Noch mal davongekommen: Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) / dpa

Bund verzichtet auf Klage gegen Andreas Scheuer - Freie Fahrt für politische Hasardeure?

Viele Millionen Euro hat den Bund das Pkw-Maut-Debakel gekostet. Hauptverantwortlicher ist Bundesverkehrsminister a.D. Andreas Scheuer. Eine Anwaltskanzlei rät in einem Gutachten von einer Klage ab. Das Bundesverkehrsministerium folgt dieser Empfehlung. Doch das Gutachten ist defizitär und die Entscheidung falsch.

Autoreninfo

Prof. Dr. Holm Putzke ist Professor für Strafrecht an der Universität Passau sowie außerplanmäßiger Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht Wiesbaden. Zudem ist er bundesweit als Strafverteidiger tätig.

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Vorweg: Es ist kein Geheimnis, dass es – worauf Patrick Heinemann in einem Beitrag für den Verfassungsblog zu Recht hinweist – „weite Teile der Öffentlichkeit begrüßen würden, wenn Andreas Scheuer nun mit seinem Privatvermögen für die gescheiterte Pkw-Maut büßen müsste“. Doch dürfen weder das ramponierte Image eines Politikers noch seine Sympathiewerte, also ob man jemanden mag oder nicht, Maßstab für die Beantwortung von Rechtsfragen sein. Entscheidend ist ganz allein, was das Recht dazu sagt. Und das muss man nüchtern beurteilen, und zwar ohne Ansehen der Person.

Zur Vorgeschichte: Auf dem 78. Parteitag der CSU stimmten im November 2013 die Delegierten dem Leitantrag des Parteivorstands zu, der unter Punkt 4 die Einführung einer „Pkw-Maut für Ausländer“ forderte. 2014 nahmen CDU/CSU und SPD das Wahlversprechen der CSU in den Koalitionsvertrag auf. Schon damals waren die Warnungen zur rechtlichen Zulässigkeit zahlreich. Die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hatte ihre Bedenken an den damaligen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt adressiert und warnte, dass die Maut „auf einen Bruch des fundamentalen Vertragsprinzips der Nicht-Diskriminierung“ hinauslaufe. Sie erblickte in der gleichzeitigen Anrechnung der Pkw-Maut auf die Kfz-Steuer deutscher Autofahrer eine „indirekte Diskriminierung“.

Das alles störte die CSU wenig. Initiiert vom damaligen CSU-Parteivorsitzenden Horst Seehofer, vorangetrieben von Alexander Dobrindt als Bundesverkehrsminister, war es schließlich sein Nachfolger, Andreas Scheuer, der 2019 als Bundesverkehrsminister den Vertrag zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für Kraftfahrzeuge schloss. Als der Vertrag auf Veranlassung von Andreas Scheuer am 30. Dezember 2018 notariell beurkundet wurde, scheint auch deshalb Eile geboten gewesen zu sein, weil das Risiko bestand und gefürchtet wurde, dass die Berliner Regierungskoalition nicht hält. In der CSU ging deshalb die Angst um, dass die „Ausländer-Maut“, gleichsam als Wiedergänger, im Wahlkampf vor allem der CSU als gescheitertes Projekt vorgehalten werden könnte. 

Die gesamte Bundesregierung macht sich schadenersatzpflichtig, wenn sie die Ansprüche gegen Scheuer verjähren lässt

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) machte alle Hoffnungen auf die erfolgreiche Umsetzung eines CSU-Wahlversprechens wenige Monate später, am 18. Juni 2019, zunichte, indem er die Pkw-Maut für unionsrechtswidrig erklärte. Kurze Zeit später kündigte Andreas Scheuer die Mautverträge, was zu Schadenersatzforderungen der Betreiberfirma führte. Sie bekam schließlich in einem Schiedsverfahren 243 Millionen Euro zugesprochen, die der Bund an die Betreiberfirma inzwischen auch gezahlt hat. Der amtierende Bundesverkehrsminister Volker Wissing kündigte schließlich an, Schadenersatzforderungen gegen seinen Vorgänger prüfen zu lassen. Im Auftrag des Ministeriums hat diese Prüfung eine Berliner Kanzlei übernommen, die nach eigenen Angaben spezialisiert ist auf „Vergaberecht, Bau- und Immobilienrecht sowie EU-Recht“. 

