Demonstration gegen die „Heizungsideologie" - Erding kann die Republik bewegen

Bei der Demonstration gegen die Politik der Grünen in Erding stiehlt Hubert Aiwanger von den Freien Wählern dem CSU-Ministerpräsidenten die Show. Wenn das, wie Organisatorin Monika Gruber verspricht, „erst der Anfang“ war, könnte eine neue Dynamik entstehen.

Monika Gruber am Samstag auf der Demo in Erding / dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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In Bayern gibt es seit Samstag fast nur noch ein Thema: Erding. Etwa 13.000 Menschen kamen in dem sonst vor allem für sein Weißbier bekannten Städtchen zusammen. Was sie antrieb: der Zorn auf die Politik der Bundesregierung. Protestbewegungen brauchen meist einen konkreten Auslöser. Das sind in diesem Fall die Pläne für die Wärmewende aus dem grün geführten Wirtschafts- und Klimaschutzministerium. Nukleus der Bewegung war ein Erdinger Optiker, der in Greta-Thunberg-Manier als Einzelner in seinem Heimatort gegen diese Pläne demonstriert hatte.

Die Dynamik zur Massenveranstaltung entstand aber erst durch das Werben der in Bayern sehr beliebten Komikerin Monika Gruber. Sie begründete ihren Aufruf schon vor mehreren Wochen damit, dass die grünen Heizungspolitiker, allen voran der „Wirtschaftsvernichter“ Robert Habeck, „ganz offensichtlich wahnsinnig geworden“ seien. Mit dieser rustikalen Sprache hatte sie ganz offensichtlich den Nerv vieler Menschen getroffen. „Stoppt die Heizungsideologie“ stand auf einem Plakat direkt am Rednerpult.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Koalitionspartner und Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) haben beide im Vorhinein mit gutem politischem Instinkt die Bedeutung des Ereignisses erfasst. Gruber hatte ihn, wie Söder sagte, persönlich angerufen und eingeladen. Söder hat ein erstaunliches Talent, die Kipppunkte von politischen Stimmungen zu wittern, wie er zuletzt etwa in der Corona-Pandemie bewies, als er rechtzeitig vom Hardliner zum Lockerer wurde. Doch an diesem Samstag in Erding hat ihm sein Vize eindeutig die Show gestohlen. 

Offene Worte von Aiwanger und mangelnde Glaubwürdigkeit der Union

Söder wurde schon zu Anfang seines Auftritts ausgebuht und ausgepfiffen. Monika Gruber musste darum bitten, ihn ausreden zu lassen. Dem FDP-Landeschef Martin Hagen erging es nicht besser. Aiwanger dagegen schaffte es im Verlauf seiner Rede, die Menge ganz für sich einzunehmen, erntete gewaltigen Applaus. Denn er sprach die Sprache von Monika Gruber: Das Heizungsgesetz nannte er einen „Wahnsinn“, kanzelte die Bundesregierung so wütend ab („den Oasch offen“), wie viele Menschen nicht nur in Erding eben über diese sind. 

Der entscheidende Unterschied war aber nicht die Redekunst im Bierzelt beziehungsweise auf der Festwiese – die beherrscht Söder erwiesenermaßen auch. Es geht um Glaubwürdigkeit.

Offenkundig trauen sehr viele Menschen, die von der Politik der grün dominierten Bundesregierung entsetzt sind, Politikern der Unionsparteien nicht zu, diese ernsthaft aufhalten zu wollen. Und das spiegeln schließlich auch die Wahlumfragen wider. Die Union vermag längst nicht so sehr vom Unmut weiter Bevölkerungsteile zu profitieren, wie man es eigentlich für die größte Oppositionspartei und die einzige mit realistischer Machtperspektive erwarten sollte. Das gilt für die CDU auf Bundesebene noch deutlich mehr als für die CSU auf bayrischer. Man mag sich nicht vorstellen, wie Friedrich Merz in Erding empfangen worden wäre.

 

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Söder ist in Bayern nicht auf die Grünen angewiesen. Aber letztlich trauen ihm vermutlich viele Menschen das zu, was man Merz wohl ohne allzu viel Prophetentalent ohnehin unterstellen kann: dass er im Zweifelsfalle angesichts einer konkreten Machtperspektive in einer Koalition mit den Grünen allzu viele sachpolitische Kröten zu schlucken bereit wäre.

