Debatte über Streichung des Paragrafen 219a - Mit Walzer für Abtreibungswerbung 

Der Bundestag hat heute mit dem Stimmen der Ampel-Koalition das Werbeverbot für Abtreibungen aufgehoben. Das Schutzkonzept für das ungeborene Leben bleibe unangetastet, sagt Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Doch die Reden von SPD und Grünen sprechen eine andere Sprache.

"Was zu Feiern": Das Video der SPD-Bundestagsfraktion zur Abtreibungs-Entscheidung / Screenshot Twitter
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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16 schwarze Schaumstoffwürfel sind aufeinandergestapelt zu einer Wand. Auf dieser steht: „§219a“. In dem kleinen Video, das die SPD-Bundestagsfraktion auf Twitter postete, springen dann Abgeordnete lachend durch die Wand. Heute hat der Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Koalition diesen Paragrafen aufgehoben. Er hatte „Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft“ unter Strafe gestellt. Nun ist der Jubel groß. Nach der Abstimmung haben sich die Abgeordneten der Regierung in Richtung Besuchertribüne erhoben und applaudiert. Dort saßen Aktivistinnen, die seit Jahren für diese Abschaffung gekämpft hatten. „Was ein Moment“, so der Twitter-Kommentar der Fraktion, garniert mit einem Herzchen-Smiley. Im Anschluss an die Sitzung wurde zum Empfang geladen. Es gebe was zu feiern, hieß es. Und „An der schönen blauen Donau“ wurde dem Würfelvideo als Begleitmusik unterlegt. 

Es gibt kaum ein anderes Thema in der Geschichte der Bundesrepublik, was vergleichbare emotionale, existenzielle und heftige Debatten ausgelöst hat. Die Fragen rund um den Schwangerschaftsabbruch, den Schutz des Ungeborenen Lebens, aber auch die Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Frau gehören sowohl rechtlich, medizinisch, ethisch, und menschlich zu schwierigsten Materien der Politik. Das hat im Bundestag immer wieder zu massiven Auseinandersetzungen geführt, viele Debatten waren aber von gegenseitigem Respekt geprägt und gelten als „Sternstunden der Parlaments“. Bei Abstimmungen wurde zumeist die Fraktionsdisziplin aufgehoben, wie es bei Gewissensfragen üblich ist. Unterschiedliche Vorschläge kamen aus der Mitte des Parlaments und wurden zwar kontrovers, aber oft über Parteigrenzen hinweg gesucht. Zuletzt wurde 1995 ein gesellschaftlicher Konsens gefunden, der sich in den bislang geltenden Paragrafen 219a und 218 manifestierte. Dies ist nun Geschichte. 

 

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Tiefpunkt der parlamentarischen Kultur

Heute war ein Tiefpunkt der parlamentarischen Kultur. Selbst derjenige oder diejenige, die mit ihren oder seinen jeweiligen vielleicht guten und ernsthaften Gründen und Argumenten für eine Streichung des Paragrafen eintritt, muss sich doch für die fast grölende Stimmung im Hohen Haus heute schämen. Heute hat die Koalition die Streichung des Werbeverbots bei Abtreibung doch tatsächlich für das Feiern eigener Fortschrittlichkeit, für das Steigern des eignen Selbstbewusstseins und vor allem für eine so völlig unpassende Siegesrhetorik gegenüber den „Konservativen“ genutzt, dass es einen fassungslos zurücklässt. Das ist diesem schwierigen Thema nicht angemessen, das ist nicht angemessen gegenüber den Frauen, den Kindern und vor allem nicht gegenüber den Ärztinnen und Ärzten, die bislang rechtskonform und korrekt Abtreibungen vorgenommen haben. Für sie ändert sich fast gar nichts.    

Mit Stolz hatte Bundesjustizminister Marco Buschmann in der Debatte erklärt, er habe bewusst dieses Gesetz an den Anfang seiner Regierungstätigkeit gestellt, weil es darum gehe, eine „Absurde, ungerechte und aus der Zeit gefallene“ Regelung zu streichen. Jeder Troll dürfe im Internet über Abtreibungen informieren, nur nicht die fachkundigen Ärzte, die sie durchführen. Nun gebe es mehr Vertrauen und mehr Informationsfreiheit. Die Kritik, dass der Schutz des ungeborenen Lebens nun vernachlässigt werde, sei unangebracht, da dieser ja gerade im Paragrafen 218 geregelt sei. Außerdem werde Werbung weiter untersagt, was tatsächlich heute in anderen Gesetzen festgeschrieben wurde. Es bliebe also nur das Symbol? 

