Bayerns AKW-Alleingang - Nur Mut! Markus Söder könnte auf den Atomausstieg pfeifen

Der bayerische Löwe hat wieder mal gebrüllt. Markus Söder will das Kernkraftwerk Isar 2 weiter laufen lassen und fordert eine Ausnahme vom Atomausstieg. Doch wenn er es wirklich ernst meint: Warum sollte er auf eine Erlaubnis aus Berlin warten?

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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Rechtlich betrachtet ist die Sache klar. So lange der Deutsche Bundestag das „Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren“ nicht ein 20. Mal ändert (die 19. Änderung war die Mini-Laufzeitverlängerung für dreieinhalb Monate), darf das am Wochenende vom Netz genommene bayerische Kernkraftwerk Isar 2 keinen Strom mehr produzieren. Denn die „Berechtigung zum Leistungsbetrieb“ ist mit Ablauf des 15. April 2023 erloschen. 

Dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nun fordert, der Bund möge seinem Freistaat erlauben, Isar 2 in eigener Verantwortung und mit frischen Brennstäben wieder ans Netz zu nehmen, ist in Anbetracht der politischen Machtverhältnisse daher eher ein operettenhaftes Spiel für das heimische Publikum denn eine ernstgemeinte Kampfansage in Richtung Preußen.

Die Grünen, deren ergraute Anti-AKW-Dinosaurier eben erst vor dem Brandenburger Tor ihren Triumph im heiligen Krieg gegen den einst von Franz Josef Strauß angeführten „Atomstaat“ ausgekostet haben, werden Söders Idee nie und nimmer zustimmen.

   Vom Ende des Atom-Dinos am Brandenburger Tor. Dank an Martin Kaiser, @greenpeace_de und Tausenden aus der Anti-AKW-Bewegung. Ihr habt den #Atomausstieg möglich gemacht. pic.twitter.com/rijuf8MR44

Daher gilt: Wenn der gut brüllende bayerische Löwe nicht als Bettvorleger enden will, muss Söder jetzt beweisen, dass er es ernst meint. Dazu sind folgende Schritte notwendig, die natürlich ein gewisses Risiko bergen. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und die Gefahr, dass der Konflikt mit Berlin in unkontrollierbarer Weise eskaliert und zum bayerischen Atomfolgekrieg führt, ist ziemlich gering.

Das Angebot von Preussen-Elektra steht

Zuallererst muss Markus Söder in Geheimverhandlungen mit dem Essner Energiekonzern Eon und dessen Atomkraft-Tochter Preussen-Elektra treten. Denn das ist der Co-Eigentümer und Betreiber des letzten bayerischen Kernkraftwerks. Eine Minderheitsbeteiligung von 25 Prozent halten die Stadtwerke München. Dort hat man sich jüngst offen gezeigt für einen Weiterbetrieb des voll funktionstüchtigen und rekord-produktiven Kraftwerks. Sogar bei den Münchner Grünen gab es nach Beginn des Ukrainekriegs öffentliche Forderungen in diese Richtung.

Schreiben des Kernkraftbetreibers
Preussen-Elektra an Habecks
Staatssekretär / Cicero

Die Betreiberfirma Preussen-Elektra hat hinter den Kulissen längst klargemacht, dass sie für einen Weiterbetrieb zur Verfügung stünde, wenn er denn politisch gewünscht sei. In einem Brief an Robert Habecks Energie-Staatssekretär Patrick Graichen, der Cicero vorliegt, schrieb Preussen-Elektra im August 2022: „Jede Verlängerung der Laufzeit verlangt von uns eine völlige Umplanung unseres Rückbauprogramms mit erheblichen Konsequenzen auf Zeitrahmen und Budgets. Von daher haben wir uns in der öffentlichen Debatte niemals für einen weiteren Betrieb stark gemacht oder öffentlich dafür geworben. Aber wenn es die Notsituation und die erkennbaren Mangellagen bei Strom und Gas erfordern, stehen wir mit unserer Mannschaft und unserem KKI 2 (Kernkraftwerk Isar 2, Anm.) dafür bereit.“

Dieses vertrauliche Angebot richtete sich zwar an die Bundesregierung. Aber wenn die Bayerische Staatsregierung davon Gebrauch machen will, würde Preussen-Elektra bestimmt mit sich reden lassen. Zumal der Chef des Mutterkonzerns Eon, Leonhard Birnbaum, erst neulich, kurz vor der Vollendung des deutschen Atomausstiegs, denselben öffentlich infrage gestellt hat. „Wir berauben Deutschland einer wichtigen Option, obwohl die Energiekrise noch nicht vorbei ist, und hoffen, dass die französische Kernkraft läuft“, sagte Birnbaum Mitte März auf seiner Bilanz-Pressekonferenz. „Das verstehe, wer will – ich nicht.“ Aber am Ende sei es Sache der Politik, solche Entscheidungen zu treffen.

