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EU-Wahlwerbespots - Die Dagegen-Republik

Kolumne: Zwischen den Zeilen: In vermutlich jedem von uns steckt ein bisschen Anti. Was aber passiert, wenn aus einem bisschen Dagegen ein geschlossenes Ganzes wird, erleben wir gerade im Europawahlkampf

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Gibt es eigentlich einen Hashtag für „Hashtag“? Warum ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, ein Lebensmittelgeschäft mit ausschließlich genmanipulierter Ware in Berlin Prenzlauer Berg zu eröffnen? Und: Verspüren Sie auch manchmal die Sehnsucht, Hasi-ist-Weggelaufen-Plakate mit Kaninchenragoutrezepten zu bekleben?…  Nein?

Dabei wäre ein solches Nebengleisrebellentum – zumindest im Falle des Lebensmittelladens – rein wirtschaftlich gesehen, eine wunderbare Marktlücke. Eine Nische. Und Nischen müssen bekanntermaßen besetzt werden. (Das zumindest lehrt uns die Evolution.)

Wenn aber Nischen nicht nur aus Überzeugung, sondern aus Trotz, ja aus einer notorischen Antihaltung heraus besetzt werden, dann kann es schon mal passieren, dass im Eifer des Gefechts Pluralismus mit Gleichschaltung oder Europa mit Bürokratenmonster gleichgesetzt wird.

Vielmehr gibt es die Tendenz, nicht mehr nur verbal und grundsatzfrontal gegen den Strich zu bürsten, sondern auch so zu handeln. Auf den Berliner Montagsdemos beispielsweise finden sich neben ernst gemeinten Friedensappellen nicht wenige Verschwörungskrawalleure, die Hasi, um im obigen Bild zu bleiben, mit absoluter Sicherheit verspeisen würden.

Denn so richtig Anti geht halt nur, wenn man ein System grundsätzlich in Frage stellt. Und Systeminfragesteller bei der Arbeit lassen sich ganz wunderbar vor Europawahlen bestaunen. Besonders in Wahlwerbespots.

Und man lernt auch Neues. Die AfD beispielsweise. Die hat nämlich gar nichts gegen den Euro. Sie will gar nicht mehr aus dem Euro aussteigen. Sie will, dass dies andere tun. „Wir wollen, dass Griechenland den Euro verlässt. Damit wir unser Geld wieder sinnvoll einsetzen können.“ Heißt es in ihrem Europawahlspot. Wie das Geld sinnvoll investiert werden kann, zeigt der Spot auch: in deutsche Autobahnen. „Haben Sie sich schon mal gefragt, warum unser ganzes Geld nach Griechenland geht und nicht in unsere kaputten Straßen und Brücken?“, empört sich ein offenhemdiger Vernunftbürger mit Sonnenbrille im Haar auf einer Autobahnbrücke  – herrlich umlärmt von vorbeiziehenden Kraftfahrzeugen.

Wunderbar auch die Linke, die einen bärtigen Wutbürger aus einem Fenster eines Mehrfamilienhauses heraus das kapitalistische System bebrüllen lässt. Wobei das vermutlich irgendwie witzig sein soll.

Wirklich absolut humorbefreit zeigt sich die rechte Gruppierung Pro NRW in ihrem Spot: Zunächst weigerten sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die Wahlwerbung auszustrahlen. Das Berliner Verwaltungsgericht gab ihnen in einem Eilverfahren recht. Es urteilte, der Spot verstoße gegen den Straftatbestand der Volksverhetzung. Die abgeschwächtere Version, die daraufhin gezeigt wurde, bleibt jedoch derart durchdrungen von einer Ausländer-Raus-Mentalität, dass man sich das Original gar nicht vorstellen will.

Bezaubernd hingegen, wie die Partei der Bibeltreuen Christen versucht, knallharte ökonomische Fakten zu bemühen, um das Thema Abtreibung zu verteufeln: Denn Abtreibung „kostet uns nämlich als Steuerzahler mehrfach: 1. Die Abtreibung. 2. Die Therapie der psychischen Nachwirkung. 3. Die fehlenden Rentenzahler.“ So macht man Politik.

Oder wussten sie, dass Gauck, Merkel, Steinmeier, die Grünen und die Linkspartei allesamt einen Kriegskurs unterstützen? Ulrich Rippert, Vorsitzender der Partei für Soziale Gleichheit (PSG), weiß das aber so was von genau. Was er auch weiß, ist, dass die Medien „gleichgeschaltet“ sind. Sein staatstragender Appell an die Welt: „Zwei Weltkriege sind genug!“

Geradezu meditativ wirken hingegen die Schnarch-Spots der etablierten Parteien. Bügelfernsehen vom Feinsten.

Aber dass wirklich keine Partei auf die Idee mit dem Genwarenladen im Ökobürgerkiez gekommen ist, das macht unter dem Strich dann wirklich ein bisschen traurig. In fünf Jahren dann.

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