Schwierige Güterabwägung

Es stellt sich die Frage, ob Buschmann seinen roten und grünen Koalitionspartnern gestern genau zugehört hat – oder lieber weghören will. Die Grüne Abgeordnete Ulla Schauws hat in ihrer Rede ganz klar gesagt: „Der Schwangerschaftsabbruch gehört nicht ins Strafgesetz.“ Und sie schloss ihre Rede mit dem verheißungsvollen Satz: „Heute ist erst der Anfang“. Im Übrigen steht die Debatte über den Paragrafen 218 sogar im Koalitionsvertrag, eine Kommission solle über eine Überarbeitung beraten. Wenn Buschmann also behauptet, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, dann will er entweder die konservativeren Teile seiner Wählerschaft beruhigen – oder er merkt es selbst nicht.

Der Paragraf 218 in seiner derzeitigen Fassung ist nach jahrelangem und mühsamem Ringen entstanden. Beteiligt waren damals Vertreterinnen und Vertreter alle Fraktionen. Es war ein Kompromiss, der auch den Vorgaben des Verfassungsgerichts Rechnung trug. Danach ist ein Schwangerschaftsabbruch eine Straftat, da das Leben des ungeborenen Kindes gewaltsam beendet wird. Zugleich bleibt die Straftat straffrei, wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden, darunter eine Pflichtberatung. Diese Regelung kann man für falsch halten, weil sie das Selbstbestimmungsrecht der Frau unzureichend achte. Man kann diese Regelung auch für falsch halten, weil sie die Tötung des Kindes zu einfach möglich macht. Genau das macht eben einen Kompromiss aus, der in einer der schwierigsten Güterabwägungen unserer Verfassungsordnung zu treffen ist. Jeder möge ernsthaft für seine Auffassung streiten. Lustige Filmchen sind da einfach nur peinlich – und schwächen im Übrigen die Argumente der Befürworter einer Liberalisierung.

Gesellschaftliche Polarisierung befeuern?

Warum aber greift die Abgeordnete Schauws ihre parlamentarischen Kolleginnen derart an? Die Union befinde sich „auf einem gefährlichen Kurs“, erklärt sie, der Frauen misstraue. Die CDU-Abgeordnete und frühere Richterin Elisabeth Winkelmeier-Becker weist in ihrem Redebeitrag darauf hin, dass der Konflikt um die Abtreibung in den USA und in Polen in unguter Weise eskaliert sei. Warum hört man daraufhin sowas wie höhnendes Gelächter unter der Parlamentskuppel? Will die Ampel-Koalition tatsächlich – trotz der immer wieder betonten Suche nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt – vielmehr gesellschaftliche Polarisierung erzeugen, um in diesem Gefechtsnebel dann ihre eigene Zerstrittenheit in vielen Fragen zu verstecken?

Zu Recht weist Winkelmeier-Becker darauf hin, dass in kaum einem Redebeitrag die Kinder und ihr Lebensrecht überhaupt vorkommen. Sie werden schlicht vergessen. Das wäre in den zurückliegenden Debatten in vergangenen Legislaturperioden bei diesem Thema noch nicht mal den Befürworterinnen liberaler Regelungen eingefallen. Wer bei diesem Thema etwas will, soll es klar sagen, ohne Schlachtenrufe – und mit Respekt vor denjenigen, die es anders sehen. Soviel politische Kultur kann man selbst der durch Krieg und Krisen verunsicherten Ampel abverlangen.

Im Urtext des Donauwalzers, der dem Video mit den Bauklötzen unterlegt ist, heißt es: „Was nutzt das Bedauern, das Trauern, Drum froh und lustig seid!“ Will die Ampel wirklich mit diesen Worten ihren angeblich so großen Erfolg feiern? Und spielen Rot-Grün-Gelb Johann Strauss dann auch bei Waffenlieferungen, Militäreinsätzen und neuen Lockdown-Regelungen. Oder ist das was anderes?

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