Mit Stand vom 15. Dezember 2023 haben drei als Bearbeiter genannte Rechtsanwälte ein Gutachten vorgelegt (im Folgenden: „MWP-Gutachten“). Darin kommen Christoph von Donat, Julia Lipinsky und Marie-Sybil von Dulong zu dem Schluss, dass es naheliegt, die durch Bundesminister a.D. Scheuer begangenen Pflichtverletzungen als einen besonders schweren Verstoß gegen die objektiv erforderliche Sorgfalt einzuordnen. Nichtsdestoweniger hätte „angesichts der rechtlichen Hürden und Unsicherheiten […] eine Klage gegen Bundesminister a. D. Scheuer nur geringe Aussichten auf Erfolg“. Auf Basis dieser Empfehlung hat das Bundesverkehrsministerium am 28. Dezember 2023 verkündet, darauf zu verzichten, Andreas Scheuer finanziell zur Rechenschaft zu ziehen und ihn zivilrechtlich zu verklagen.

Das alles wirft Fragen auf, die sowohl das MWP-Gutachten betreffen als auch die darauf gestützte Entscheidung des Bundesverkehrsministers Volker Wissing. Um es vorwegzunehmen: Das Gutachten ist an vielen Stellen defizitär und nicht plausibel, an manchen geradezu bizarr komisch. Die Ausführungen tragen jedenfalls nicht die Schlussfolgerung und Empfehlung, auf eine Klage zu verzichten. Die gesamte Bundesregierung macht sich schadenersatzpflichtig, wenn sie die Ansprüche gegen Andreas Scheuer verjähren lässt, was nach überzeugender Auffassung am 31. Dezember 2025 der Fall sein wird. Im Einzelnen: 

1. Ein Anspruch steht und fällt vor allem mit dem Verschulden von Bundesminister a.D. Scheuer. Auf Basis der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zur Pkw-Maut und des MWP-Gutachtens wird man daran nicht ernsthaft zweifeln können. Die Pflichtverletzungen sind objektiv grobe und subjektiv unentschuldbare. Es anders zu sehen, würde bedeuten, die Augen vor dem Offensichtlichen zu verschließen. Ob ein FDP-Minister wohl anders entschieden hätte, wenn mit der CSU kein potentieller Koalitionspartner betroffen wäre? Oder wenn grobe Pflichtverletzungen eines AfD-Ministers zur Debatte gestanden hätten? 

Wer sich einmal vor Augen führt, unter welchen Umständen die Betreiberverträge abgeschlossen und wie sie gekündigt wurden, wird das letzte Vertrauen in sorgfältiges Regierungshandwerk verlieren – wenn man es überhaupt noch hat. Die Gutachter kommen zu dem Schluss, dass „das Risiko eines Unterliegens im Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich bestand und nach Aktenlage keine Gründe ersichtlich sind, warum dieses Risiko zu vernachlässigen oder gering gewesen sein sollte“. Wenn man in einer Gesamtschau alle Aspekte betrachtet, die für eine Prognose über den Ausgang des Verfahrens vor dem EuGH bekannt waren, dann ergibt sich ohne Weiteres eine Wahrscheinlichkeit von 50 zu 50. Würde jemand sich einen Revolver an den Kopf halten und abdrücken, wenn er wüsste, dass sich in der Trommel drei von sechs Patronen befinden? 

Trotz unklarer Rechtslage gab es keine unabhängige Prüfung der Risiken

Im Untersuchungsausschuss hat Andreas Scheuer zwar behauptet, er sei von einer „positiven Perspektive“ ausgegangen; seiner Einschätzung habe „eine Fülle von Prüfungen durch europarechtliche Experten zugrunde“ gelegen, und sie sei auch geteilt worden von „eingebundenen rechtlichen Beratern“. Die Gutachter haben dafür keine Belege gefunden. Bei Würdigung aller bekannten Umstände ist die Einlassung von Andreas Scheuer nicht glaubhaft und als bloße Schutzbehauptung zu werten. Trotz unklarer Rechtslage gab es keine unabhängige sorgfältige Prüfung der Risiken. Nach der Staatenklage Österreichs hat Andreas Scheuer keine gründliche aktualisierte schriftliche Bewertung der Risiken eingeholt, obwohl sich dies wegen des „offenen Verfahrensausgangs“ geradezu aufdrängte. 

