Bestsellerautor Christian Baron - „Olaf Scholz gehört eher vor ein Gericht als ins Kanzleramt“

Hohe Energiepreise werden im kommenden Winter zu einer massiven Wirtschaftskrise führen. Bis hinein in die Mittelschicht plagen Menschen daher große Existenzängste. Deutschland droht ein „heißer Herbst“ mit großen sozialen Verwerfungen. Im Interview spricht Christian Baron über die Arroganz des grünen Milieus, die Notwendigkeit einer neuen linken Partei und das Verhalten des Bundeskanzlers.

Der Schriftsteller Christian Baron kritisiert die linken Parteien als alltagsfremd. / Hans Scherhaufer
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Christian Baron wuchs im pfälzischen Kaiserslautern unter armen Verhältnissen auf. In seiner Kindheit musste er häusliche Gewalt und die Alkoholsucht seines Vaters erleben. Diese Eindrücke verarbeitete Baron in seinem autobiographischen Roman „Ein Mann seiner Klasse“, der zu einem Spiegel-Bestseller wurde. Zuletzt erschien sein Roman „Schön ist die Nacht“ im Ullstein-Buchverlag.

Herr Baron, viele Menschen fürchten sich angesichts des Ukraine-Kriegs und der gestiegenen Energiepreise um ihre Zukunft. Verstehen die Grünen und ihre Außenministerin Annalena Baerbock zurzeit die Existenzängste von hart arbeitenden Niedriglöhnern?

Ich glaube, sie verstehen die Probleme sehr gut. Sie sind ja nicht blöd. Es ist ihnen aber egal. Die Grünen sind seit vielen Jahren die Partei der Besserverdienenden. Die wissen sehr genau, wer sie wählen soll und wer nicht. Deswegen vertreten sie die Interessen des wohlhabenden Bildungsbürgertums und nicht die des hart arbeitenden Geringverdieners mit Existenzsorgen. Davon sind sie Lichtjahre entfernt.

Aber die Grünen behaupten doch von sich, dass sie eine linke Partei sind, die alle Menschen dieses Landes vertritt. Wie passt das denn zusammen?

Links-Sein bedeutet für mich in allererster Linie, die Armut zu bekämpfen. Das weiß ich, da ich als Kind selbst in verarmten Verhältnissen aufgewachsen bin. Doch die meisten Grünen verstehen Links-Sein ganz anders. Sie wollen vor allem moralisch auf der aus ihrer Sicht richtigen Seite stehen. Armutsbekämpfung bewegt sie schon lange nicht mehr. Dabei wäre das die richtige Grundlage linker Politik. Schon Bud Spencer wusste sinngemäß, dass ohne Heu auch das beste Pferd nicht furzen kann.

Besonders das bürgerlich-kosmopolitische, grüne Milieu steht für noch härtere Sanktionen gegen den russischen Aggressor ein. Sehen Sie Potenzial, den Konflikt zwischen denen und jenen Menschen, die am Ende des Monats kaum noch ihre Miete bezahlen können, irgendwie halbwegs in Einklang zu bringen?

Im Grunde setzt sich das fort, was seit Jahren schon stattfindet. Hohe Energiepreise und insolvente Betriebe werden die neue Realität in Deutschland sein, wenn sich nichts ändert. Das wohlhabende, grüne Milieu betrifft die Folgen der Sanktionen viel weniger. Sie haben ein finanzielles Polster, eine gesicherte Existenz. Der Graben zwischen dem Prenzlauer-Berg-Publikum und den Menschen, die in den Raffinerien in Schwedt und Leuna arbeiten, ist massiv. Das müsste nicht so sein, weil die Grünen-Klientel und die Malocher eigentlich viel mehr verbindet, als sie trennt. Was Erstere aber nicht einsehen wollen: Moral muss man sich leisten können. Darum finden die Milieus nicht zusammen, und deshalb ist es zu einem kulturell aufgeladen Klassenkampf gekommen, der von beiden Seiten leider sehr intensiv gegeneinander geführt wird, anstatt gemeinsam das Kapital zu attackieren.

Die Ampelkoalition behauptet allerdings, mit ihren Entlastungspaketen die Sorgen der Bürger ernst zu nehmen. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Der Begriff des Entlastungspakets ist in meinen Augen eine Mogelpackung. In erster Linie werden damit diejenigen entlastet, die sowieso schon viel haben. Und die Belastungen liegen wirklich bei der ganz großen Mitte der Bevölkerung, die in ihrem harten Alltag sowieso schon zu kämpfen hat. Die Energiepauschale ist für die meisten Menschen zu gering. Ganz zu schweigen von Rentnern und Sozialhilfeempfängern, die fast komplett leer ausgehen. Das Entlastungspaket kann leider nur als zynische Beruhigungspille verstanden werden. Das höre ich auch von seriösen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern.