Söder sollte den der Politik zugespielten Ball aufnehmen und mit Birnbaum sprechen, unter welchen Umständen Isar 2 unter bayerischer Regie weiterlaufen könnte. Denkbar wäre es zum Beispiel, dass der Freistaat eine eigene Betriebsgesellschaft gründet und Preussen-Elektra dieser Staatsfirma seine Anteile am Kraftwerk verkauft. Auch die Mitarbeiter könnten dorthin wechseln. Damit läge das rechtliche Risiko eines Weiterbetriebs unter Verstoß gegen ein Bundesgesetz direkt bei der Landesregierung und nicht mehr bei einem privaten Unternehmen.

Parallel dazu könnte sich auch auf Bundesebene etwas tun

Klar, es ist ein riskanter Plan. Markus Söder würde einen eindeutigen Gesetzesbruch begehen, wenn er Isar 2 ohne Rückendeckung aus Berlin wieder ans Netz nimmt. Klingt erstmal abenteuerlich. Aber die Frage ist: Was soll denn passieren?

Die Grünen und ihnen wohlgesonnene Journalisten werden schäumen vor Wut. Die Bundesregierung wird scharfe Briefe formulieren und die bayerische Staatskanzlei auffordern, den ungenehmigten Alleingang sofort zu unterlassen. Aber was, wenn Söder das einfach aussitzt und auf eine Notlage verweist? Sein Schwur, Schaden vom bayerischen Volke abzuwenden, wiege angesichts steigender Strompreise und drohender Versorgungsengpässe schwerer als die Detailregelungen des deutschen Atomgesetzes, könnte er zur Rechtfertigung behaupten. Der (heimliche) Applaus eines Großteils der Bevölkerung wäre ihm sicher.

 

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Auch wenn die Partei der geläuterten Pazifisten inzwischen keinerlei Berührungsängste mehr mit militärischen Dingen hat: Dass Robert Habeck zur Durchsetzung des Atomgesetzes Amtshilfe bei Boris Pistorius anfordert und die Bundeswehr Isar 2 besetzen lässt, ist äußerst unwahrscheinlich. Zumal dann die offene Frage wäre, auf wessen Seite sich jene Bundeswehrkräfte stellen, die in Bayern stationiert sind.

Nein, das militärische Risiko ist ziemlich gering. Das politische allerdings ist enorm. Natürlich kann Söder mit einem Ende des Finanzausgleichs drohen, sollte ihm der Bund ihm zu blöd kommen. Aber der Druck, der dann auf ihm lastet, wird so oder so gewaltig sein. Gewinnen kann er das Spiel dann nur, wenn sich Baden-Württemberg auf seine Seite schlägt. Auch dort sorgt man sich um die Stromversorgung, und das letzte baden-württembergische Kernkraftwerk Neckarwestheim ist bereits in staatlicher Hand. Es wird vom quasi-landeseigenen Energiekonzern EnBW betrieben.

Und parallel dazu könnte sich auch auf Bundesebene etwas tun. Die CDU, und deren nach wie vor auf das Kanzleramt schielender Ehrgeizling Jens Spahn, müsste sich einen Ruck geben und gemeinsam mit FDP und AfD das Atomgesetz im Bundestag ändern. Die Mehrheit dazu hätten die drei Parteien schon. Nur ist die FDP (noch) in der Ampeldisziplin gefangen, und mit der AfD will keiner von beiden gemeinsame Sache machen. Ein eher unrealistisches Szenario also. Aber wer weiß schon, was nach einem Söderschen Erstschlag alles ins Rutschen kommt.

Jens Spahn jedenfalls hat den Vorstoß aus München bereits auffallend unterstützend kommentiert:

 

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