Was selbst etwa bei einem Geschäftsführer einer kleinen GmbH als Sorgfaltsmaßstab gilt, hat Scheuer als Minister aufs Gröbste missachtet. Um im Revolverbeispiel zu bleiben: Scheuer hat mit Steuergeldern Russisch Roulette gespielt – allerdings sogar mit drei statt nur einer Patrone. Es ist auch nicht plausibel, dass bei einem Minister ein günstigerer Maßstab gelten soll als für normalsterbliche ordentliche Geschäftsmänner oder -frauen, zumal die Entscheidungen eines Ministers oftmals viel größeres Schädigungspotential haben – was sich bei der Pkw-Maut gezeigt und auch realisiert hat.

Hinzu kommt, dass Andreas Scheuer sich vor dem Vertragsschluss keinen Überblick verschafft hatte zu den Kosten, die auf den Steuerzahler zukommen, wenn das Projekt nach einem Scheitern vorm EuGH abgebrochen werden muss. Ohnehin ist die Verpflichtung zur Zahlung des Bruttounternehmenswerts im Falle einer allein ordnungspolitischen Kündigung Harakiri, erst recht, wenn man nicht weiß, was im Falle einer Realisierung des Risikos auf den Steuerzahler zukommt.

 

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Angesichts dessen wirkt die Einlassung Scheuers, er habe eine Abwägungsentscheidung treffen müssen zwischen dem Start der Pkw-Maut und ihrer Verschiebung bis zu einer EuGH-Entscheidung, entweder nicht glaubhaft oder sie zeugt von einem erschreckenden Maß an Verantwortungslosigkeit. Denn wer die relevanten Abwägungsgesichtspunkte nicht kennt, kann auch nicht vernünftig abwägen. Bei der Maut gehörte dazu zwingend die Kenntnis der Kosten beim Scheitern des Projekts.

Das Fazit im Gemeinsamen Sondervotum der Fraktionen FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen zum parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut, man blicke in einen „politischen Abgrund von Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Bedenkenlosigkeit und Rechtsbruch – verbunden mit einem Erschrecken über mangelhaftes Regierungshandwerk“, kommt der Wahrheit deutlich näher als die politisch weichgespülten Aussagen der damaligen Koalitionspartner in der Regierung, bestehend aus CDU/CSU und SPD.

Scheuer hat das Vermögen der Bundesrepublik quasi mit Anlauf geschädigt

Nach alledem hätte Andreas Scheuer den Vertrag zur Erhebung der Pkw-Maut am 30. Dezember 2018 nicht abschließen dürfen oder jedenfalls nicht mit diesem defizitären Inhalt. Das entsprach ganz sicher auch nicht dem Willen des Parlaments, geschweige denn der Steuerzahler. Insoweit ist das Zwischenergebnis im Kanzlei-Gutachten bei Ziffer 197 nicht nachvollziehbar, dass es zwar einer aktualisierten Risikobewertung bedurft hätte und auch der Ermittlung der Folgen bei einem Scheitern des Projekts, in dem Vertragsschluss als solchem aber keine objektive Pflichtverletzung zu erkennen sei. Das passt schlichtweg nicht zusammen: Wer die Risiken nicht kennt, darf sich, jedenfalls wenn es um fremdes Vermögen geht, vertraglich nicht verpflichten. Das eine lässt sich vom anderen nicht trennen. Ohne Vertragsschluss wären beide Pflichtverletzungen ja bedeutungslos, weil es gar keinen Vertrag gäbe. Vielmehr war es grob pflichtwidrig, den Vertrag zur Erhebung der Maut trotz der mit Händen zu greifenden Risiken im Falle einer „ordnungspolitischen Kündigung“ und der dann weitgehend unkalkulierbaren und unkalkulierten Folgen abzuschließen.

2. Angesichts dieser Ausgangslage und des erfüllten Haftungsmaßstabs einer jedenfalls grob fahrlässigen Pflichtverletzung überrascht, dass die Gutachter im Zwischenergebnis bei Ziffer 219 im MWP-Gutachten plötzlich davon sprechen, dass „die Tragfähigkeit und Durchsetzbarkeit der Argumentation jedoch nicht wahrscheinlich ist“, weil die Gründe, die gegen eine Haftungsgrundlage sprechen, „als leicht überwiegend anzusehen sind“. Diese Einschätzung muss man keineswegs teilen, und es wäre interessant gewesen, wie dies, statt dreier Rechtsanwälte, deren Kanzlei sich auf „Vergaberecht, Bau- und Immobilienrecht sowie EU-Recht“ spezialisiert hat, wohl ausgewiesene Spezialisten für Zivil- und Zivilprozessrecht beurteilt hätten.