Der gegenwärtige politische Unmut, der sich am konkreten Heizungsgesetz entzündet und jetzt in Erding erstmals an einem konkreten Ort entladen hat, richtet sich ganz allgemein gegen die politische Agenda der Grünen, die nicht nur die aktuelle Bundesregierung dominiert, sondern auch schon lange den gesamten Politik- und Medienbetrieb. Die Unionsparteien jedoch – die CDU besonders, aber die CSU auch – haben nach dem Ende der Ära Merkel noch nicht wirklich überzeugend klarzumachen vermocht, dass sie (wieder) eine eindeutige Alternative zu deren Agenda bieten wollen.

Lehren für die Unionsparteien

Söder, aber auch Unionspolitiker außerhalb Bayerns können aus diesem Erdinger Wochenende nur zwei Lehren ziehen: Erstens ist es ihre demokratische Pflicht als bürgerliche Parteien, diesem legitimen Unmut eine politische Repräsentanz zu bieten, wenn sie nicht wollen, dass sich der Unmut andere, radikalere Vehikel sucht. Zweitens ist es zumindest mittel- bis langfristig aber auch ihre einzige Überlebensperspektive, sich als politischer Gegner der Grünen und ihrer antibürgerlichen, wohlstandsvernichtenden Projekte zu zeigen, statt als potentieller Koalitionspartner und Erfüllungsgehilfe. Dauerhaft gewählt werden Parteien und Politiker nur, wenn sie glaubhaft machen können, dass ihnen sachpolitische Ziele (oder zumindest die Abwehr der Ziele der anderen) ein unbedingtes Anliegen ist – wichtiger als die reine Machtperspektive.

Großdemonstration in München angekündigt

Politiker der Grünen und der SPD haben auf die Demonstration in Erding und Söders und Aiwangers Auftreten dort mit Hysterie und polemischen Populismusvorwürfen reagiert. Auf Twitter ist auch von einem „rechtsradikalen Mob“ und ähnlichem die Rede. Geharnischte Kritik von Bürgern und Politikern an grüner Politik soll so moralisch delegitimiert werden. Das dürfte ein Indiz dafür sein, wie sehr manch einer den Verlust der eigenen Diskursdominanz fürchtet. Der Polizeichef von Erding jedenfalls lobte den „durchgehend friedlichen Verlauf der Versammlungen und das besonnene Verhalten weitgehend aller Teilnehmenden“. Und: Zu einer Anti-Gruber-Demo kamen laut Presseberichten nur rund zehn Teilnehmer. Die Grünen hatten eine ursprünglich geplante Gegendemo offenbar abgeblasen.

Die Wirkung der Populismusvorwürfe dürfte im Politikbetrieb selbst größer sein als unter Menschen außerhalb dieses Betriebs, die unter den Folgen politischer Entscheidungen unmittelbar leiden. Wenn nicht arm werden zu wollen, populistisch sein soll, dann zieht der Vorwurf eben nicht. Das könnte sich demnächst auf der Theresienwiese in München erweisen. Am Ort des Oktoberfests wollen Gruber und ihre Mitstreiter demnächst die Maxi-Version ihres Protests stattfinden lassen. Der Termin scheint noch nicht festzustehen, aber vom Ziel 100.000 Teilnehmer ist schon die Rede. Das erscheint nach diesem Wochenende nicht mehr unrealistisch. Wenn das gelingt, kann es zu einer politischen Dynamik kommen, die vieles verändert.

Robert Habecks Enthusiasmus für die unbedingte Wärmewende scheint jedenfalls schon deutlich nachgelassen zu haben, wenn er nun seine Zuneigung für die Fernwärme öffentlich macht. Vermutlich arbeitet man in seinem Ministerium derzeit fieberhaft an der Zusammenstellung von Ausnahmetatbeständen im Heizungsgesetz. Vielleicht erinnert ihn und seine Parteifreunde ja auch mal jemand daran, was seinerzeit aus der so innig geforderten Impfpflicht geworden ist.

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