Andreas Rödders Aussagen zur Brandmauer - Mehr Mut zum eigenständigen Denken

Der Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission, Andreas Rödder, spricht sich dafür aus, die eigene Politik nicht davon abhängig zu machen, ob die AfD ihr zustimmt oder nicht. Und schon schwappt ihm aus der eigenen Partei Empörung entgegen. Eine selbstbewusste Union sähe anders aus.

Auf Dauer dürfte es selbst hinter der schönsten Brandmauer für die CDU allmählich zu eng werden / dpa
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Schräge Phantasien“, „Weg ins Verderben“, „völlig inakzeptabel“, „hanebüchen“ – das sind einige Reaktionen der CDU-Prominenz auf ein Interview des Mainzer Historikers und Chefs der Grundwertekommission der Union Andreas Rödder im Magazin Stern

Diese heftigen Reaktionen lasse natürlich die Frage aufkommen: Was genau hatte Rödder gesagt? Was war so skandalös, so unerträglich und anstößig? Weshalb diese Empörungsarien in schrillen Tönen? 

Nun, Rödder hatte sich für eine eigenständige Politik der CDU ausgesprochen. Und dafür, sich nicht davon abhängig zu machen, welche Person oder welche Partei irgendeinem Antrag der Union in einem Landes-, Stadt- oder Kommunalparlament ebenfalls zustimmt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit für eine selbstbewusste Partei mit Orientierung und klare Programmatik. Doch die Union hat das alles nicht. Weder Selbstbewusstsein noch Orientierung. Und von einer klaren Programmatik ist auch nicht viel zu erkennen. 

Entsprechend brandete eine Entrüstungswelle über den angesehenen Historiker hinweg, die angesichts der Trivialitäten, die er zum Besten gegeben hatte, tief in das Seelenleben der Union blicken lässt. Denn was genau hatte Rödder gesagt? Er hatte klargestellt, die CDU solle „sich weder formell noch informell danach richten, was die AfD tut“. Eine offiziell von der AfD tolerierte Minderheitsregierung lehnte Rödder in dem Interview explizit ab. Das sei die rote Linie. Etwas anderes sei es jedoch, mit wechselnden Minderheiten zu regieren. 

Eine selbstbewusste Partei nimmt die Lage zur Kenntnis und sucht nach Lösungen

Auch inhaltlich markierte Rödder sehr klare Grenzen nach Rechtsaußen, etwa die Relativierung des Nationalsozialismus oder eine Befürwortung des Angriffs Russlands auf die Ukraine. Zugleich stellte Rödder aber klar: „Parlamentarismus heißt, die Inhalte an erste Stelle zu setzen.“ 

Im Grunde skizzierte der Mainzer Historiker lediglich die taktisch schwierige Lage der Union: Links die Grünen mit ihrer medialen und kulturellen Deutungshoheit, die jede politische Handlung und Äußerung, die dem linken Zeitgeist widerspricht, sofort massenwirksam skandalisieren kann. Rechts die AfD, die in der Lage ist, die CDU unter den gegebenen Bedingungen nach Belieben vorzuführen. 

Eine selbstbewusste Partei nimmt in einer solchen Situation die Lage zur Kenntnis und sucht nach Lösungen. Wie diese Lösungen auszusehen haben, hat Rödder in seinem Stern-Interview klar benannt: auf sich selbst besinnen, sich innerlich unabhängig machen, sich nicht vom linken Zeitgeist in die Ecke treiben lassen. 

 

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Das funktioniert aber nur, wenn man die elende Brandmauer-Diskussion überwindet. Nur so kann die CDU „aus der Defensive herauskommen. Nur so kann sie die rechte demokratische Mitte für sich gewinnen“, so Rödder. Denn eine Union, die wie ein Hühnerhaufen panisch durcheinanderrennt, sobald die üblichen Anwürfe von links kommen, ist auf Dauer mehr als unattraktiv und wird weiter Wähler an die AfD verlieren. 

Doch so klar die Lage der Union und die daraus zu ziehenden Konsequenzen derzeit sind, insbesondere weite Teile der Führungsebene der Union scheinen ihr intellektuell oder konzeptionell nicht gewachsen. Anders lässt sich der Aufschrei nach dem Rödder-Interview nicht erklären. 

Der Union wird eine ideologische Auseinandersetzung aufgezwungen

Dabei sollte die CDU dankbar sein, dass sie jemanden wie Andreas Rödder als Chef ihrer Grundwertekommission gewinnen konnte – im Umfeld der Union ist man nämlich traditionell eher nicht mit einem Übermaß an intellektueller Potenz gesegnet. Viele Jahrzehnte war das gleichgültig, denn die Menschen wollten keine weltanschaulichen Botschaften hören, sondern ihren Wohlstand und ihre Sicherheit gewahrt sehen. 

Diese Zeiten aber sind vorbei. Seitens der Linken, namentlich der Grünen und ihres politisch-medial-kulturellen Vorfeldes, wird der Union eine ideologische Auseinandersetzung aufgezwungen. Dieser Herausforderung kann sie nicht allein pragmatisch begegnen, wie das in der Merkel-Jahren erfolglos versucht wurde. Es wird höchste Zeit, diese Konfrontation auch anzunehmen und nicht schon im Vorfeld einzuknicken. 

Die Idee, einfach grüne Positionen zu übernehmen und der Umweltpartei damit Stimmen abzugraben, ist gescheitert. Sie hat zum Verlust des eigenen Markenkerns geführt. Rödder erinnerte daher zu Recht daran: „Die Grünen sind der inhaltliche Hauptgegner der CDU.“ Deshalb darf man sich von den Grünen und ihrem weltanschaulichen Umfeld nicht diktieren lassen, wie man politisch zu handeln hat. Und sich von der AfD abhängig zu machen, gerade weil man irgendwelche Brandmauern errichtet, ist ebenfalls polittaktisches Harakiri. 

Dass namhafte Funktionäre der Union von Armin Laschet über Roderich Kiesewetter bis Karin Prien sich in Empörungsgesten üben, zeigt zum einen, wie gespalten die Union ist und wie stark nach wie vor die Merkelianer sind. Es macht aber auch deutlich, welchen Herausforderungen sich Friedrich Merz und all jene gegenübersehen, die die Deutungshoheit der Grünen und der mit ihnen sympathisierenden gesellschaftlichen Kräfte brechen und diesen eine liberal-konservative Position entgegensetzen wollen. Mehr Mut zum eigenständigen Denken wäre schon einmal ein guter Schritt. 

 

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