 

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Für den „heißen Herbst“ werden soziale Proteste erwartet. Das müssten Sie ja begrüßen, oder?

Ja, ich finde es ganz wichtig, dass Menschen protestieren und gegen die Maßnahmen der Regierung auf die Straße gehen. Die Bezeichnung „heißer Herbst“ ist in den Medien bereits umstritten. Ich finde allerdings, das ist ein sehr griffiger Slogan, der sehr gut auf den Punkt bringt, worum es geht.

Manche arbeiten schon daran, den Protesten die Legitimation abzusprechen, weil Rechte sie kapern könnten. Was können linke Bewegungen dagegen tun?

Den Rechten muss klipp und klar gesagt werden, dass sie nicht erwünscht sind. Rassisten dürfen auf solchen Demonstrationen keine Bühne bekommen. Aber es ist nicht zu vermeiden, dass sie in der Menge stehen. Das spiegelt leider auch die gesellschaftlichen Verhältnisse wider.

Wo ist für Sie die Grenzlinie für gemeinsame Demonstrationen?

Linke müssen in diesem Land lernen, Widersprüche auszuhalten. Dieses Reinheitsgebot linker Politiker schreckt mich ohnehin ab. Wer erst frühzeitig aus dem Bildungssystem eliminiert worden ist und sich dann im von SPD und Grünen geschaffenen Niedriglohnsektor kaputtschuftet, dem sollte man nicht eine undifferenziertre Kapitalismuskritik vorwerfen. Das wäre ausgesprochen arrogant. Es gab seit 2020 auch eine ganze Menge sehr unsinniger Corona-Maßnahmen, die Menschen wirtschaftlich hart getroffen haben. Und auf den Demonstrationen dagegen waren teilweise Verrückte, die abstruse Verschwörungstheorien verbreitet haben. Deswegen kann doch aber nicht eine ganze Demonstrationsbewegung desavouiert werden.

Ist es nicht naiv zu glauben, dass enttäuschte Bürger in ihrer Wut auf eine linke Demonstrationsbewegung setzen werden? Immerhin sind die meisten frustierten Menschen Nichtwähler oder sympathisieren sogar mit der AfD.

In den vergangenen Wochen und Monaten hat die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die eine linke Opposition sein könnte, sich selbst zerfleischt. Dann muss man sich nicht wundern, wenn verunsicherte Menschen abwandern. Nehmen wir die bislang letzte Rede von Sahra Wagenknecht im Bundestag. Wegen ihrer Kritik an den Folgen der derzeitigen Sanktionen für die deutsche Wirtschaft, wurde sie heftig angefeindet, gerade innerhalb der Linkspartei. Sie sei jetzt offenbar eine Anwältin des Kapitals, hieß es. Dabei geht es doch um Menschen mit kleinen Betrieben, die sich Sorgen machen, dass sie ihre Fixkosten nicht mehr bezahlen können. Was ist denn bitte daran verkehrt, wenn eine linke Politikerin die Sorgen dieser Menschen ernst nimmt und in ihrer Rede darauf eingeht? Oder ist es etwa „antikapitalistisch“, sich darüber zu freuen, dass die inhabergeführte kleine Bäckerei nebenan dichtmachen muss?
 
Kreml-Anhänger und russische Trolls werden den Unmut weiter Teile der Bevölkerung gezielt ausnutzen, um die Unterstützung für Sanktionen zu bekämpfen. Macht sich Sahra Wagenknecht damit nicht zur Handlangerin Putins?

Sie sagt ja nicht, Sanktionen seien grundsätzlich falsch. Sie müssten sich aber wirkungsvoll gegen Putin und seine Kriegskasse richten. Die aktuellen Sanktionen bewirken, dass Putin und seine Oligarchen sich dumm und dämlich verdienen. Andere europäische Länder suchen nach anderen Wegen. Deshalb liegt Frau Wagenknecht richtig, wenn sie die Ampel als „dümmste Regierung Europas“ bezeichnet. Die deutsche Bevölkerung wird wegen der Politik der eigenen Regierung in weiten Teilen massiv verarmen, wenn es keinen Widerstand gibt. Die Bundesregierung hat einen Eid geschworen, Schaden von der deutschen Bevölkerung abzuwenden. Das schließt internationale Solidarität nicht aus, erfordert aber auch ein Abwägen.

Ist der Kontostand in unserer Gesellschaft also wichtiger als die Freiheit unserer europäischen Demokratien?

Der Kontostand und die Freiheit gehören eng zusammen. Wer den Kontostand der Menschen nicht im Auge behält, der wird auch die gesellschaftliche Freiheit verlieren. Erich Kästner hat bereits Anfang der 30er Jahre Appelle an die Reichen geschrieben. In seinem Gedicht „Ansprache an die Millionäre“ hat er 1930 die Reichen gewarnt, dass ihnen ihr eigenes System um die Ohren fliegt, wenn sie nicht schnell für mehr Gerechtigkeit sorgen. Solche Appelle bräuchte es auch heute. Denn die Wohlhabenden müssen verstehen, dass die ihnen so wichtige liberale Demokratie auf dem Spiel steht, wenn Menschen aus der Mitte der Gesellschaft ihre materielle Existenz verlieren.