Apropos Spezialisten: Unter Niveau sind auch die Ausführungen zum deliktischen Anspruch wegen Verletzung eines Schutzgesetzes. Von Anfang an liegt eine Strafbarkeit wegen Untreue in der Luft, weil sich nach allem, was man inzwischen weiß, guten Gewissens sagen lässt, dass Andreas Scheuer das Vermögen der Bundesrepublik quasi mit Anlauf geschädigt hat. Der Vertragsschluss war kein Ausdruck von Entschlussfreudigkeit und effektivem Regieren, sondern von Waghalsigkeit und Verantwortungslosigkeit. Andreas Scheuer hat sich wie ein Hasardeur verhalten. Nun schreiben die MWP-Gutachter dazu: „Die Berufung auf strafrechtliche Vorschriften scheidet angesichts der Tatsache aus, dass die Staatsanwaltschaft Berlin bereits keine ausreichende Grundlage für ein Ermittlungsverfahren gegen den Bundesminister a.D. Scheuer gesehen hat.“ 

Die Prüfung der Untreue hätte man einem Spezialisten für Strafrecht überlassen sollen

So etwas in einem Rechtsgutachten lesen zu müssen, macht schon Eindruck – nur leider keinen guten. Denn es ist nicht die Staatsanwaltschaft Berlin, die darüber abschließend Auskunft gibt, ob ein Schutzgesetz verletzt ist, sondern einzig und allein das Zivilgericht, das über den deliktischen Anspruch und eine darauf gestützte Klage entscheidet. Das ergibt sich nicht nur aus Artikel 97 Absatz 1 des Grundgesetzes und der darin normierten richterlichen Unabhängigkeit, sondern auch aus § 17 Absatz 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach „das Gericht des zulässigen Rechtsweges […] den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten [entscheidet]“. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Zivilgericht eine strafrechtliche Frage anders als ein Strafgericht beurteilt. Das mag man unter dem Gesichtspunkt der „Einheit der Rechtsordnung“ für problematisch halten, gehört aber unbestritten zu unserem Rechtssystem und der Unabhängigkeit seiner Richter. Schon gar nicht ist ein Zivilgericht an die Entscheidung der Staatsanwaltschaft gebunden.

Im Vergleich dazu ist es nur noch eine Randnotiz, dass die MWP-Gutachter nicht auf den originären Begründungstext der Staatsanwaltschaft verweisen, worin abgelehnt wird, gegen Andreas Scheuer ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Vielmehr zitieren die drei Gutachter aus einer Sekundärfundstelle, nämlich aus einem Artikel des juristischen Onlinemagazins Legal Tribune Online. Als unmittelbare Quelle hätte das Schreiben der Staatsanwaltschaft Berlin vom 11. Februar 2020 an den Anzeigenerstatter, MdB Fabio De Masi, dienen können, das man mit etwas Anstrengung vermutlich hätte bekommen können. Wer so arbeitet, muss sich den Vorwurf der Oberflächlichkeit gefallen lassen. Die Prüfung der Untreue hätte man vielleicht einmal einem Spezialisten für Strafrecht und Strafprozessrecht überlassen sollen.

Überzeugend ist die Weigerung, Ermittlungen aufzunehmen, nämlich keineswegs: Das betrifft schon die Verneinung einer untreuetatbestandsrelevanten Pflichtverletzung. Diese liegt vor, und sie ist gravierend. Bei Ermessensentscheidungen kommt es dabei vor allem darauf an, dass Entscheidungen auf einer möglichst umfassenden Informationsgrundlage getroffen, sprich Chancen und Risiken nachvollziehbar sowie sorgfältig abgewogen werden und dies auch ordentlich dokumentiert wird. An alledem fehlte es zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Pkw-Maut. Verfehlt ist auch der Hinweis, dass die Vertretbarkeit sich aus dem Schlussantrag des Generalanwalts des EuGH ergibt, der die Auffassung vertrat, die Pkw-Maut sei mit Unionsrecht vereinbar. Richtiger Beurteilungszeitpunkt für die Vertretbarkeit ist aber nicht der Schlussantrag, sondern der Vertragsabschluss, und der war schon am 30. Dezember 2018, der Schlussantrag hingegen erst am 6. Februar 2019. 

