programme führen. „So erfolgreich scheinen die angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse der AfD ja nicht gewesen zu sein“, sagt Kuhle. Zumindest in diesem Punkt rücken auch die Zeitgeist-Liberalen vorsichtig vom bisherigen gesellschaftspolitischen Konsens der Ampel ab. 

Die aktuelle Krise der FDP

In einer guten Regierung arbeitet man so: Strittige Themen werden intern geklärt und nur konsentierte Ergebnisse öffentlich verkündet. Das demonstriert nicht nur Handlungsfähigkeit und schafft Vertrauen beim Wahlvolk. Es stärkt auch die künftige Kooperationsfähigkeit der Regierungsparteien. Das Kernproblem der Ampel ist in erster Linie nicht, dass sich Parteien mit unterschiedlichen Weltanschauungen gegenüberstehen, sondern dass sie elementarste Techniken des guten Regierens nicht beherrschen. Die Beispiele hierfür sind inzwischen uferlos. 

Der Jurist und Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke von den Blättern für deutsche und internationale Politik ist ein erfahrener Beobachter der Politik. Neben den nicht enden wollenden Streitereien in der Ampel ist die aktuelle Krise der FDP für ihn vor allem mit ihrem Retter verbunden: Christian Lindner. Durch Lindners Absage an eine Jamaika-Koalition im Jahr 2017 habe er seine Partei im Grunde dazu gezwungen, in die Ampel einzutreten, um nicht als politik­unfähig zu gelten. Und nun finde er sich in einer Konstellation wieder, in der er die FDP noch viel schwerer profilieren könne: „Kurzum, der Mann hat sich schlicht verzockt.“ Inzwischen, so Lucke, richte sich die Politik der FDP sogar „gegen die eigene Klientel“. Die Wirtschaft lechze nach Wachstum. Es brauche jetzt staatliche Investitionen, um dadurch die private Wirtschaft anzukurbeln: „Das fetischhafte Festhalten an der Schuldenbremse gefährdet nicht nur die dringend erforderliche ökologische Transformation der Wirtschaft, sondern auch die FDP in ihrer Existenz.“

Von dieser Einschätzung hält Jan Schnellenbach gar nichts. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Cottbus und bezeichnet sich selbst als einen „Urliberalen“. Bis zum Jahr 2012 war er selbst Mitglied der Partei. Das Kernproblem der FDP sei das Fehlen eines „großen Projekts“. Die Liberalen hätten in der Ampel zwar den einen oder anderen „Unfug“ verhindert, so Schnellenbach. Aber das reiche nicht aus, um Menschen von sich zu überzeugen. Angesichts einer strauchelnden Wirtschaft bräuchte es jetzt eine beherzte Unternehmenssteuerreform und die Entbürokratisierung des Staates – mehr Wohlstand durch Freiheit sozusagen: „Aber das eine ist mit der SPD nicht zu machen, das andere nicht mit den Grünen. Die Liberalen sind Gefangene der Ampel.“

Die Idee, auch noch die Schuldenbremse zu schleifen, hält Schnellenbach sogar für ein „Selbstmordkommando“. Dann würde die Partei ihre letzten treuen Anhänger verlieren. Außerdem zeigten die Daten, dass die Investitionen des Staates bereits seit 2014 zunehmen. Alles sei daher eine Frage des politischen Willens und der Prioritätensetzung: „Ich kann keinen Sinn darin erkennen, erst mit Steuergeldern eine überbordende Bürokratie aufzubauen, um im Gegenzug mit weiteren Steuermitteln oder Schulden für finanzielle Erleichterungen bei Unternehmen zu sorgen. Wenn man das eine einfach lässt, braucht man auch kein Geld für das andere.“

Selbstbewusstsein als Wirtschaftspartei

So zeichnet sich inzwischen eine Art neue Verbindungslinie innerhalb der FDP ab. Es besteht große Einigkeit in dem Selbstbewusstsein als Wirtschaftspartei. Für die Umfrageergebnisse der FDP und die „schlechten Wirtschaftsdaten“ des Landes hat der liberale Führungskopf Christian Lindner deswegen auch eine ganz andere Erklärung. Seit zehn Jahren nämlich verliere Deutschland Stück um Stück seine Wettbewerbsfähigkeit, so Lindner. Das sei früher durch niedrige Zinsen, niedrige Preise für fossile Energien und während der Corona-Pandemie durch schuldenfinanzierte Subventionen überdeckt worden: „Aber damit ist es jetzt vorbei. Niemand kann sich noch vor den Zukunftsentscheidungen herumdrücken.“ Deutschland und die Ampel bräuchten jetzt beide dringend eine „Wirtschaftswende“, erklärt er. Und die FDP werde, so kündigt es der FDP-Vorsitzende an, diese Debatte forcieren. Von den derzeit schlechten Umfragewerten will er sich nicht aus dem Konzept bringen lassen: „Für einen Nachruf auf die FDP ist es zu früh.“

Noch deutlicher als der Bundesfinanzminister wird dessen stellvertre­tender Parteichef Johannes Vogel. Die aktuelle wirtschaftliche Situation bezeichnet er als „sehr ernst“. Wenn selbst Wirtschaftsminister Robert Habeck Deutschland für „nicht mehr wettbewerbsfähig“ halte, könne sich niemand einer Kurskorrektur verweigern. Das Land brauche jetzt dringend so etwas wie eine „Agenda 2030“, um das Ruder noch herumzureißen. Ob das der Ampel überhaupt gelingen kann, ist für den FDP-Vize allerdings „offen“.

Neben politischen Erfolgen sieht Vogel die Rolle der Liberalen in der Ampel darin, „viel Quatsch verhindert“ zu haben. Deutschland brauche jetzt aber endlich den „großen Wurf“. Er prognostiziert spannende Debatten und Monate. Auch für die FDP mit ihrer Diskussion über den klassischen oder den Zeitgeist-Liberalismus. Man sollte der FDP dabei ausdrücklich Glück wünschen: Wahrscheinlich hat Deutschland eine echte liberale Partei in Wahrheit nie so dringend gebraucht wie heute.

 

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