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Der Tag... - ... an dem Trittin Joschka Fischer übertrumpft

Wahlsonntag, nach 16 Uhr, in seiner Wohnung fährt sich Jürgen Trittin durchs Haar. Es reicht nicht für Rot-Grün. Wie soll er jetzt noch historisch werden? Er macht sich an die Arbeit

Autoreninfo

Peter Unfried ist Chefreporter der taz in Berlin

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Trittin schaut auf sein HTC Android Smartphone. „Das wär’ jetzt auch zu einfach gewesen“, murmelt er. Es ist Sonntag, 16 Uhr. Er war gerade dabei, in seinen Finanzminister-Anzug zu steigen, als er die Vorprognose der Bundestagswahl gesimst bekam. Nichts entschieden – außer, dass es für Rot-Grün nicht reicht. Er fährt sich mit der Rechten durch die Frisur. Das soll er nicht, sagen seine Berater immer. Weil es nicht gut aussähe beim Zustand seiner Haare.

Joschka hat selbstverständlich eine dichte Matte. Ihm sind die Sachen immer zugefallen. Die Frauen auch. Die erste rot-grüne Bundesregierung gilt als sein historisches Verdienst. Obwohl sie das damals nur gemeinsam geschafft haben oder vielleicht besser formuliert: zu zweit. Aber immer hieß es nur: Joschka Fischer, Number One.

Trittin ist klar, dass seine historische Aufgabe nur darin bestehen kann, die Grünen in ihre zweite Bundesregierung zu führen. Das und nur das wird ihn in der Geschichte der Bundesrepublik auf eine Stufe mit Joschka stellen. Wenn nicht gar eine halbe Stufe darüber, denn dann waren beide Vizekanzler, aber nur er war zweimal Minister. Die Grünen in weitere vier Jahre Opposition zu führen, ist dagegen definitiv nicht historisch. Sondern zum Kotzen. Klar, er könnte weiter den Fraktionsvorsitzenden machen. Aber was wäre die Regierungsperspektive? Und ewig wird er die sogenannten Jungen auch nicht mehr ruhig halten können. Egal, wie feige Özdemir bisher agiert hat. Nach anderthalb Jahren kommen die und wollen den Wechsel. So geht ein Trittin nicht.

Selbstverständlich hat er im Wahlkampf hunderttausendmal erklärt, warum eine Koalition mit der Union auszuschließen sei. Vermögensabgabe, Spitzensteuersatz, Mindestlohn, Quote hier, fehlender Anstand dort. Er hat sein grimmiges Gesicht gemacht, als Katrin Göring-Eckardt beim Parteitag „Grün oder Merkel“ rief …das war ja auch irgendwie süß.

Er schickt ihr gleich mal eine SMS.
„Kanzlerin kontaktieren, Katrin.“ Tolle Alliteration.
Und … was schreibt diese sogenannte Spitzenkandidatin? „Mach du das, bitte.“
Auf keinen Fall. Das könnte später auf ihn zurückfallen.
„Nein, du.“
„Okay.“
Na, bitte.

Im Parteirat hat er schon vor über einem Jahr gesagt, dass man zur Not auch Schwarz-Grün machen würde, auch wenn die Schnittmengen mit der SPD größer waren. Aber was nutzt eine Schnittmenge ohne Mehrheit?

Während Katrin die Kanzlerin anbaggert, ruft er mal schnell die Nummer von Jürgen Reents auf, seinem alten Kumpel vom undogmatischen Kommunistischen Bund. Klar, dass er auch Rot-Grün-Rot austesten muss. Moment, Telefon klingelt … ah, da ist Reents ja schon. Gedankenübertragung.
„Die Zeit für Rot-Rot-Grün ist gekommen“, sagt Reents.
„Rot-Grün-Rot, wenn schon“, sagt Trittin. Und du mich auch, sagt sein Gesicht.

Seite 2: Bloß keine große Koalition

Er hat das ja nun seit zwei Jahren durchgespielt. Zeit war ja. Er weiß definitiv, dass er kein historischer Staatsmann wird, wenn er mit zwei Sorten Rot regieren muss, die sich noch mehr hassen als Rote und Grüne. Das macht er nur, wenn sonst gar nichts geht. Er tippt eine SMS an Gabriel: „Rot-Grün-Rot sondieren, Kanzler.“ Dabei lächelt er sein Trittin-Lächeln, aber das sieht Gabriel ja nicht. Das HTC Android vibriert. „Gerhard Schick“ leuchtet auf. „Ja, haben wir jetzt Bürgerstunde oder was?“, blafft Trittin und drückt den Anruf weg.
Er macht sich auf den Weg von seinem Haus in Pankow zur Grünen-Wahlparty, wo er im Nebenzimmer mit den anderen verabredet ist. An einer Ampel hält sein Fahrer an.

„Steinbrück“, entfährt es Trittin. Er wählt die Nummer. Das hat er bis jetzt rausgezögert, weil er sich vorstellen kann, wie miserabel der gelaunt ist. Aber das muss sein. Nicht dass Steinbrück direkt bei der Schausten an Steinmeier übergibt und die Große Koalition nicht mehr rückholbar ist. Alles, nur das nicht.
„Sprich mit Lindner“, sagt er zu Steinbrück. Mehr nicht. Obwohl Trittin eigentlich immer weiß, was seine Partei mitmacht, ist er nicht 100-prozentig sicher, dass Schwarz-Grün durchgehen würde. Die SPD soll auch mal die Ampel austesten.

In dem kleinen Raum hinter der Wahlparty-Halle sitzt Claudia Roth unter einem funkelnden Kronleuchter. Umarmung. Dann quatscht sie ihm das Ohr mit Rot-Grün-Rot voll. Sie verstummt, als er erklärt, dass in einer Drei-Parteien-Regierung für sie auf keinen Fall ein Ministeramt abfällt. Sonst auch nicht. Sagt er aber nicht.

Jetzt kommt Göring-Eckardt und wirft ihre Haare durch die Luft. Trittin schaut interessiert; Roth schaut giftig. Er nimmt Göring-Eckardt schnell beiseite, um zu erfahren, was die Kanzlerin gesagt hat.

Erste Hochrechnung. Die Claqeure vom Berliner Landesverband verausgaben sich, damit es im Fernsehen aussieht, als sei alles ganz toll. Um 18:30 Uhr geht er auf die Bühne, Göring-Eckardt ist dabei. Er hebt die Hände in die Höhe, dankt und sagt, dass es angesichts des Ergebnisses als Demokrat selbstverständlich sei, mit allen Parteien zu sprechen, selbst mit der FDP. Er ruft, dass die Mitte grün sei, dass es nicht um Personen gehe, sondern um Inhalte. Dramaturgische Pause. Während die Claqeure ihre Arbeit verrichten, piepst es in seiner Jacke und er liest schnell die SMS. „Kraftvoll in die Opposition! Joschka.“

Selbst hinten in der Halle sieht man, wie sich sein Körper spannt. Jetzt gilt es. „Es ist die entscheidende Aufgabe unserer Zeit, die Energiewende in Deutschland zum Gelingen zu bringen“, sagt er. Das sei mit einer Koalition von CDU und SPD unmöglich. Das gehe nur mit den Grünen. Hinter dieser historischen und globalen Verantwortung müsse alles zurückstehen. Er nimmt die Rechte aus der Hosentasche, fährt sich durchs Haar, verschränkt dann die Hände vor der Brust. Für einen Moment bekommen die Leute im Raum sein maliziöses Lächeln zu sehen. Joschka, sagt dieses Lächeln: Be my Number Two. 

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