Der Verzicht auf eine Klage gegen Andreas Scheuer ist für sich genommen pflichtwidrig

Deshalb kann man darauf gestützt auch nicht den Schädigungsvorsatz verneinen, wie Patrick Heinemann das in einem Beitrag für den Verfassungsblog versucht. Vielmehr lässt sich ein Untreuevorsatz sehr wohl begründen unter Hinweis auf die unkalkulierbar große Gefahr, die Andreas Scheuer für das Staatsvermögen geschaffen hat – diese Umstände kannte er auch, das abzustreiten ist als Schutzbehauptung zu bewerten. Wer erkennt, dass der Eintritt eines bestimmten Erfolgs vom Zufall abhängt, darf zwar auf einen guten Ausgang hoffen, doch steht dies nicht der Annahme entgegen, dass er den Misserfolg im Rechtssinne „billigend in Kauf nimmt“, was für die Annahme von Vorsatz genügt.

3. Auch bei der Abwägung des Prozess- und Kostenrisikos fehlt dem MWP-Gutachten die Überzeugungskraft. So ist bei Ziffer 17 doch allen Ernstes zu lesen, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass „in einem Prozess nachträglich von der Gegenseite hier nicht bekannte Umstände vorgetragen werden“. Donnerwetter, wer hätte das gedacht? Solange es für solcherlei verborgenen Umstände keine Anhaltspunkte gibt, kann und darf das kein relevantes Abwägungskriterium sein!

4. Schließlich wird der Aspekt der Erhebung einer Teilklage viel zu wenig Gewicht beigemessen. Wenn statt 243 Millionen Euro zunächst einmal etwa 1 Million Euro – oder symbolisch 243.000 als 1 Promille der Schadenssumme – eingeklagt würde, sähe das Kostenrisiko signifikant anders aus. Natürlich würde auch eine Teilklage keine Entscheidung über die Haftung dem Grunde nach über den eingeklagten Teil hinaus beinhalten. Aber immerhin. Warum die Gutachter diesbezüglich lapidar sagen, dass „aus anwaltlicher Sicht […] das Prozess- und Kostenrisiko“ überwiege, erschließt sich bei nüchterner Betrachtung nicht, zumal die Gerichte sich in der Regel an ihre erste Entscheidung halten, wenn auf Basis einer Teilklage später mehr eingeklagt wird.

5. Kurzum: Die Schlussfolgerungen der Gutachter zum Prozess- und Kostenrisiko sind keineswegs zwingend, im Gegenteil, teilweise sogar überhaupt nicht nachvollziehbar. Das Prozess- und Kostenrisiko steht einer Teilklage gerade nicht entgegen. Der Verzicht auf eine Klage gegen Andreas Scheuer ist für sich genommen pflichtwidrig. Volker Römermann, in Fachkreisen bundesweit bekannter Rechtsanwalt und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, hat in einem Kommentar beim sozialen Netzwerk „LinkedIn“ auf Folgendes hingewiesen: „Wer sehenden Auges zum Schaden des treuhänderisch verwalteten Vermögens auf Ansprüche verzichtet, weil eine Krähe der anderen Auge nun einmal traditionell unbeschädigt lässt, haftet dafür persönlich. Damit hat sich der amtierende Minister selbst haftbar gemacht in der Höhe, wie ein Anspruch realistisch bei Scheuer hätte realisiert werden können.“ Dem ist fast nichts hinzuzufügen – außer, dass von der Haftung nicht nur Volker Wissing erfasst wird, sondern zudem alle weiteren Mitglieder der Bundesregierung, einschließlich Olaf Scholz als Bundeskanzler. Bis zum 31. Dezember 2025 ist Zeit, den Fehler zu korrigieren.

Der Autor war von 2017 bis 2022 Vorsitzender des CSU-Kreisverbandes Passau-Stadt und ist Bezirksvorsitzender des CSU-Arbeitskreises Juristen Niederbayern.