Wenn Sie einen Tag lang Bundeskanzler sein dürften, was würden Sie gegen die Belastung der Menschen mit geringem Einkommen unternehmen?

Ich bin sehr froh, dass ich nicht in dieser Rolle bin! Wäre ich es wegen einer Laune des Schicksals aber doch, dann würde ich den Mindestlohn massiv erhöhen. Die 12 Euro pro Stunde, die jetzt kommen sollen, werden ja als große Errungenschaft gefeiert. Aber die sorgen nicht dafür, dass man später eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus hat. Das Bürgergeld sollte eine armutsfeste, sanktionsfreie Mindestsicherung sein. Es gäbe sofort nur noch Gemeinschaftsschulen. Auch die private Krankenversicherung wäre Geschichte. Und ich würde die Vergesellschaftung aller großen Konzerne und Banken an diesem einen Tag zumindest einmal wieder auf die Agenda setzen.

 

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Sind das nicht alltagsferne Forderungen, die kaum umsetzbar sind?

Von Kanzler Olaf Scholz kann man das wohl nicht erwarten. Der redet zwar von Entlastungspaketen und verspricht dem Volk „You'll never walk alone“, kann sich aber im Untersuchungsausschuss angeblich nicht daran erinnern, dass er mal einer Bank 47 Millionen Euro erlassen hat, die sie wegen ihrer betrügerischen Cum-Ex-Geschäfte hätte zahlen müssen. Das war eine zynische Lüge. Ich finde, dass dieser Mann eher vor Gericht gehört als ins Kanzleramt.

Würde es sich dann überhaupt noch lohnen, arbeiten zu gehen?

Natürlich muss es Abstandsgebote zwischen Löhnen und Sozialleistungen geben. Aber für mich wird diese Debatte immer verkehrt herum geführt. Es wird immer behauptet, die Sozialleistungen seien zu hoch, sodass sich Arbeiten nicht mehr lohne. Im Gegenteil: Die Sozialleistungen sind viel zu niedrig. Die Löhne sind aber auch viel zu niedrig. Das ist der Punkt. Ich glaube nicht an diese Vorstellung, die seit mindestens 20 Jahren in Deutschland in der Politik vorherrscht, dass man Menschen Angst einjagen muss, um sie zum Arbeiten zu bewegen. Sozialpsychologische Studien zeigen, dass Menschen von sich aus arbeiten wollen. Ob sie das auch gern tun, hängt von den Arbeitsbedigungen ab. Und dafür sind die Arbeitgeber verantwortlich.

Sie selbst sind ein bekennender Linker. Sowohl die Grünen als auch die SPD kritisieren Sie als akademisierte Parteien, die das Milieu der Geringverdiener nicht mehr verstehen und vertreten. Die Linkspartei ist dieser Tage dem Untergang geweiht. Haben linke Parteien noch eine Zukunft in Deutschland?

Die Partei, die sich „Die Linke“ nennt, ist leider am Ende. Es braucht eine neue linkspopuläre Kraft in Deutschland. Im besten Fall müsste sich das linksliberale Bürgertum wieder mit dem Proletariat vereinen. Es braucht eine sozialdemokratische Politik, die für materielle Verbesserungen im Alltag der Menschen sorgt. Eine neue linke Partei könnte dafür sorgen, dass die Menschen ihre Würde wiedererlangen. Keine moralische Besserwisserei, keine Belehrungen. Diese Kraft müsste versuchen, die sozialen Ungerechtigkeiten unserer Zeit anzugehen, anstatt sich aus dem Elfenbeinturm heraus auf weltfremde Winnetou-Debatten zu stürzen.

Sie sind ein prominenter Schriftsteller, wären Sie nicht die ideale Führungsfigur einer solchen Partei?

Bei meinen Lesungen wird es oft politisch, weil das Thema meiner Bücher immer die Soziale Frage ist. Wenn mir – was oft vorkommt – jemand vorschlägt, ich solle in die Politik gehen, dann antworte ich immer mit einem Satz, auf den man mich gern festlegen darf: Eher geht ein Friedrich Merz durchs Nadelöhr, als dass ich Politiker werde. Meine Stärke liegt eindeutig im Schreiben. Außerdem bin ich ein sehr sensibler Mensch ohne jede Begabung zum Netzwerken oder Intrigieren. Im rauen Politikbetrieb wäre ich verloren. Den überlasse ich gern den Hinterzimmerstrategen und Rampensäuen.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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