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Ingofrank | Mi., 3. Januar 2024 - 13:52

Abgesehen vom juristischen Bamburium,
es kann doch nicht sein, das von einer gewählten Partei deren Politiker in Ämter kommen, für Fehler persönlich haften ! Wo kommen wir denn da hin ? Eine Regierung, ein Parlament die bei nachgewiesenen Fehlern in Haftung genommen wird ? Wenn ein Scholz wissentlich der Risiken falsche Buchungen vornimmt ? Eine BK Merkel 2015 vorgibt die deutschen Grenzen nicht schützen (schließen) kann, das aber während CORONA dies aber tat ? Und damit mit Milliarden ihre Fehlleistung zukleisterte ….da sind die wenigen Millionen Scheuers nur ein Fliegenschiss !
Ergo, Politiker können nicht in Verantwortung genommen werden zumindest so lange nicht, wie das pol. System noch nach dem System eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, funktioniert. & dies, wurde mehrfach schon in der Geschichte bewiesen wie z,B. In Nürnberg nach dem Ende des 2. WK oder die Hinrichtung Ceausescu‘s nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems
M f Grüßen a d Erfurter Republik

Thomas Hechinger | Mi., 3. Januar 2024 - 14:21

1. Inwiefern kann ein ehemaliger CSU-Kreisverbandsvorsitzender Passau-Stadt, der größten Stadt im Wahlkreis des Andreas Scheuer, sich ohne Anschein von Befangenheit in dieser Sache äußern? Sind vielleicht alte Rechnungen zu begleichen?

2. Für den eitlen und eingebildeten Abgeordneten Scheuer hege ich keinerlei Sympathie. Auf der anderen Seite halte ich es grundsätzlich für schwierig, von einem Amtsträger persönlichen Schadenersatz einzufordern. Jeder Bürgermeister geht beim Bau einer Gemeindehalle das Risiko des Scheiterns ein, und man wird ihn wohl kaum in Millionenhöhe in Regreß nehmen können. Er hat das Geld einfach nicht.

3. Ich bin für ein politisches Urteil über Herrn Scheuer. Da wäre zunächst die CSU an der Reihe, Herrn Scheuer nicht mehr aufzustellen. Und wenn sie sich nicht traut, ist es die Sache des Wählers, Herrn Scheuer zu verabschieden. Mit beschämenden 30,7 % haben sie ihn 2021 noch einmal in den Bundestag entsandt. Immer noch zu viel.

@Herr Hechinger, Sie treffen ins (CSU-) Schwarze. Der für das Desaster Hauptverantwortliche wird nur einmal genannt: der Hobby-Eisenbahner und bei der Entscheidung zur unkontrollierten Grenzöffnung 2015 unerreichbare H.S.
Der Tag des Vertragsabschluss (30.12.) spricht dafür, dass die bereitgestellten Haushaltsmittel nicht verfallen sollten. Sonst wäre ein (erneuter) Parlamentsbeschluss fällig gewesen.
Den Untreuetatbestand so weit zu fassen, wie es der Autor für rechtlich zwingend hält, erscheint mir gewagt. Der Beihilfetatbestand wurde über Jahre so überinterpretiert, dass zwischenzeitlich über 90-Jährige Sekretärinnen von NS-Lagern angeklagt werden. Kein guter Vergleich, aber auch Juristen sollten gelegentlich die Kirche im Dorf lassen. Sonst müsste konsequenterweise auch jeder Käufer von Drogen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Geldwäsche angeklagt werden.

In der Tat sind sich Prof. Putzke und Herr Scheuer nicht wirklich grün (sic!). Auch daher ist diese rechtliche Würdigung des Gutachtens in der Tat eher weniger relevant. Am Ende hat dann doch der Wähler das Wort. Und m.E. nach wird Herr Scheuer 2025 sowieso nicht mehr kandidieren.

Hans Jürgen Wienroth | Mi., 3. Januar 2024 - 14:43

„Vor Gericht ist man in Gottes Hand“ heißt es. Ist das aber noch ein Rechtsstaat, in dem scheinbar jeder Richter nach seinem Rechtsempfinden urteilen kann? Gab es nicht nach langen Diskussionen über die EU-Konformität ein Gutachten des EuGH, nachdem die dt. Maut rechtens wäre, an die sich die Richter nur nicht hielten? Wer hat diese Verträge für Herrn Scheuer ausgearbeitet, oder hat das der Minister ganz allein ausgehandelt, so wie es auch Frau von der Leyen mit BioNTech vorgeworfen wird?

Wer muss sonst noch vor Gericht oder gibt es hier den Sonderfall? Was droht da unserer aktuellen Regierung?

Fangen wir bei Merkels Grenzöffnung an. Die Klage auf Verstoß gg. das GG gab das BVerfG an den (nicht zuständigen) EuGH weiter, der dann nicht auf Grundlage des GG, sondern auf anderer Grundlage, nämlich der Mastricht-Verträge urteilte, was das deutsche Gericht ungeprüft übernahm. Das war jedoch nicht die Frage der Kläger. Müssen die Richter jetzt für die immensen Folgen mit haften?

Tomas Poth | Mi., 3. Januar 2024 - 14:58

Ob Scheuer oder Uschi v. d. L., oder wie sie alle noch heißen. Solange die Verantwortung für das Handeln vom Amt getrennt ist, werden wir das immer wieder erleben.
Wer den Schaden anrichtet muß auch dafür haften!

Bernd Windisch | Mi., 3. Januar 2024 - 15:02

Nahezu überall im Ausland zahlen Deutsche für die Benützung von Autobahnen. Dies wäre im Umkehrschluss auch für Ausländer auf deutschen Autobahnen möglich. Die CSU hat lediglich mit ihrem Versuch eine Doppelbelastung deutscher Autofahrer zu vermeiden Schiffbruch erlitten und das ganze Projekt ist gescheitert.

Könnte die SPD heute auf Einnahmen aus der Maut zurückgreifen wäre der aktuelle Finanzierungsjammer deutlich kleiner.

Es ist nahezu eine deutsche Spezialität Geld und Infrastruktur ans Ausland zu verschleudern. Mit etwas gutem Willen hätten SPD, Grüne und CDU eine Regelung finden können die deutsche Autofahrer vor einer Doppelbelastung schützt und Ausländer an den Kosten für die in Anspruch genommene Infrastruktur beteiligt.

Aber wir haben es (sie) ja (nicht alle)! Und stellen das auch immer wieder gern unter Beweis!

Heidemarie Heim | Mi., 3. Januar 2024 - 15:05

Wohl eher ein ganzer Schwarm dieser Vogelart geehrter Herr Prof. Dr. Putzke! Zunächst mein Dank an Sie für die auch juristischen Laien zugängliche Zusammenfassung dieses politisch motivierten Elends! Angesichts schon begangener Husarenstücke wie wirecard, Warburg, Landesbanken/Banken-Zockereien mit anschließenden Rettungen, jahrelangem politisch gelittenen cum ex und cum cum ex-Monopoly mit dem Steuerspielgeld der Bürger, von denen Jeder/Jede ohne Ansehen der Person oder einer feinen Sache wie Immunität mindestens rechtskonform geteert und gefedert worden wäre;), dürfte der Betrag von einer läppischen Viertel Milliarde für die Politik lediglich unter dem Begriff "peanuts" abgehandelt worden sein. Auch unvergessen, hier nicht erwähnt, die Aussagen zweier Mautbetreiber gegenüber Herr Scheuer man solle doch etwas abwarten wie der EuGH entscheidet im UA, wo das Wort eines Ex-Ministers/Politikers wohl als glaubwürdiger erachtet wurde? "Noch Fragen?"
"Ohne meinen Anwalt sag` ich gar nix!" FG

Detlev Bargatzky | Mi., 3. Januar 2024 - 15:09

auch Verantwortliche in Regress nehmen.

In Duisburg hat es vor Jahren die beiden Geschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaft getroffen. Der damals bestellte Insolvenzverwalter (oder Sonder-Geschäftsführer) hat beiden geschassten Geschäftsführern die vertraglich vereinbarten Ruhestandsgehälter schlicht gestrichen und mit den Regressansprüchen verrechnet.
Fortan lebten beide Ex-GF nur noch von Einkünften bis zur Höhe der Pfändungsgrenze.

Das von beiden Ex-GF angerufene Arbeitsgericht gab dem neuen Geschäftsführer übrigens recht!

Mit anderen Worten:
Man würde von Scheuer sicher nicht die €243 Mio. zzgl. Rechtsberatungskosten zurück kriegen.

Man hätte aber eine gute Chance, dass er alle seine Vermögenswerte zzgl. fast aller Finanzleistungen aus Landes- und Bundeshaushalt verliert. Das könnten schon einige Mio. sein. Der Mann ist schließlich noch jung.

Wir sollten erst mal darüber nachdenken, über was wir eigentlich diskutieren.
Fangen Sie erst mal bei Merkel und Scholz an anstatt bei den "Pienatts". Im Übrigen, ist das so ehrenrührig, zu verlangen, dass Ausländer, wenn sie unsere Verkehrsinfrastruktur benutzen, genauso zur Kasse gebeten werden wie wir Kartoffeln im EU-Ausland? Es waren nur verblödete RotGrüne Khmer, die das berechtigte Anliegen Scheuers damals torpedierten. Heute würden sich die Imbezilen nach diesen Einkünften die Finger lecken, denn sie könnten noch mehr imbezile Parties feiern. Aber Sie haben natürlich recht: im Ausland sind die Milliarden besser aufgehoben als hier bei uns Deppen.

Günter Johannsen | Mi., 3. Januar 2024 - 15:49

Auf so ein linkes propaganda-Spielchen darf darf man nicht eingehen, denn:
wird Merkel für ihre historischen und verhängnisvollen Fehler (gün-rot motivierte Flüchtlingspolitik) zur Verantwortung gezogen, die uns Milliarden EURO kosteten und noch kosten? Oder Habeck für seine unsinnig-teuren AKW-Ausstieg und seinen Heizungs-Wahnsinn, der drei bis fünfmal geändert werfen musste und viele Betriebe an den Rand des Ruins brachten??! Oder den installierten Habeck-Filz, der viele Ämter produzierte, mit denen Verwandte und Freunde besetzt wurden??!?
JA, man sollte für künftige Schäden ein Regress-Gesetz für Politier ALLER Parteien in hoher Verantwortung einführen, dann würden sich Ausbildungsabbrecher und inkompetente Menschen-Typen nicht mehr in solche Ämter begeben!

Kurt Janecek | Mi., 3. Januar 2024 - 19:35

Wenn Andreas Scheuer verklagt werden würde müsste folglich auch alle anderen Politiker und Politikerinnen, die sehenden Auges durch ihre Fehlentscheidungen viele Milliarden Euro regelrecht vernichtet haben.

Wer Andreas Scheuers Vorgehensweise bei der Maud genauer das Umfeld betrachtet wird feststellen, dass diese hätte gegenüber der EU durchgesetzt werden können hätte Merkel das gewollt.
Merkel wollte die CDU beschädigen.

Merkel wollte auch damals die BW Wahl gewinnen und hat, in der Hoffnung „grüne Wähler„ zu gewinnen, die AKWs dafür geopfert, also viele 100 Milliarden Euro einfach ab in den Gully.

Bernhard Marquardt | Do., 4. Januar 2024 - 01:06

liefert einmal mehr einen Beweis für ihre mangelnde Unabhängigkeit.
Am 30. September 2009 hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) in einer einstimmig gefassten Resolution (Nr. 1685/2009) Deutschland aufgefordert, „ein System der Selbstverwaltung der Justiz einzuführen und die Möglichkeit abzuschaffen, dass Justizminister der Staatsanwaltschaft Anweisungen zu einzelnen Fällen geben.“
Dazu der Kommentar der Bundesregierung auf eine „Kleine Anfrage“ 3/2010: ...“Hierzu bedürfte es breiter Zustimmung in den gesetzgebenden Körperschaften, die schon mit Rücksicht auf die überwiegend ablehnende Haltung der Länder gegenwärtig nicht erkennbar ist.“
Quod erat demonstrandum.
Also wartet der Europarat bis heute vergeblich auf eine angemessene Reaktion der Bundesrepublik wie die bayrische Regierung auf die göttliche Eingebung in Ludwig Thomas berühmtem Bayern im Himmel.
Haftungsrechtlich geht es hier wohl um die Grenze zwischen Fahrlässigkeit und grober Fahrlässigkeit.

Hans Baumer | Do., 4. Januar 2024 - 05:22

Ist doch ganz üblich in der Politik: eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Ferdinand Schulze | Do., 4. Januar 2024 - 07:36

Ich erinnere mich an eine gewisse Frau Merkel, deren Beschluss zum Ende der Kernkraft im Jahre 2011 den Steuerzahler etwa 6 Mrd € an Entschädigungen für die Energieversorgungsunternehmen gekostet hat. Da hat sich die Presse meines Wissens nicht beklagt. Weil es um die böse "Atomenergie" ging?